Wenn alles in den Himmel wächst

Von Adolf Stock · 29.09.2009
Am 3. Oktober wird der Berliner Fernsehturm 40 Jahre alt. Doch angefangen hat der Bauboom der hohen Türme mit dem Stuttgarter Fernsehturm 1957. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main widmet dem Wettstreit in die Höhe nun eine Ausstellung.
Touristenführer nennen den Berliner Fernsehturm Telespargel, aber die sagen zum Kanzleramt auch Waschmaschine. Peinlich, peinlich, vor allem wenn man bedenkt, wie viel Herzblut in dem Berliner Fernsehturm steckt. Ende der fünfziger Jahre machte DDR-Chefarchitekt Hermann Henselmann einen Vorschlag für die Bebauung der Ostberliner Innenstadt. Architekturhistoriker Bruno Flierl:

"Entgegen der Vorstellung des Auftraggebers, in der Mitte der Stadt demonstrativ ein Hochhaus zu bauen, in dem die Regierung Platz nimmt, hat Henselmann gesagt, wir müssen die Herrschaft benutzen für etwas Vernünftiges. Er hat den Fernsehturm, völlig eigenwillig, in das Stadtzentrum platzieren wollen, und ihn aber gleichzeitig nicht als technisches Bauwerk nur verwenden wollen, sondern als Zeichen. Und er hat gesagt, wenn ich den Mastkorb oben nicht traditionell so mache wie das also Leonhardt in Stuttgart vorbildlich gemacht hat, sondern ich bilde ihn als Kugel, dann habe ich ein Symbol für den Fortschritt von Wissenschaft und Technik, der heute schon in den Kosmos greift."

Damals kreiste der erste Sputnik im All, und Henselmann wollte mit seinem Turm der Signale ein fortschrittliches Zeichen setzen.

Bruno Flierl: "Die Partei wollte aber keinen 'Turm der Signale', sondern ein Regierungshochhaus, und deshalb flog der Entwurf raus und wurde auch zwei Jahre lang nicht veröffentlicht, das muss man sich mal vorstellen. Das heißt, der hat richtig einen Widerstand geleistet gegen die völlig überholten Strukturen im Bauwesen und in der Ästhetik."

Erst Ende der Sechziger Jahre wurde der Berliner Fernsehturm Wirklichkeit. Heute dreht sich das Turm-Restaurant doppelt so schnell wie vor der Wende. Doch zum Jubiläum wird nun wieder langsam gedreht, die Gäste werden platziert und es gibt Würzfleisch auf den Teller. Soviel Nostalgie muss sein, dabei gehört das lange Ding längst allen Berlinern. Architekt und Ausstellungsmacher Friedrich von Borries:

"Und dann sieht man den Berliner Fernsehturm, der erst Ausdruck des Sozialismus war, verhasst oder verlacht im Westen, und plötzlich ist der Symbol für ganz Berlin und überhaupt nicht mehr politisch. Diepgen hat den sozusagen eingemeindet für die Olympia-Bewerbung."

Die Gesellschaften ändern sich, aber die Türme bleiben, und die Leute schreiben ihnen plötzlich ganz neue Bedeutungen zu. Nur eine Bedeutung bleibt zeitlos unangefochten: Wer den höchsten Turm hat, trägt den Sieg davon.

Friedrich von Borries: "Das Thema endet aber nicht mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes, sondern geht danach nach wie vor weiter, verlagert sich in den asiatischen Raum, wo heute immer noch mit Begeisterung ein Wettstreit geführt wird, wer den höchsten und längsten hat."

Mit 368 Metern ist der Berliner Fernsehturm gerade noch Mittelmaß. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main wird ihm und seinen Kollegen ab dem 3. Oktober eine Ausstellung widmen. Dann werden 25 Fernsehtürme biografisch gewürdigt: Kairo, Moskau und Las Vegas, Teheran, Stuttgart und Taschkent.

In Guangzhou, dem alten Kanton, wird gerade mit 610 Metern der weltweit höchste Turm gebaut, falls der in Tokyo nicht noch höher wird. Es wird der erste weibliche Fernsehturm der Welt, der nicht phallisch in den chinesischen Himmel ragt, sondern eine Taille hat.

Und es werden fünf Videoarbeiten gezeigt, die sich mit subjektivem Blick um Fernsehtürme kümmern.

Friedrich von Borries: "Aus Berlin haben wir einen Künstler, der in einem sehr schönen Film aus einem Döner mit diesem Dönermesser den Fernsehturm rausformt. Aus Belgrad haben wir eine Popgruppe, die in den Trümmern des von der Nato zerstörten Belgrader Fernsehturms mit einem nationalistischen Pop-Song für den Wideraufbau dieses für sie serbischen Fernsehturmes wirbt. Aus Schanghai haben wir einen chinesischen Künstler, der sich auseinandersetzt mit der Zerstörung, die gerade in Schanghai passiert, für die der Fernsehturm ein Symbol ist. Ja so verschiedene künstlerische Arbeiten sollen dann noch einmal einen weiteren Einblick in die Spannungsfelder geben, in denen diese Fernsehtürme stehen."

Doch nicht nur das, in der Ausstellung geht es auch um die Fernsehtürme in unseren Köpfen.

"Fernsehtürme kann man natürlich nicht ausstellen. Die sind ja viel zu groß, um die in ein Museum zu bringen, und die Modelle und die Fotografien und Zeichnungen haben uns eigentlich auch nicht interessiert, weil die ja an der Wirklichkeit der Türme vorbeigehen. Und wir haben deshalb überlegt, was macht sie wirklich aus? Und was sie ausmacht ist, dass sich ganz viele Leute die aneignen und denen Bedeutungen zuschreiben, und deshalb haben wir Souvenirs und alltagskulturelle Objekte gesammelt aus aller Welt, und die stellen wir aus."

Für diesmal dürfen die Fernsehtürme nicht ins museale Liliputland, stattdessen gibt es jede Menge Trash. Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums:

"Das Volk mag dieses Symbol des Fernsehturms, und es wird gekauft und es wird produziert daher. In vielen Ländern der Welt ist das überall der Fall, in unterschiedlichsten Funktionen werden diese Souvenirs hergestellt, und die werden wir zeigen."

Friedrich von Borries: "Briefmarken, Ohrreiniger, in Fernsehturmform natürlich, aufblasbare Fernsehtürme in grau, andere in rosa, die machen Geräusche, wenn man draufdrückt, passen auch gut in ein Kinderzimmer, Parfums und Schnapsflaschen in Form der jeweiligen Fernsehtürme, die dann auch versprechen, nach der jeweiligen Stadt zu schmecken oder zu riechen. Also kurzum, skurrile Objekte auf den ersten Blick - der gehäkelte Stuttgarter Fernsehturm zum Beispiel - die dann aber doch sehr viel erzählen über die Mentalität der Länder, aus denen sie kommen, über die Bedeutung, die diese Türme hatten und haben."

Friedrich von Borries schwärmt. Menschen ohne Nippes-Allergie werden in Frankfurt bestens bedient. Ob ein gehäkelter Fernsehturm wirklich Ausdruck architektonischer Aneignung ist oder als Beweis für die viel beschworene Baukultur taugt, bleibt freilich einstweilen dahingestellt.