"Weniger Trauertänzer als Lebenstänzer"
Felix Grützner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Palliativmedizin - und bei Beerdigungen tritt er als Trauertänzer auf, um Erinnerungsräume zu schaffen und Räume für Gefühle bei der Trauerfeier. Dabei gehe er vom Leben des Verstorbenen aus und auch von der Situation, in der die Hinterbliebenen sich in dem Moment befinden.
Jan-Christoph Kitzler: Wie nimmt man Abschied, wenn ein Mensch, den man gut kannte, den man mochte, gestorben ist? Oft sitzt am Ende die Trauergemeinde zusammen in einer Friedhofskapelle und ein Pfarrer oder ein Trauerredner hält eine Ansprache. Zusammen erinnert man sich an den Toten, die Tote, und irgendwie ist aber meistens doch jeder mit seinen Gefühlen allein. So ist das die Tradition. Doch es geht auch anders.
Dr. Felix Grützner weiß, was Trauer bedeutet, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Palliativmedizin der Universität Bonn, und er ist ausgebildeter Tänzer. Felix Grützner tritt auf als Trauertänzer, er tanzt in Kirchen auf Beerdigungen, um Erinnerungsräume zu schaffen und Räume für Gefühle bei einer Trauerfeier. Schönen guten Morgen, Herr Grützner.
Felix Grützner: Guten Morgen!
Kitzler: Was tanzen Sie denn da, das Leben der Verstorbenen, das, wofür sie standen, oder versuchen Sie, einen Ausdruck zu finden für die Trauer?
Grützner: Es ist beides, hat beide Aspekte und ich nenne mich selber eigentlich weniger Trauertänzer als Lebenstänzer, weil ich vom Leben des Verstorbenen ausgehe und auch von der Situation, in der die Hinterbliebenen sich jetzt befinden. Das heißt, mein Tanzen beginnt schon mit der Trauer, die ich aufgreife, aber ich versuche, im Laufe des Tanzes auch eine Ahnung davon zu geben, wie das Leben danach oder mit dem Verlust aussehen kann.
Kitzler: Wir können das im Radio ja leider nicht sehen. Aber wie muss man sich das bildlich vorstellen?
Grützner: Das sind sehr einfache ruhige Bewegungen, die oft einfache Gesten sind, die es den Hinterbliebenen ermöglichen, über diese Bewegungen, die ihnen bekannt vorkommen, in eine innere Bewegung zu gehen. Das heißt, es ist eine Geste wie Festhalten, wie Loslassen, wie Suchen, wie nicht gehen lassen wollen, wie sich fragen, ob das alles ist. Ich streiche mit der Hand über den Boden, so wie man vielleicht am Grab steht und denkt, war das jetzt alles, und dann kommt so die Erkenntnis, nun ja, die Erinnerungen, die bleiben ja auf jeden Fall und ich spüre auch eine Verbundenheit mit dem Verstorbenen über den Tod hinaus.
Kitzler: Wie bereiten Sie sich eigentlich auf so eine Aufführung vor, auf so einen Trauertanz, einen Lebenstanz, wie Sie sagen?
Grützner: Ja es ist wichtig, mit den Angehörigen zu sprechen, etwas über den Menschen zu erfahren, um den es geht, auch zu erfahren, was die Familie, was die Zugehörigen mit dem Verstorbenen verbinden, damit ich mir ein Bild machen kann und eine Ahnung bekomme vom Leben und vom Leiden dieses Menschen.
Kitzler: Bei uns sind Trauerfeiern ja eigentlich eher steife Veranstaltungen. Viele, die trauern, die machen sich eher hart. Passt eigentlich das, was Sie machen, der Tanz in unsere Tradition irgendwie?
Grützner: Es ist zunächst ja sehr ungewohnt. Wenn man sich aber Gottesdienstfeiern an sich anschaut, die Liturgie ist voll mit Körpersprache. Wenn der Priester die Arme ausbreitet zum Gebet, die Segensgeste, da ist eigentlich viel Körpersprache drin. Wir kennen den Tanz weniger. Es gab allerdings auch Zeiten, auch in der christlichen Tradition, wo Tanz und Bewegung eine Rolle spielten im Gottesdienst. Was das Ungewöhnliche ist, dass mit meinem Tanzen ein Raum für Emotionen geschaffen wird, weil die Bewegung des Körpers, der Ausdruckstanz – so kann man es auch nennen – Raum für Gefühle schafft, und das ist etwas Ungewohntes.
Kitzler: Leben heißt ja an sich irgendwie in Bewegung sein, beweglich sein. Ist also das, was Sie machen, schon an sich von der Handlung her Trost für die Trauergemeinde?
Grützner: Ja ich kann mir das vorstellen. Ich bekomme auch solche Rückmeldungen, dass es ein bisschen das Gefühl ist, da wird etwas verstanden. Man kann ja oftmals nicht verstehen, wenn jemand in tiefem Leid ist und man selber nicht betroffen ist, ist das kein Verstehen, aber ein Ahnen, und das verbindet schon, und das spendet auch Trost. Es kommt aber auch dazu, dass Angehörige beispielsweise sagen, ich habe da meine Mutter gesehen, ich fühlte mich erinnert und das hat mir Freude fast bereitet, mich noch mal so mit meiner Mutter, die verstorben ist, zu verbinden.
Kitzler: Sie arbeiten ja im Bereich der Palliativmedizin. Was ist Ihre Erfahrung? Müssen wir in Deutschland vielleicht das Trauern wieder ein bisschen neu lernen?
Grützner: Ich glaube, Trauern tun wir. Wir tun es aber oftmals, ich sage mal, hinter verschlossenen Türen oder mit verschlossenen Gesichtern. Die Trauer nach außen dringen zu lassen, sich zu trauen, also auch vertrauen darauf, dass die Umwelt damit umgehen kann, mit der gezeigten Trauer, das würde, glaube ich, viel an Spannung nehmen.
Trauernde fühlen sich oft einsam, unverstanden, haben Hemmungen, weil sie wissen, es fällt den anderen schwer, damit umzugehen. Ich kann nur sagen, es ist ganz wichtig, auch Trauernde anzusprechen. Sie sind oft sehr dankbar dafür, wenn sie eine Möglichkeit bekommen, über ihren Verlust, über ihren Schmerz zu sprechen.
Kitzler: Aber vielleicht ist ja gerade das Sprechen das Problem, dass wir gar nicht so die richtigen Worte finden, dass wir sprachlos sind. Können Sie mit Ihrem Tanz vielleicht auch Dinge ausdrücken, die man in keiner Trauerrede sagen kann?
Grützner: Ja, würde ich auf jeden Fall bejahen. Das sind Dinge, die einen innerlich bewegen in solchen Situationen, die man ganz schwer nur in Worte fassen kann, und da ist eben die Körpersprache etwas, was viel umfänglicher sein kann. Und wenn Sie eine Trauergemeinde haben von 50 Menschen, dann wird jeder Einzelne eine andere Geschichte, einen anderen Tanz gesehen haben, anderes mit meinen Bewegungen verbinden, und gleichzeitig ist es trotzdem ein gemeinschaftliches Erleben, jeder für sich, aber alle gemeinsam. Niemand muss etwas sagen, niemand muss über seine Gefühle sprechen, aber darf ihnen Raum geben.
Kitzler: Sie machen ja Ihren Lebenstanz auch in der Kirche. Wie reagieren denn die Menschen dort, wie reagiert die Gemeinde und wie reagiert der Pfarrer?
Grützner: Es gibt oftmals Überraschungen. Richtige Ablehnung habe ich eigentlich nie erfahren. Es gibt Menschen, die nicht so sehr berührt werden wollen in der Kirche, im Kirchenraum, im Gottesdienst oder in der Trauerfeier, und da habe ich großes Verständnis, wenn jemand dann sagt, ich kann da nicht hinschauen, das geht mir zu nahe, weil sie vielleicht emotional in so einer Verfassung sind, dass sie sagen, ich möchte und kann da jetzt nicht so einsteigen. Und Bewegung geht sehr direkt in die Emotionen und spricht die Gefühle an.
Kitzler: Felix Grützner, als Lebenstänzer auf Trauerfeiern. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag.
Grützner: Danke ebenfalls.
Kitzler: Und wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, weitere Informationen gibt es unter www.lebenstaenzer.de.Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dr. Felix Grützner weiß, was Trauer bedeutet, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Palliativmedizin der Universität Bonn, und er ist ausgebildeter Tänzer. Felix Grützner tritt auf als Trauertänzer, er tanzt in Kirchen auf Beerdigungen, um Erinnerungsräume zu schaffen und Räume für Gefühle bei einer Trauerfeier. Schönen guten Morgen, Herr Grützner.
Felix Grützner: Guten Morgen!
Kitzler: Was tanzen Sie denn da, das Leben der Verstorbenen, das, wofür sie standen, oder versuchen Sie, einen Ausdruck zu finden für die Trauer?
Grützner: Es ist beides, hat beide Aspekte und ich nenne mich selber eigentlich weniger Trauertänzer als Lebenstänzer, weil ich vom Leben des Verstorbenen ausgehe und auch von der Situation, in der die Hinterbliebenen sich jetzt befinden. Das heißt, mein Tanzen beginnt schon mit der Trauer, die ich aufgreife, aber ich versuche, im Laufe des Tanzes auch eine Ahnung davon zu geben, wie das Leben danach oder mit dem Verlust aussehen kann.
Kitzler: Wir können das im Radio ja leider nicht sehen. Aber wie muss man sich das bildlich vorstellen?
Grützner: Das sind sehr einfache ruhige Bewegungen, die oft einfache Gesten sind, die es den Hinterbliebenen ermöglichen, über diese Bewegungen, die ihnen bekannt vorkommen, in eine innere Bewegung zu gehen. Das heißt, es ist eine Geste wie Festhalten, wie Loslassen, wie Suchen, wie nicht gehen lassen wollen, wie sich fragen, ob das alles ist. Ich streiche mit der Hand über den Boden, so wie man vielleicht am Grab steht und denkt, war das jetzt alles, und dann kommt so die Erkenntnis, nun ja, die Erinnerungen, die bleiben ja auf jeden Fall und ich spüre auch eine Verbundenheit mit dem Verstorbenen über den Tod hinaus.
Kitzler: Wie bereiten Sie sich eigentlich auf so eine Aufführung vor, auf so einen Trauertanz, einen Lebenstanz, wie Sie sagen?
Grützner: Ja es ist wichtig, mit den Angehörigen zu sprechen, etwas über den Menschen zu erfahren, um den es geht, auch zu erfahren, was die Familie, was die Zugehörigen mit dem Verstorbenen verbinden, damit ich mir ein Bild machen kann und eine Ahnung bekomme vom Leben und vom Leiden dieses Menschen.
Kitzler: Bei uns sind Trauerfeiern ja eigentlich eher steife Veranstaltungen. Viele, die trauern, die machen sich eher hart. Passt eigentlich das, was Sie machen, der Tanz in unsere Tradition irgendwie?
Grützner: Es ist zunächst ja sehr ungewohnt. Wenn man sich aber Gottesdienstfeiern an sich anschaut, die Liturgie ist voll mit Körpersprache. Wenn der Priester die Arme ausbreitet zum Gebet, die Segensgeste, da ist eigentlich viel Körpersprache drin. Wir kennen den Tanz weniger. Es gab allerdings auch Zeiten, auch in der christlichen Tradition, wo Tanz und Bewegung eine Rolle spielten im Gottesdienst. Was das Ungewöhnliche ist, dass mit meinem Tanzen ein Raum für Emotionen geschaffen wird, weil die Bewegung des Körpers, der Ausdruckstanz – so kann man es auch nennen – Raum für Gefühle schafft, und das ist etwas Ungewohntes.
Kitzler: Leben heißt ja an sich irgendwie in Bewegung sein, beweglich sein. Ist also das, was Sie machen, schon an sich von der Handlung her Trost für die Trauergemeinde?
Grützner: Ja ich kann mir das vorstellen. Ich bekomme auch solche Rückmeldungen, dass es ein bisschen das Gefühl ist, da wird etwas verstanden. Man kann ja oftmals nicht verstehen, wenn jemand in tiefem Leid ist und man selber nicht betroffen ist, ist das kein Verstehen, aber ein Ahnen, und das verbindet schon, und das spendet auch Trost. Es kommt aber auch dazu, dass Angehörige beispielsweise sagen, ich habe da meine Mutter gesehen, ich fühlte mich erinnert und das hat mir Freude fast bereitet, mich noch mal so mit meiner Mutter, die verstorben ist, zu verbinden.
Kitzler: Sie arbeiten ja im Bereich der Palliativmedizin. Was ist Ihre Erfahrung? Müssen wir in Deutschland vielleicht das Trauern wieder ein bisschen neu lernen?
Grützner: Ich glaube, Trauern tun wir. Wir tun es aber oftmals, ich sage mal, hinter verschlossenen Türen oder mit verschlossenen Gesichtern. Die Trauer nach außen dringen zu lassen, sich zu trauen, also auch vertrauen darauf, dass die Umwelt damit umgehen kann, mit der gezeigten Trauer, das würde, glaube ich, viel an Spannung nehmen.
Trauernde fühlen sich oft einsam, unverstanden, haben Hemmungen, weil sie wissen, es fällt den anderen schwer, damit umzugehen. Ich kann nur sagen, es ist ganz wichtig, auch Trauernde anzusprechen. Sie sind oft sehr dankbar dafür, wenn sie eine Möglichkeit bekommen, über ihren Verlust, über ihren Schmerz zu sprechen.
Kitzler: Aber vielleicht ist ja gerade das Sprechen das Problem, dass wir gar nicht so die richtigen Worte finden, dass wir sprachlos sind. Können Sie mit Ihrem Tanz vielleicht auch Dinge ausdrücken, die man in keiner Trauerrede sagen kann?
Grützner: Ja, würde ich auf jeden Fall bejahen. Das sind Dinge, die einen innerlich bewegen in solchen Situationen, die man ganz schwer nur in Worte fassen kann, und da ist eben die Körpersprache etwas, was viel umfänglicher sein kann. Und wenn Sie eine Trauergemeinde haben von 50 Menschen, dann wird jeder Einzelne eine andere Geschichte, einen anderen Tanz gesehen haben, anderes mit meinen Bewegungen verbinden, und gleichzeitig ist es trotzdem ein gemeinschaftliches Erleben, jeder für sich, aber alle gemeinsam. Niemand muss etwas sagen, niemand muss über seine Gefühle sprechen, aber darf ihnen Raum geben.
Kitzler: Sie machen ja Ihren Lebenstanz auch in der Kirche. Wie reagieren denn die Menschen dort, wie reagiert die Gemeinde und wie reagiert der Pfarrer?
Grützner: Es gibt oftmals Überraschungen. Richtige Ablehnung habe ich eigentlich nie erfahren. Es gibt Menschen, die nicht so sehr berührt werden wollen in der Kirche, im Kirchenraum, im Gottesdienst oder in der Trauerfeier, und da habe ich großes Verständnis, wenn jemand dann sagt, ich kann da nicht hinschauen, das geht mir zu nahe, weil sie vielleicht emotional in so einer Verfassung sind, dass sie sagen, ich möchte und kann da jetzt nicht so einsteigen. Und Bewegung geht sehr direkt in die Emotionen und spricht die Gefühle an.
Kitzler: Felix Grützner, als Lebenstänzer auf Trauerfeiern. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag.
Grützner: Danke ebenfalls.
Kitzler: Und wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, weitere Informationen gibt es unter www.lebenstaenzer.de.Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.