Weniger ist Zukunft
Die Internationale Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 (IBA) reagiert auf eine fatale demografische Entwicklung. Die Städte in Sachsen-Anhalt verlieren immer mehr Bürger. An 19 Beispielen will die IBA zeigen, dass ein kreativer Umgang mit schrumpfenden Städten möglich ist.
2001 schlug die Wohnungswirtschaft Alarm. In den neuen Ländern ließen sich Wohnungen kaum noch vermieten. Es gab ein Problem: Die ostdeutschen Städte schrumpften, und es war an der Zeit, das offen anzusprechen. Während die maroden Städte mit üppigem Geld saniert und gerettet wurden, liefen gleichzeitig den Kommunen die Bewohner weg. Sonja Beeck von der IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt.
"Wenn man allerdings mit den Menschen in den Städten gesprochen hat, die wussten schon lange, was passiert war. Ihre Kinder waren ja schon weggezogen oder auch der Nachbar war woanders hingezogen, also da war ein Bewusstsein da, man sprach aber nicht so richtig darüber. Genauso war es auch durchaus schwierig, mit den Bürgermeistern und Stadtverantwortlichen zu einem wirklich klaren, offenen Gespräch zu kommen. Denn man tritt als Bürgermeister nicht gerne vor die Gemeinde und hat gesagt, liebe Leute wir haben ein Problem, wir verlieren Bevölkerung, wir schrumpfen. Das ist in einer komplett wachstumsorientierten Gesellschaft eine so erschütternde Nachricht, dass man so ein bisschen drum rum gewurstelt hat."
Das Land Sachsen-Anhalt hat damals nicht weggeschaut. Mit dem Mut des Verzweifelten wurde 2002 eine Internationale Bauausstellung auf den Weg gebracht, die sich der Schrumpfungsproblematik offensiv stellt. 41 Kommunen wurden angeschrieben. 19 von ihnen wurden IBA-Städte, von Aschersleben bis Weißenfels. André Schröder, Staatssekretär im Magdeburger Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr.
"Mit dem Thema beherzt umzugehen, es offen anzusprechen, bedeutet natürlich nicht und genau nicht an der Problembeschreibung stehen zu bleiben, sondern es bedeutet, Lösungen vorzuschlagen. Das ist uns, glaube ich, in den 19 Städten ganz exemplarisch gelungen, und viele werden möglicherweise als Besucher auch überrascht sein über die Möglichkeiten, die diese Entwicklung auch eröffnet. Und deswegen ist Schrumpfung vielleicht das Ausgangswort, aber wie wir uns entwickeln, das wird doch bei uns ganz deutlich."
Stadtentwicklung rückwärts. Wie geht Schrumpfen? Jede Kommune sollte ein zentrales Thema finden, bezogen auf die lokale Situation. Lösungen von der Stange gab es nicht. Hilfe kam von den IBA-Mitarbeitern, die wissenschaftliches Know-how und neue Ideen mit in die Rathäuser brachten. Das Coaching war Hilfe zur Selbsthilfe, den Schwung und Elan mussten die Stadtbewohner dann selbst aufbringen.
Auf Leuchtturmprojekte wurde verzichtet, die wären auch gar nicht bezahlbar gewesen, denn die IBA musste mit 207 Millionen Euro zurande kommen. In der Ausstellung werden die 19 Projekte in fünf Labor-Schwerpunkten gezeigt. Philipp Oswalt, Leiter der Dessauer Bauhausstiftung.
"Das ist das Thema der Stadtformen, zweites Thema ist die Landschaft, wenn Gebäude abgerissen werden, was tritt an ihre Stelle. Das ist dann in der Regel die Landschaft, aber wie kann sie in die Stadt integriert werden? Das dritte Labor hat das Thema Bildung, ein ganz strategisches Thema, dann das vierte Thema bauliches Erbe, wie kann man dieses bauliche Erbe erhalten, zum Teil auch ohne Nutzung und als letztes Thema die Frage der Identität. Im Labor Identität werden Bespiele gegeben, wie durch die Aktivierung von historischem Erbe in Städten wie Köthen und Eisleben praktisch neue Schwerpunkte gesetzt werden."
Wittenberg setzt auf Bildung. Der außeruniversitäre Campus Wittenberg bündelt die vielen Bildungsakteure, die es in der Lutherstadt gibt. Das schafft Bedarf für neue Räumlichkeiten, ein schöner Anlass, Häuser zu renovieren. In Köthen erinnert man sich an Samuel Hahnemann, den Begründer der Homöopathie, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Köthen gelebt und gearbeitet hat.
Stadtplaner und Ärzte saßen zusammen und haben überlegt, wie sich ein kranker Stadtkörper regenerieren könnte. Um zu genesen, muss sich die Situation kurzfristig verschlimmern, sagen die Homöopathen. In der Ludwigstraße haben die Stadtplaner das ausprobiert. Ein Teil der Häuser sollte abgerissen werden. Die Bewohner waren mutlos und besorgt. Kurz vor Weihnachten 2007 wurde ihnen das Licht abgedreht.
"Nachmittags um sechs wurde es dunkel, sofort gingen Gerüchte rum, die IBA kommt heute Nacht und sprengt die Häuser, ganz wilde Gerüchte gingen durch die Straße. Danach wurden die Häuser angestrahlt und alle Anwohner, vor allen Dingen die Hausbesitzer haben wir im Hotel zu einer Aussprache eingeladen. Zwei Stunden lang hat sich eine deutliche Betroffenheit entladen und es gab eine ziemliche Schreierei. Und gekippt ist die Situation erst, als einer der Hausbesitzer den Arm hob und nachfragte, was denn das Grundstück kosten würde, wenn er es übernimmt."
In der Ludwigstraße blieben die Häuser stehen und wurden renoviert. Der Dessauer Überblick macht Lust auf mehr. Qualitatives Wachstum ist das neue Zauberwort. Passgenaue Maßnahmen zu Verbesserung der kommunalen Infrastruktur. Flankiert wird die Präsentation von einem Blick auf die Geschichte des neu entstandenen Flächenstaats und von drei Zukunftsvisionen, die Sachsen-Anhalt als blühende Landschaft zeigen, als ökologisch korrektes Musterländle mit prima Lebensqualität.
Diese Bauausstellung zielt auf den Kopf. In Sachsen-Anhalt wird ein Mentalitätswechsel erprobt, ein neues Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Stadt. Japaner und Skandinavier sind schon hellhörig geworden, sie erkunden, wie das bundesdeutsche Aschenputtel-Land mutig in die Zukunft blickt. Wer das Schaulaufen internationaler Star-Architekten vermisst, muss auf die nächste Bauausstellung in Hamburg warten. 2013 geht es dann wieder um Wachstumsprobleme und um Eventkultur, aber schließlich kann sich nicht jeder eine Elbphilharmonie leisten.
Weitere Informationen:
www.bauhaus-dessau.de
"Wenn man allerdings mit den Menschen in den Städten gesprochen hat, die wussten schon lange, was passiert war. Ihre Kinder waren ja schon weggezogen oder auch der Nachbar war woanders hingezogen, also da war ein Bewusstsein da, man sprach aber nicht so richtig darüber. Genauso war es auch durchaus schwierig, mit den Bürgermeistern und Stadtverantwortlichen zu einem wirklich klaren, offenen Gespräch zu kommen. Denn man tritt als Bürgermeister nicht gerne vor die Gemeinde und hat gesagt, liebe Leute wir haben ein Problem, wir verlieren Bevölkerung, wir schrumpfen. Das ist in einer komplett wachstumsorientierten Gesellschaft eine so erschütternde Nachricht, dass man so ein bisschen drum rum gewurstelt hat."
Das Land Sachsen-Anhalt hat damals nicht weggeschaut. Mit dem Mut des Verzweifelten wurde 2002 eine Internationale Bauausstellung auf den Weg gebracht, die sich der Schrumpfungsproblematik offensiv stellt. 41 Kommunen wurden angeschrieben. 19 von ihnen wurden IBA-Städte, von Aschersleben bis Weißenfels. André Schröder, Staatssekretär im Magdeburger Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr.
"Mit dem Thema beherzt umzugehen, es offen anzusprechen, bedeutet natürlich nicht und genau nicht an der Problembeschreibung stehen zu bleiben, sondern es bedeutet, Lösungen vorzuschlagen. Das ist uns, glaube ich, in den 19 Städten ganz exemplarisch gelungen, und viele werden möglicherweise als Besucher auch überrascht sein über die Möglichkeiten, die diese Entwicklung auch eröffnet. Und deswegen ist Schrumpfung vielleicht das Ausgangswort, aber wie wir uns entwickeln, das wird doch bei uns ganz deutlich."
Stadtentwicklung rückwärts. Wie geht Schrumpfen? Jede Kommune sollte ein zentrales Thema finden, bezogen auf die lokale Situation. Lösungen von der Stange gab es nicht. Hilfe kam von den IBA-Mitarbeitern, die wissenschaftliches Know-how und neue Ideen mit in die Rathäuser brachten. Das Coaching war Hilfe zur Selbsthilfe, den Schwung und Elan mussten die Stadtbewohner dann selbst aufbringen.
Auf Leuchtturmprojekte wurde verzichtet, die wären auch gar nicht bezahlbar gewesen, denn die IBA musste mit 207 Millionen Euro zurande kommen. In der Ausstellung werden die 19 Projekte in fünf Labor-Schwerpunkten gezeigt. Philipp Oswalt, Leiter der Dessauer Bauhausstiftung.
"Das ist das Thema der Stadtformen, zweites Thema ist die Landschaft, wenn Gebäude abgerissen werden, was tritt an ihre Stelle. Das ist dann in der Regel die Landschaft, aber wie kann sie in die Stadt integriert werden? Das dritte Labor hat das Thema Bildung, ein ganz strategisches Thema, dann das vierte Thema bauliches Erbe, wie kann man dieses bauliche Erbe erhalten, zum Teil auch ohne Nutzung und als letztes Thema die Frage der Identität. Im Labor Identität werden Bespiele gegeben, wie durch die Aktivierung von historischem Erbe in Städten wie Köthen und Eisleben praktisch neue Schwerpunkte gesetzt werden."
Wittenberg setzt auf Bildung. Der außeruniversitäre Campus Wittenberg bündelt die vielen Bildungsakteure, die es in der Lutherstadt gibt. Das schafft Bedarf für neue Räumlichkeiten, ein schöner Anlass, Häuser zu renovieren. In Köthen erinnert man sich an Samuel Hahnemann, den Begründer der Homöopathie, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Köthen gelebt und gearbeitet hat.
Stadtplaner und Ärzte saßen zusammen und haben überlegt, wie sich ein kranker Stadtkörper regenerieren könnte. Um zu genesen, muss sich die Situation kurzfristig verschlimmern, sagen die Homöopathen. In der Ludwigstraße haben die Stadtplaner das ausprobiert. Ein Teil der Häuser sollte abgerissen werden. Die Bewohner waren mutlos und besorgt. Kurz vor Weihnachten 2007 wurde ihnen das Licht abgedreht.
"Nachmittags um sechs wurde es dunkel, sofort gingen Gerüchte rum, die IBA kommt heute Nacht und sprengt die Häuser, ganz wilde Gerüchte gingen durch die Straße. Danach wurden die Häuser angestrahlt und alle Anwohner, vor allen Dingen die Hausbesitzer haben wir im Hotel zu einer Aussprache eingeladen. Zwei Stunden lang hat sich eine deutliche Betroffenheit entladen und es gab eine ziemliche Schreierei. Und gekippt ist die Situation erst, als einer der Hausbesitzer den Arm hob und nachfragte, was denn das Grundstück kosten würde, wenn er es übernimmt."
In der Ludwigstraße blieben die Häuser stehen und wurden renoviert. Der Dessauer Überblick macht Lust auf mehr. Qualitatives Wachstum ist das neue Zauberwort. Passgenaue Maßnahmen zu Verbesserung der kommunalen Infrastruktur. Flankiert wird die Präsentation von einem Blick auf die Geschichte des neu entstandenen Flächenstaats und von drei Zukunftsvisionen, die Sachsen-Anhalt als blühende Landschaft zeigen, als ökologisch korrektes Musterländle mit prima Lebensqualität.
Diese Bauausstellung zielt auf den Kopf. In Sachsen-Anhalt wird ein Mentalitätswechsel erprobt, ein neues Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Stadt. Japaner und Skandinavier sind schon hellhörig geworden, sie erkunden, wie das bundesdeutsche Aschenputtel-Land mutig in die Zukunft blickt. Wer das Schaulaufen internationaler Star-Architekten vermisst, muss auf die nächste Bauausstellung in Hamburg warten. 2013 geht es dann wieder um Wachstumsprobleme und um Eventkultur, aber schließlich kann sich nicht jeder eine Elbphilharmonie leisten.
Weitere Informationen:
www.bauhaus-dessau.de