Weniger Einwohner, mehr Qualität
Das Ruhrgebiet. In den sechziger Jahren wuchs die Region zu einem der einwohnerstärksten Ballungsräume weltweit. Mit der Stahlkrise begann der Schrumpfungsprozess, das Ruhrgebiet verliert Einwohner. Nun lässt Duisburg erkunden, was Schrumpfung bedeutet und welche Konsequenzen anstehen - vor allem planerisch und sozial.
Heinz Maschke: "Hier wird - Gott sei Dank - noch richtig gearbeitet ... Diese zwei Hochöfen gehören zu den größten Europas..."
Heinz Maschke beugt sich aus seinem Bürofenster und zeigt nach links auf die beiden Metallriesen, die über die Jahre eine braune Rost-Patina angesetzt haben. Die schwüle Juliluft dünstet den Geruch von Kokskohle aus. Fremde riechen das. "Merk ich nichts von!", meint Heinz Maschke. Als sei die Feststellung schon ein Vorwurf.
Der Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Duisburg hat sein Leben lang im schwerindustriellen Norden der Stadt gewohnt, da gewöhnt man sich an die Abluft der Stahlkocher. Jetzt arbeitet er auch dort. Im Stadtteil Marxloh hat er sein Büro. Marxloh, Bruckhausen, Beeck und auch das weiter südlich gelegene Hochfeld zählen zu den Problemzonen der Stadt. Und zu Maschkes Betätigungsfeld.
Seit 1999 kümmern sich rund 30 Architekten, Ingenieure, Sozialwissenschaftler, Wirtschafts- und Verwaltungsfachleute der Entwicklungsgesellschaft mbH um die Belange der Stadtteil-Bewohner. Es geht um Spielplätze, Fassadenrenovierungen oder um Leerstände beim Einzelhandel. Stadtentwicklung im Kleinen und ganz praktisch. Die vier Stadtteile gehören zur A-Gruppe: A wie hoher Ausländeranteil und hohe Arbeitslosenquote.
Maschke: "Image des Nordens ist aus vielen Gründen negativ... hauptsächlich aber aus Umweltgründen."
Doch das ändert sich gerade. Mittlerweile kommen die ersten wieder zurück, die vor 15, 20 Jahren, als der Ruß noch regelmäßig über die Dächer regnete, ins grünere Umland gezogen waren. Die frei gewordenen Wohnungen hatten damals überwiegend Türken übernommen. Marxloh hat jetzt einen 35-prozentigen, Bruckhausen einen 50-prozentigen Anteil türkischstämmiger Bewohner. Was den Stadtteilen demnächst gut zu Gesichte stehen wird. Denn die Schmuddelkinder von heute werden spätestens in anderthalb Jahrzehnten - zumindest was die Infrastruktur betrifft -, stabile, sprich: ausgelastete Viertel sein.
Ganz im Gegensatz zum attraktiveren Süden Duisburgs, in dem besser verdient und schöner gewohnt wird. Und dort ist es auch landschaftlich reizvoller. Doch das wird in Zukunft nicht mehr so viel wert sein, wenn die Überalterung in Duisburg-Süd um sich greift. Dann nämlich werden Schulen und Kindergärten leer stehen, ganze Wohnblocks überflüssig werden und der öffentliche Nahverkehr nicht mehr so gefragt sein.
All das und manches mehr an Veränderung wird im nur acht bis zehn Kilometer entfernten Norden so nicht eintreten. Dort wird die Geburtenrate 2020, so haben Wissenschaftler errechnet, ungefähr so hoch sein, dass die steigende Sterbequote aufgefangen werden kann, größere Leerstände auf dem Immobilienmarkt wird es nicht geben und alle heute vorhandenen Kindergärten und Schulen werden auch dann noch vonnöten sein.
So hatte das Stadtentwicklungsdezernent Jürgen Dressler gar nicht auf der Rechnung, als er daran ging, die Zukunft Duisburgs erforschen zu lassen.
Dressler: "Wir sind davon überzeugt gewesen, das der Duisburger Norden unser Problem sein wird. Doch umgekehrt. Der feine Duisburger Süden wird unser Problem werden."
Jürgen Dressler ist 58 Jahre. Er hat den Ruhestand vor Augen, was ihm eine spürbare Unabhängigkeit verschafft. Er gehört zu denen, die sagen, was sie denken. Typ Klartext. Er hat eine Studie in Auftrag gegeben, die herausbekommen soll, wie sich der demografische Wandel in den nächsten Jahrzehnten auf Duisburg auswirken wird. Verbunden ist damit die Frage, welche Infrastruktur sich die Stadt dann noch wird leisten können.
Politisch will er die Diskussion jetzt noch gar nicht führen, erst sollen die Fakten auf den Tisch. Deshalb weiß der Rat der Stadt über die Studie gerade so viel, wie die Damen und Herren aus den lokalen Zeitungen erfahren konnten, denn der Vorstoß Dresslers schlägt schon Wellen.
Dressler: "Der Rat weiß gar nichts. Ich tue derzeit etwas illegales."
Jürgen Dressler ist der lebende Beweis für eine Beobachtung, die der Dortmunder Raumplaner Professor Hans Blotevogel bei seinen Studien über den Schrumpfungsprozess im Ruhrgebiet gemacht hat.
Blotevogel: "Stadträte tun sich schwer mit dem Begriff "Schrumpfung”, da sie mit diesem negativ besetzten Wort keine Wahlen gewinnen können. Die Verwaltung ist da schon weiter."
Duisburg, seit Horst Schimanski Inbegriff rauer Industrieromantik, die im Film immer etwas melancholischer daher kam, als es die echten Schimanskis im Hafen und an den Hochöfen im Alltag wirklich erlebten, schrumpft seit Jahren schon zusammen. 1975, nach den Eingemeindungen, lag die Einwohnerzahl noch bei 608.000. Im letzten Jahr zählte der Kämmerer nur noch 504.000 Menschen. Minus 103.000 Bürger in weniger als 30 Jahren. Und der Kassenwart der Stadt merkt so etwas als erster, denn Einwohnerverlust heißt vor allem Steuerverlust, denn die Einkommenssteuer ist am Wohnort fällig.
Dabei schien Duisburg lange auf einem erfolgreichen Sonderweg innerhalb des Reviers zu wandeln, denn die Verlagerung der Stahlproduktion von der Mitte und dem Osten des Ruhrgebiets Richtung Westen, nach Duisburg, an den Rhein, von wo der Weitertransport des Stahls am kostengünstigsten war, bescherte der Stadt noch knappe 20 Jahre stabile Verhältnisse in der Schwerindustrie, als der Pott schon lange unter dem Strukturwandel zu leiden hatte.
Doch vorbei der Sonderweg. Bis 2020 wird Duisburg noch einmal runde 25.000 Bewohner verlieren, im Jahresschnitt mehr als 1.500. Bis dahin wird der Bedarf an Wohnungen trotz Schrumpfung noch zunehmen. Dafür ist vor allem die Singlegesellschaft verantwortlich. Aber danach?
Duisburgs Stadtentwicklungs-dezernent Jürgen Dressler stellt schon jetzt die entscheidende Frage.
"Wir haben eine gewisse Vermutung, was 2015, 2020 demographisch los ist. Was können wir uns dann überhaupt noch leisten?"
Um das Zukunfts-Szenario konkret zu machen, schritt Dressler zur Tat. Er engagierte das Stadtentwicklungsbüro Albert Speer & Partner in Frankfurt und das bundesweit tätige Ingenieurbüro Vössing. Die sollen nun herausfinden, wie sich Deutschlands zwölftgrößte Kommune baulich, planerisch und sozial auf ein Duisburg mit deutlich weniger als 500.000 Einwohnern einstellen kann.
Ergebnisse werden im Herbst präsentiert, doch Astrid Adamchak, Geografin von Hause aus und mit im Projektteam im Ingenieurbüro Vössing, gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf eine möglich Folge.
Adamchak: " Es gibt die Idee des Shuttle-Systems für Schüler... das ist auf jeden Fall eine Zielrichtung."
Konkret: Wenn Duisburg in 15 Jahren gerade im gediegenen Süden nicht mehr die Anzahl an Schulen benötigt, die heute noch voll ausgelastet sind, dann könnte die Stunde des Bustransfers der Schüler von Süd nach Nord gekommen sein. Planungsdezernent Dressler macht da gar kein Hehl draus.
"Was können wir uns dann noch leisten? Beispiel Schulen. Brauchen dann nur noch 200 statt 400 Schulen. Dann müssen wir die verbliebenen Schüler mit dem Shuttle-Bus zu den Schulen bringen."
Und die nötigen Veränderungen machen vor nichts halt. Wohnungen, die nicht mehr gebraucht werden, müssen "rückgebaut" werden, wie es im Sprachgebrauch der Städteplaner etwas verklärend heißt. Laien übersetzen Rückbau konkreter mit Abriss.
Der Schrumpfungsprozess speziell im Ruhrgebiet wirft allerdings noch ganz andere, hochpolitische, Fragen auf. Essen und Gelsenkirchen geht es nämlich ähnlich wie Duisburg. Beide Kommunen verlieren, relativ gesehen, sogar noch mehr Einwohner als Duisburg. Überhaupt: Das ganze Ruhrgebiet befindet sich auf dem demographischen Rückzug, hat Professor Hans Blotevogel von Uni Dortmund herausgefunden.
"Innerhalb des Reviers unterschiedliche Entwicklung der Schrumpfung. vor allem entlang der Emscher-Linie, aber auch in Hagen oder in Wuppertal, das nicht mehr zum Ruhrgebiet gezählt wird. Beide Städte sind so genannte altindustrielle Kommunen."
In 15 Jahren werden über 300.000 Menschen weniger in Deutschlands größtem Ballungsraum leben, als heute noch gemeldet sind. Die Not gebietet eigentlich Kooperation. Doch an der Stelle sind Revierstädte besonders empfindlich, hat Michael Buchmann, der Projektleiter der Vössing GmbH, schon feststellen müssen.
Buchmann: "....keine Abstimmung zwischen Revierstädten... Konkurrenzsituation... Ruhrstadt könnte da helfen."
Jürgen Dressler kennt die Kirchturm-Politik im Ruhrpott. Gerade deshalb will er heilige Kühe schlachten und den Wahnsinn der kleinteiligen Vollversorgung stoppen. Beispiel: die philharmonischen Orchester.
"Haben fünf oder sechs Philharmonie-Orchester im Revier. Warum eigentlich kein Jazz-Orchester, oder eins für Unterhaltungsmusik? "
Und seine Vorschläge gehen weiter, mitten ins Herz derer, die ihre Identität vor allem über die Fußball-Clubs entlang der A 40 schöpfen.
"Oberschwachsinn - bauen überall neue Stadien für jeden Karnickelverein. Warum nicht für Mönchengladbach, Krefeld, unseren MSV und ein zentrales "Niederrhein-Stadion"? Kein Münchner wäre so bekloppt wie wir und würde jedem Verein sein eigenes Stadion bauen."
Dressler hält die Vorstellung, eine Kommune könne auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten noch die gesamte gewohnte Infrastruktur vorhalten, für eine große Lebenslüge. Die Idee einer Ruhrstadt, die in einer Region, in der statistisch gesehen alle acht Kilometer eine neue Stadtgrenze verläuft, einige Aufgaben verteilt und nicht mehr jeder alles macht, hält er deshalb für dringend geboten.
Dressler: "Bin Verfechter der Ruhrstadt... Dass wir uns hier 50 Oberbürgermeister, Hunderte Dezernenten usw. leisten, ist ökonomischer Unsinn."
Der Wissenschaftler Hans Blotevogel sieht die Ruhrstadt-Idee kritischer.
"Wenn man viele schwache Kandidaten zusammenwirft, wird das noch lange kein starker Kandidat."
Jürgen Dressler drängt und macht folgende Rechnung auf, falls es nicht gelingen sollte, rechtzeitig die Infrastruktur Duisburgs auf die Verkleinerung der Stadt anzupassen.
"Was ist denn, wenn wir nur eine ein- oder zweiprozentige Zinserhöhung bekommen? Das ist doch der sofortige kommunale Suizid!"
Vor kurzem war Dezernent Dressler in Istanbul. Eine Stadt, die von den unter 30-Jährigen geprägt wird. "Und dann komme ich zurück nach Duisburg und denke ich bin im Altersheim", erzählt er. So ein bisschen ist Bruckhausen, Beeck und Marxloh wie Istanbul. Hier sorgen vor allem die türkischstämmigen Duisburger dafür, dass die Stadtteile im Schnitt jung bleiben und dass es kaum Leerstände im Einzelhandel gibt. Und auch der Thyssen-Krupp-Konzern verschafft dem Duisburger Norden Perspektiven, rechnet Heinz Maschke, der Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Duisburg, in seinem Büro direkt neben den beiden Hochöfen vor.
Maschke: "Thyssen will Stahlproduktion in Duisburg halten. D.h., Arbeit wird bleiben, aber in geschrumpften Stadtteilen."
Duisburg ist Trendsetter. Nur wenige Großkommunen zerbrechen sich schon jetzt den Kopf über die Bezahlbarkeit von Schulen, Schwimmbädern, Kanalsystemen und Nahverkehr in 20 Jahren, wenn überwiegend die Älteren das Stadtbild prägen. Professor Blotevogel sieht das Ruhrgebiet als Testfall für andere Städte.
"Ruhrgebiet ist ein Laboratorium für Entwicklungen, die anderswo noch kommen werden."
Und Jürgen Dressler, der Stadtentwicklungsdezernent Duisburgs, geht sozusagen an der Spitze der Bewegung.
"Entweder ich handele oder ich begehe Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Aber dafür wurde der Planungsdezernent Dressler nicht engagiert."
Heinz Maschke beugt sich aus seinem Bürofenster und zeigt nach links auf die beiden Metallriesen, die über die Jahre eine braune Rost-Patina angesetzt haben. Die schwüle Juliluft dünstet den Geruch von Kokskohle aus. Fremde riechen das. "Merk ich nichts von!", meint Heinz Maschke. Als sei die Feststellung schon ein Vorwurf.
Der Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Duisburg hat sein Leben lang im schwerindustriellen Norden der Stadt gewohnt, da gewöhnt man sich an die Abluft der Stahlkocher. Jetzt arbeitet er auch dort. Im Stadtteil Marxloh hat er sein Büro. Marxloh, Bruckhausen, Beeck und auch das weiter südlich gelegene Hochfeld zählen zu den Problemzonen der Stadt. Und zu Maschkes Betätigungsfeld.
Seit 1999 kümmern sich rund 30 Architekten, Ingenieure, Sozialwissenschaftler, Wirtschafts- und Verwaltungsfachleute der Entwicklungsgesellschaft mbH um die Belange der Stadtteil-Bewohner. Es geht um Spielplätze, Fassadenrenovierungen oder um Leerstände beim Einzelhandel. Stadtentwicklung im Kleinen und ganz praktisch. Die vier Stadtteile gehören zur A-Gruppe: A wie hoher Ausländeranteil und hohe Arbeitslosenquote.
Maschke: "Image des Nordens ist aus vielen Gründen negativ... hauptsächlich aber aus Umweltgründen."
Doch das ändert sich gerade. Mittlerweile kommen die ersten wieder zurück, die vor 15, 20 Jahren, als der Ruß noch regelmäßig über die Dächer regnete, ins grünere Umland gezogen waren. Die frei gewordenen Wohnungen hatten damals überwiegend Türken übernommen. Marxloh hat jetzt einen 35-prozentigen, Bruckhausen einen 50-prozentigen Anteil türkischstämmiger Bewohner. Was den Stadtteilen demnächst gut zu Gesichte stehen wird. Denn die Schmuddelkinder von heute werden spätestens in anderthalb Jahrzehnten - zumindest was die Infrastruktur betrifft -, stabile, sprich: ausgelastete Viertel sein.
Ganz im Gegensatz zum attraktiveren Süden Duisburgs, in dem besser verdient und schöner gewohnt wird. Und dort ist es auch landschaftlich reizvoller. Doch das wird in Zukunft nicht mehr so viel wert sein, wenn die Überalterung in Duisburg-Süd um sich greift. Dann nämlich werden Schulen und Kindergärten leer stehen, ganze Wohnblocks überflüssig werden und der öffentliche Nahverkehr nicht mehr so gefragt sein.
All das und manches mehr an Veränderung wird im nur acht bis zehn Kilometer entfernten Norden so nicht eintreten. Dort wird die Geburtenrate 2020, so haben Wissenschaftler errechnet, ungefähr so hoch sein, dass die steigende Sterbequote aufgefangen werden kann, größere Leerstände auf dem Immobilienmarkt wird es nicht geben und alle heute vorhandenen Kindergärten und Schulen werden auch dann noch vonnöten sein.
So hatte das Stadtentwicklungsdezernent Jürgen Dressler gar nicht auf der Rechnung, als er daran ging, die Zukunft Duisburgs erforschen zu lassen.
Dressler: "Wir sind davon überzeugt gewesen, das der Duisburger Norden unser Problem sein wird. Doch umgekehrt. Der feine Duisburger Süden wird unser Problem werden."
Jürgen Dressler ist 58 Jahre. Er hat den Ruhestand vor Augen, was ihm eine spürbare Unabhängigkeit verschafft. Er gehört zu denen, die sagen, was sie denken. Typ Klartext. Er hat eine Studie in Auftrag gegeben, die herausbekommen soll, wie sich der demografische Wandel in den nächsten Jahrzehnten auf Duisburg auswirken wird. Verbunden ist damit die Frage, welche Infrastruktur sich die Stadt dann noch wird leisten können.
Politisch will er die Diskussion jetzt noch gar nicht führen, erst sollen die Fakten auf den Tisch. Deshalb weiß der Rat der Stadt über die Studie gerade so viel, wie die Damen und Herren aus den lokalen Zeitungen erfahren konnten, denn der Vorstoß Dresslers schlägt schon Wellen.
Dressler: "Der Rat weiß gar nichts. Ich tue derzeit etwas illegales."
Jürgen Dressler ist der lebende Beweis für eine Beobachtung, die der Dortmunder Raumplaner Professor Hans Blotevogel bei seinen Studien über den Schrumpfungsprozess im Ruhrgebiet gemacht hat.
Blotevogel: "Stadträte tun sich schwer mit dem Begriff "Schrumpfung”, da sie mit diesem negativ besetzten Wort keine Wahlen gewinnen können. Die Verwaltung ist da schon weiter."
Duisburg, seit Horst Schimanski Inbegriff rauer Industrieromantik, die im Film immer etwas melancholischer daher kam, als es die echten Schimanskis im Hafen und an den Hochöfen im Alltag wirklich erlebten, schrumpft seit Jahren schon zusammen. 1975, nach den Eingemeindungen, lag die Einwohnerzahl noch bei 608.000. Im letzten Jahr zählte der Kämmerer nur noch 504.000 Menschen. Minus 103.000 Bürger in weniger als 30 Jahren. Und der Kassenwart der Stadt merkt so etwas als erster, denn Einwohnerverlust heißt vor allem Steuerverlust, denn die Einkommenssteuer ist am Wohnort fällig.
Dabei schien Duisburg lange auf einem erfolgreichen Sonderweg innerhalb des Reviers zu wandeln, denn die Verlagerung der Stahlproduktion von der Mitte und dem Osten des Ruhrgebiets Richtung Westen, nach Duisburg, an den Rhein, von wo der Weitertransport des Stahls am kostengünstigsten war, bescherte der Stadt noch knappe 20 Jahre stabile Verhältnisse in der Schwerindustrie, als der Pott schon lange unter dem Strukturwandel zu leiden hatte.
Doch vorbei der Sonderweg. Bis 2020 wird Duisburg noch einmal runde 25.000 Bewohner verlieren, im Jahresschnitt mehr als 1.500. Bis dahin wird der Bedarf an Wohnungen trotz Schrumpfung noch zunehmen. Dafür ist vor allem die Singlegesellschaft verantwortlich. Aber danach?
Duisburgs Stadtentwicklungs-dezernent Jürgen Dressler stellt schon jetzt die entscheidende Frage.
"Wir haben eine gewisse Vermutung, was 2015, 2020 demographisch los ist. Was können wir uns dann überhaupt noch leisten?"
Um das Zukunfts-Szenario konkret zu machen, schritt Dressler zur Tat. Er engagierte das Stadtentwicklungsbüro Albert Speer & Partner in Frankfurt und das bundesweit tätige Ingenieurbüro Vössing. Die sollen nun herausfinden, wie sich Deutschlands zwölftgrößte Kommune baulich, planerisch und sozial auf ein Duisburg mit deutlich weniger als 500.000 Einwohnern einstellen kann.
Ergebnisse werden im Herbst präsentiert, doch Astrid Adamchak, Geografin von Hause aus und mit im Projektteam im Ingenieurbüro Vössing, gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf eine möglich Folge.
Adamchak: " Es gibt die Idee des Shuttle-Systems für Schüler... das ist auf jeden Fall eine Zielrichtung."
Konkret: Wenn Duisburg in 15 Jahren gerade im gediegenen Süden nicht mehr die Anzahl an Schulen benötigt, die heute noch voll ausgelastet sind, dann könnte die Stunde des Bustransfers der Schüler von Süd nach Nord gekommen sein. Planungsdezernent Dressler macht da gar kein Hehl draus.
"Was können wir uns dann noch leisten? Beispiel Schulen. Brauchen dann nur noch 200 statt 400 Schulen. Dann müssen wir die verbliebenen Schüler mit dem Shuttle-Bus zu den Schulen bringen."
Und die nötigen Veränderungen machen vor nichts halt. Wohnungen, die nicht mehr gebraucht werden, müssen "rückgebaut" werden, wie es im Sprachgebrauch der Städteplaner etwas verklärend heißt. Laien übersetzen Rückbau konkreter mit Abriss.
Der Schrumpfungsprozess speziell im Ruhrgebiet wirft allerdings noch ganz andere, hochpolitische, Fragen auf. Essen und Gelsenkirchen geht es nämlich ähnlich wie Duisburg. Beide Kommunen verlieren, relativ gesehen, sogar noch mehr Einwohner als Duisburg. Überhaupt: Das ganze Ruhrgebiet befindet sich auf dem demographischen Rückzug, hat Professor Hans Blotevogel von Uni Dortmund herausgefunden.
"Innerhalb des Reviers unterschiedliche Entwicklung der Schrumpfung. vor allem entlang der Emscher-Linie, aber auch in Hagen oder in Wuppertal, das nicht mehr zum Ruhrgebiet gezählt wird. Beide Städte sind so genannte altindustrielle Kommunen."
In 15 Jahren werden über 300.000 Menschen weniger in Deutschlands größtem Ballungsraum leben, als heute noch gemeldet sind. Die Not gebietet eigentlich Kooperation. Doch an der Stelle sind Revierstädte besonders empfindlich, hat Michael Buchmann, der Projektleiter der Vössing GmbH, schon feststellen müssen.
Buchmann: "....keine Abstimmung zwischen Revierstädten... Konkurrenzsituation... Ruhrstadt könnte da helfen."
Jürgen Dressler kennt die Kirchturm-Politik im Ruhrpott. Gerade deshalb will er heilige Kühe schlachten und den Wahnsinn der kleinteiligen Vollversorgung stoppen. Beispiel: die philharmonischen Orchester.
"Haben fünf oder sechs Philharmonie-Orchester im Revier. Warum eigentlich kein Jazz-Orchester, oder eins für Unterhaltungsmusik? "
Und seine Vorschläge gehen weiter, mitten ins Herz derer, die ihre Identität vor allem über die Fußball-Clubs entlang der A 40 schöpfen.
"Oberschwachsinn - bauen überall neue Stadien für jeden Karnickelverein. Warum nicht für Mönchengladbach, Krefeld, unseren MSV und ein zentrales "Niederrhein-Stadion"? Kein Münchner wäre so bekloppt wie wir und würde jedem Verein sein eigenes Stadion bauen."
Dressler hält die Vorstellung, eine Kommune könne auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten noch die gesamte gewohnte Infrastruktur vorhalten, für eine große Lebenslüge. Die Idee einer Ruhrstadt, die in einer Region, in der statistisch gesehen alle acht Kilometer eine neue Stadtgrenze verläuft, einige Aufgaben verteilt und nicht mehr jeder alles macht, hält er deshalb für dringend geboten.
Dressler: "Bin Verfechter der Ruhrstadt... Dass wir uns hier 50 Oberbürgermeister, Hunderte Dezernenten usw. leisten, ist ökonomischer Unsinn."
Der Wissenschaftler Hans Blotevogel sieht die Ruhrstadt-Idee kritischer.
"Wenn man viele schwache Kandidaten zusammenwirft, wird das noch lange kein starker Kandidat."
Jürgen Dressler drängt und macht folgende Rechnung auf, falls es nicht gelingen sollte, rechtzeitig die Infrastruktur Duisburgs auf die Verkleinerung der Stadt anzupassen.
"Was ist denn, wenn wir nur eine ein- oder zweiprozentige Zinserhöhung bekommen? Das ist doch der sofortige kommunale Suizid!"
Vor kurzem war Dezernent Dressler in Istanbul. Eine Stadt, die von den unter 30-Jährigen geprägt wird. "Und dann komme ich zurück nach Duisburg und denke ich bin im Altersheim", erzählt er. So ein bisschen ist Bruckhausen, Beeck und Marxloh wie Istanbul. Hier sorgen vor allem die türkischstämmigen Duisburger dafür, dass die Stadtteile im Schnitt jung bleiben und dass es kaum Leerstände im Einzelhandel gibt. Und auch der Thyssen-Krupp-Konzern verschafft dem Duisburger Norden Perspektiven, rechnet Heinz Maschke, der Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Duisburg, in seinem Büro direkt neben den beiden Hochöfen vor.
Maschke: "Thyssen will Stahlproduktion in Duisburg halten. D.h., Arbeit wird bleiben, aber in geschrumpften Stadtteilen."
Duisburg ist Trendsetter. Nur wenige Großkommunen zerbrechen sich schon jetzt den Kopf über die Bezahlbarkeit von Schulen, Schwimmbädern, Kanalsystemen und Nahverkehr in 20 Jahren, wenn überwiegend die Älteren das Stadtbild prägen. Professor Blotevogel sieht das Ruhrgebiet als Testfall für andere Städte.
"Ruhrgebiet ist ein Laboratorium für Entwicklungen, die anderswo noch kommen werden."
Und Jürgen Dressler, der Stadtentwicklungsdezernent Duisburgs, geht sozusagen an der Spitze der Bewegung.
"Entweder ich handele oder ich begehe Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Aber dafür wurde der Planungsdezernent Dressler nicht engagiert."