Wenig Chancen, viel Hoffnung
Simbabwes Jugendliche von heute haben eine Kindheit in der Krise hinter sich – geprägt von politischer Gewalt, Hyperinflation, Hunger und Aids. Sie sind in eine Schule ohne Bücher gegangen, in Geschäfte ohne Waren, kennen Felder, auf denen nichts mehr wächst und gedeiht. Sie haben ihre Eltern nach deren Mitverantwortung für die politische Lage in Simbabwe gefragt oder leiden als Kinder Oppositioneller unter deren Traumata. Sie haben ein Land in Trümmern geerbt und suchen nach Werten, mit denen sie ihre Zukunft gestalten können.
In einem weitläufigen Park aus uralten Bäumen und makellos geschorenem Rasen erhebt sich, wie ein Schloss, ein Gebäude aus grauem Granit. Hohe, teils bleiverglaste Fenster; säulengestützte Rundbögen; steinerne Wappen. Vor dem Gebäude einige Hundert Jugendliche in vornehm weinrot-beiger Uniform. Von hervorragenden sportlichen Leistungen diese Woche spricht Rektor Bernard Tiernan, von Landesrekorden, von bevorstehenden internationalen Turnieren. Höflich klatschen die jungen "gentlemen", wie er sie nennt, Beifall.
Dies jedoch ist nicht Eton, Cambridge oder Oxford; dies ist das St. George's College in Harare, Simbabwe; in einem der ärmsten Länder der Welt. Eine Privatschule der Jesuiten für 700 Jungen, deren Eltern 5.000 Dollar Schulgeld im Jahr zahlen. Dafür erhalten die Söhne eine gediegene Ausbildung - betont der stellvertretende Rektor Remedio Fernandez.
"Wir haben einen Computerraum - und außerdem ein Internetzentrum, das Klassen buchen können, um zum Beispiel im Fach Geographie mit speziellen Websites zu arbeiten. Auch unsere Ausstattung mit Sportanlagen ist hervorragend: Zehn bis zwölf Sportarten bieten wir an: Basketball, Schwimmen und Tennis; Volleyball, Wasserpolo und Rugby, Hockey, Badminton, Fußball und Squash. In den meisten dieser Sportarten und natürlich in der Leichtathletik veranstalten wir Wettbewerbe mit anderen in- und ausländischen Schulen."
Wichtig ist auch der Unterricht in Wirtschaftskunde, um teils hoch gesteckten Ambitionen gute fachliche Grundlagen zu verleihen.
"Ich werde versuchen, in einer Machtposition zu gelangen, um Wandel in diesem Lande bewirken zu können. Die Situation in Simbabwe, wissen Sie, ist nicht die beste. Das will ich ändern. Ein Land muss geführt werden. Es braucht jemanden, der es in die richtige Richtung lenkt. Und sollte ich die Gelegenheit bekommen, werde ich sie nutzen, um unsere Nation tatsächlich in die richtige Richtung zu lenken."
300 Kilometer westlich von Harare, außerhalb des Städtchens Gokwe, leitet Principal Herbert Mlandu die "Ganye Primary School", eine in öder Steppe gelegene Schule auch für 700 Kinder, die allerdings von gerade 17 Lehrern unterrichtet werden; in zwölf Klassenräumen aus Zementblöcken und unter vier Bäumen. Im Februar und März haben die Lehrer mal wieder gestreikt, erzählt Schulleiter Agripper Mpofu. Jetzt leisten sie Dienst nach Vorschrift.
"Meine Lehrer haben unter diesen Bedingungen keine Lust, überhaupt zu lehren. Immer wieder muss ich sie überreden und die Eltern um Geld für die Lehrer bitten: 'Zahlt wenigstens einen Dollar pro Monat.' Was aber auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Jeder meiner 17 Lehrer bekommt dann am Ende des Monats gerade 41 Dollar zusätzlich zu seinem Gehalt."
Drei mal vier ist zwölf, drei mal fünf ist 15 - schreibt Lehrerin Lydia Chrirongoma an eine rissige Tafel, während mehrere der am Boden sitzenden 50 Kinder vor sich hin dösen. Bücher gibt es nicht; im Dach des Klassenraums klaffen fußballgroße Löcher.
Lydia Chrirongoma: "Dies Jahr regnete es von Beginn des Schuljahres im Januar bis Mitte Februar. Und wir mussten uns dort in der Ecke, wo das Dach einigermaßen dicht ist, zusammendrängen. 135 Kinder knieten auf dem Boden; und überall tropfte es. Das war schon eine schwierige Situation."
Simbabwe - Kornkammer einst des südlichen Afrika, reich an Gold und Platin; das Bildungswesen galt als das beste Afrikas. Im vergangenen Jahrzehnt jedoch haben Diktator Robert Mugabe und seine Partei Zanu-PF Simbabwe zugrunde gerichtet. Mugabe zerstörte mit Willkürmaßnahmen die Wirtschaft des Landes, schuf Hyperinflation und 85 Prozent Arbeitslosigkeit; vier von elf Millionen Simbabwern verließen ihr Land. Zurück blieb eine Jugend, die in einer sich stetig verschärfenden Krise aus Hunger, Aids und politischer Gewalt aufwuchs - ohne Chancen und zunehmend ohne Hoffnung.
Schließlich, Anfang 2009, bildete der Diktator, um zu überleben, eine Übergangsregierung mit den beiden Gruppierungen der Oppositionspartei "Bewegung für demokratischen Wandel" MDC. Erste Maßnahme des MDC-Finanzministers war, die simbabwische Währung durch den Dollar zu ersetzen. So wurde schlagartig die Inflation gestoppt; Supermärkte und Straßenhändler bieten heute wieder Nahrungsmittel an - wenngleich zu teils unerschwinglichen Preisen.
An Arbeitslosigkeit und Bildungsmisere hat sich nichts geändert, erklärt in Harare David Coltart, seit Februar 2009 Bildungsminister Simbabwes. Als Coltart sein Amt antrat, waren die meisten der 8.000 Schulen geschlossen; die meisten der noch 90.000 Lehrer streikten; bis heute findet an vielen Schulen im ländlichen Raum wenig sinnvoller Unterricht statt.
"Im Durchschnitt besuchen an einer solchen Schule vielleicht hundert Kinder die erste Klasse. In Klasse sieben aber sind davon gerade noch 35 übrig. Das heißt: Fast zwei Drittel der Kinder absolvieren nicht einmal die Grundschule. Und eine ähnliche Dropout-Rate haben wir beim Übergang von der Grund- zur Sekundarschule - wobei insbesondere Mädchen betroffen sind. Sehr oft nämlich bemühen sich arme Eltern auf dem Land zunächst darum, ihren Jungen ein wenig Bildung zu vermitteln; und die Mädchen leiden darunter."
Inzwischen hat Coltart erreicht, dass alle Schulen wieder geöffnet und die Lehrer ihre Streiks vorläufig eingestellt haben. Und aus einem Bildungsfond, in den internationale Geber fast hundert Millionen Dollar eingezahlt haben, finanziert der Minister das größte Druckprogramm für Schulbücher in der Geschichte Afrikas. Bis Oktober sollen die Grundschüler Simbabwes insgesamt 13 Millionen Bücher bekommen; Anfang 2011 folgen die Bücher der Sekundarschüler.
Vor 18 Monaten noch hat sie ihr immer gleiches Lied gesungen - Jennifer, die junge Bettlerin vor dem Schnellrestaurant in der 9th Avenue der Stadt Bulawayo. Früh hatte Jennifer die Schule verlassen, weil ihre Eltern kein Schulgeld zahlen konnten. Irgendwann war sie auf der Straße gelandet.
Jetzt ist Jennifer verschwunden; ihr Platz besetzt von emsigen Straßenhändlern. Verzweifelte junge Frauen jedoch gibt es mehr denn je in Bulawayo. Einige haben den Weg gefunden zur Hilfsorganisation "Contact" am Rande der Innenstadt. Frauen wie die 20-jährige Almita, die mit 15 ihre Mutter verlor und zunächst bei einer Schwester unterkam. 2007 jedoch ging die Schwester nach Südafrika. Almita landete bei einer Tante.
"Aber mein Onkel, ihr Ehemann, bedrängte mich sexuell. Er wollte, dass ich mit ihm schlief. Das schrieb ich meiner Schwester, die dann mit der Tante sprach. Die aber sagte nur, sie kenne ihren Mann. Ich zog dann aus, lebte eine Weile allein, kam aber nicht zurecht, weil ich nun - im schlimmen Jahr 2008 - überhaupt keine Arbeit mehr fand. Wieder zog ich zu meiner Tante, die kurz darauf, um Geld zu verdienen, nach Botswana ging; und wieder versuchte mein Onkel, mit mir zu schlafen. Jetzt konnte ich nur noch meine alte Großmutter in Kwekwe um Hilfe bitten. Die sprach dann mit der Tante; und sie beschlossen, dass ich zur Oma ziehen sollte."
Zunehmend empfand sich die junge Frau als Last; suchte verzweifelt Arbeit; beschloss zu heiraten, sobald es ging. Im Dezember 2009 schließlich war Almita schwanger - von einem Schulfreund, der ihr dann beichtete, dass er schon mit einer Frau verlobt war und ein Kind hatte. Dass der Freund sie mit dem HIV-Virus infiziert hatte, erfuhr Almita bei einer Vorsorgeuntersuchung. Zuviel, sagt sie, war zuviel.
"I tried to commit suicide a number of times - taking rat killers and drug overdoses, tablets, overdosing them."
Mehrfach hat Almita versucht, sich umzubringen - mit Rattengift und Tabletten. Derzeit lebt sie in einem Frauenasyl. Ihre einzige Hoffnung: die Liebe ihres ungeborenen Kindes. Es gibt viele Almitas in Simbabwe - Millionen junger Menschen, deren Eltern, Onkel und Tanten an Aids gestorben oder ausgewandert sind. HIV-positive Zwölfjährige, die allein für jüngere Geschwister sorgen; Jugendliche, missbraucht von entfernten Verwandten als billige Arbeitskräfte und sexuelles Freiwild.
"Viele meiner Altersgenossen haben überhaupt keine Maßstäbe, was sozial und sexuell richtig ist", sagt die 20-jährige Psychologiestudentin Beatrice, die bei "Contact" ein Praktikum macht. Beatrice spricht auch von Schulfreundinnen, die heute unter den Bäumen Bulawayos sitzen; junge Menschen, vereinsamt, stumpf, berauscht von Alkohol, Klebstoff oder Marihuana; die einzige Freude Sex und bisweilen eine kurze Illusion von Liebe.
"Die meisten haben schon etliche Abtreibungen hinter sich - Abtreibungen oft mit Kleiderbügeln. Vor kurzem erst war eine Bekannte von mir, die hier in Bulawayo lebt, schwanger. Und der dafür verantwortliche Mann war abgehauen. Lange wusste die Schwangere nicht, was sie tun sollte. Schließlich, sie war schon im achten Monat, bat sie eine Freundin, ihr zu helfen. Den Haken eines Kleiderbügels führte sie in sie ein; und tatsächlich gelang ihnen die Abtreibung."
Unzählige junge Menschen im Simbabwe von heute gehen zugrunde. Aber es gibt auch einige, scheinbar chancenlose Schulabbrecher, die voller Vertrauen in die Zukunft blicken - vielleicht, weil ihnen jemand Rückhalt gibt. Da ist, zum Beispiel, der 19-jährige Wenslot, der bei seiner geliebten Oma im Dorf Ganye lebt, ganz in der Nähe der "Ganye Primary School". Begierig lauschend lassen sich Wenslot und fünf seiner Freunde erklären, wie man junge Mango-, Avocado- und Papayabäume pflegt. Schwester Chiedza vom Kinder- und Jugendprojekt der katholischen Diözese hat den sechs Arbeitslosen drei Hektar Land zur Verfügung gestellt; und die wollen sie jetzt bestmöglich nutzen.
"Drei meiner Brüder sind nach Südafrika gegangen; und meine große Schwester lebt als Nonne in Harare. Wir anderen sind hiergeblieben, bei unserer Oma. Die lässt die Kleinen zur Schule gehen; und ich kümmere mich um Hühner und Schweine - und um diesen Garten, den ich mit einigen Freunden bewirtschafte. Fünf Sack Mais haben wir dieses Jahr geerntet, für die wir auf dem Markt aber nur zehn Dollar bekamen. Tomaten und Zwiebeln bringen mehr, sagt Schwester Chiedza. Aber dafür brauchen wir Wasser."
Und noch mehr Wasser für die jungen Obstbäume, von denen einige, geschützt vor Tieren mit Draht, bereits auf dem Feld stehen. Das Problem: Das Wasser eines nahebei fließenden Baches beanspruchen auch andere Bauern - weshalb es immer wieder Streit gibt. Doch die Lösung des Problems hat Wenslot bereits klar vor Augen.
"Wir müssen jetzt unbedingt etwas Zement besorgen, um einen Tiefbrunnen anlegen zu können. Die Schwester gibt uns dann noch einen Schlauch und eine Fußpumpe, mit der wir das Wasser nach oben pumpen können. Ja, wir müssen unbedingt mit diesem Garten vorwärtskommen, weil es sonst keine Arbeit hier gibt - außer ab und zu auf den Feldern anderer Leute. Und auch in Südafrika gibt es keine Arbeit, haben mir meine Brüder geschrieben."
Noch kurz einen Bewässerungsgraben fertigstellen und etwas Asche auf das sandige Erdreich des Zwiebelbeets streuen - dann ist die Arbeit für heute beendet.
Und zufrieden machen sich die sechs jungen Männer auf den Weg zurück ins Dorf, wo sie ein Glas "Skindo" trinken werden, Bier aus Rapoko- und Sorghumgetreide.
Besuch im Hause eines langjährigen Freundes. Der in Bulawayo lebende Bildungsminister David Coltart hat vier Kinder. Die älteste Tochter lebt in London; der 20-jährige Douglas studiert Jura in Kapstadt. Heute will er mit einigen Freunden, sagt er, "chillen" - und erzählt dann doch ein wenig aus seiner Kindheit als Sohn eines verfolgten Oppositionellen.
"Ich erinnere mich, wie eines Abends die Polizei kam; wie unsere Haushälterin meine Geschwister und mich ins Bad schickte und sagte, wir sollten uns still verhalten - während sich mein Vater draußen am Tor mit den Polizisten auseinandersetzte, die ihn festnehmen wollten. Derlei habe ich mindestens zweimal erlebt in meiner Kindheit. Na ja, mich hat all das nicht allzu sehr aus der Fassung gebracht, weil ich wohl wenig davon mitbekommen habe. Aber ich weiß, dass mein jüngerer Bruder ziemlich traumatisiert war. Und meine ältere Schwester verlangte von meinen Eltern, dass sie sie und mich ins Internat schickten, weil sie so nicht lernen könne."
Neben Douglas sitzen Rodwill, der Architektur studieren, und Krupesh, der das Schnellrestaurant seines Vaters übernehmen will. Gemeinsam haben sie 2008 Plakate geklebt für das MDC, die Partei ihrer Eltern; mit viel Glück entkamen sie bewaffneten Zanu-PF-Milizen. Ihre Vorbilder, sagen die drei, suchen sie nicht in der Welt internationaler Stars und Ikonen: Sie finden sie innerhalb der eigenen Familie.
"Mein Vorbild ist wohl meine Mutter. Sie stammt aus bescheidenen, wenngleich nicht ganz armen Verhältnissen und ergriff einen Beruf, der seinerzeit eigentlich Weißen vorbehalten war. Sie wurde Lehrerin. Immer wieder hatte sie Probleme zu bewältigen; aber sie hielt durch; und bis heute unterrichtet sie an einer Grundschule."
Krupesh: "Ich sehe ganz sicher in meinem Vater mein Vorbild. Als ich zur Grundschule ging, wissen Sie, war unser Leben extrem hart. Wir konnten nicht einmal die Schulgebühren bezahlen. Wie mein Vater das bewältigte und mich schließlich auf die höhere Schule schickte; wie er hart arbeitete und litt, damit ich eine Zukunft hatte - das motiviert mich. Und eines Tages will ich so sein wie er."
Auch Douglas, der seinem Vater frappierend ähnelt, will dessen Spuren folgen und nach dem Studium in Simbabwe leben. Alles Andere, sagt er, empfände er als Verrat. Die in Südafrika lockende Welt der iPhones und iPads, der Designer-Klamotten und schnellen Autos, reize ihn nicht, sagt Douglas. Ja, meint schließlich der Vierte im Bunde, der stille Tatenda, der Webadministrator werden will:
"Glück findest du nur in dir selbst - und in Gott. Wenn ich all diese bunten Werbespots sehe und all die Ratschläge höre, wie man glücklich wird, dann ignoriere ich das einfach, weil ich weiß, dass es nichts wert ist. Ich sehe, dass viele Leute draußen in der Welt völlig orientierungslos nach Glück suchen. Um es zu finden, sollten Sie, meine ich, einfach den Blick abwenden von all den materiellen Dingen, nach denen sie schreien. Wir hier haben das Glück, dass wir diese Dinge nie hatten - keine dicken Autos, keine neuen Handys oder Schuhe jeden Tag. Das, glaube ich, war eine gute Sache - diesen Luxus nicht ständig um sich herum zu haben und ihn sich nicht leisten zu können. Denn jetzt wissen wir, dass all dies Materielle nicht wichtig ist für uns."
Seltsam klug und altklug wirkende junge Menschen findet man in Simbabwe an den seltsamsten Orten.
In den Abwasserrohren Harares, zum Beispiel, wo Melody lebt. Melody stammt aus Bulawayo und war sehr gut in der Schule - als ihre Mutter starb und ihr Vater zu trinken begann. Im Suff brüllte er seinen politischen Frust heraus, woraufhin ihm Mugabe-Milizen das Haus anzündeten. Melody und ihre jüngere Schwester Norma flohen in die Straßen der Hauptstadt, wurden Beute von Polizisten und Straßenjungen. Melody weiß, dass sie krank ist - auch ohne HIV-Test. Mit ihrer Schwester im Arm blinzelt sie hinter verklebten Augenlidern hervor; und ab und zu blitzt in ihren Augen das weltumarmende Strahlen einer jungen Frau auf, die einmal sehr schön und glücklich gewesen sein muss.
"In unseren Liedern singen wir von unseren Wünschen. Ich, zum Beispiel, wäre, wenn ich Geld hätte, eine Professorin. Ich würde nicht dies Gangster-Leben hier führen, sondern würde denen helfen, die leiden. In kalten Nächten singen wir von unseren Träumen, von unseren Gefühlen, von der Ignoranz um uns herum. Soviel Vernünftiges könnten die Reichen mit ihrem Geld tun. Aber sie wollen nur ihren Spaß haben. Und so singen wir halt; harte Lieder über schlimme Dinge singen wir - besonders, wenn es uns schlecht geht."
Dies jedoch ist nicht Eton, Cambridge oder Oxford; dies ist das St. George's College in Harare, Simbabwe; in einem der ärmsten Länder der Welt. Eine Privatschule der Jesuiten für 700 Jungen, deren Eltern 5.000 Dollar Schulgeld im Jahr zahlen. Dafür erhalten die Söhne eine gediegene Ausbildung - betont der stellvertretende Rektor Remedio Fernandez.
"Wir haben einen Computerraum - und außerdem ein Internetzentrum, das Klassen buchen können, um zum Beispiel im Fach Geographie mit speziellen Websites zu arbeiten. Auch unsere Ausstattung mit Sportanlagen ist hervorragend: Zehn bis zwölf Sportarten bieten wir an: Basketball, Schwimmen und Tennis; Volleyball, Wasserpolo und Rugby, Hockey, Badminton, Fußball und Squash. In den meisten dieser Sportarten und natürlich in der Leichtathletik veranstalten wir Wettbewerbe mit anderen in- und ausländischen Schulen."
Wichtig ist auch der Unterricht in Wirtschaftskunde, um teils hoch gesteckten Ambitionen gute fachliche Grundlagen zu verleihen.
"Ich werde versuchen, in einer Machtposition zu gelangen, um Wandel in diesem Lande bewirken zu können. Die Situation in Simbabwe, wissen Sie, ist nicht die beste. Das will ich ändern. Ein Land muss geführt werden. Es braucht jemanden, der es in die richtige Richtung lenkt. Und sollte ich die Gelegenheit bekommen, werde ich sie nutzen, um unsere Nation tatsächlich in die richtige Richtung zu lenken."
300 Kilometer westlich von Harare, außerhalb des Städtchens Gokwe, leitet Principal Herbert Mlandu die "Ganye Primary School", eine in öder Steppe gelegene Schule auch für 700 Kinder, die allerdings von gerade 17 Lehrern unterrichtet werden; in zwölf Klassenräumen aus Zementblöcken und unter vier Bäumen. Im Februar und März haben die Lehrer mal wieder gestreikt, erzählt Schulleiter Agripper Mpofu. Jetzt leisten sie Dienst nach Vorschrift.
"Meine Lehrer haben unter diesen Bedingungen keine Lust, überhaupt zu lehren. Immer wieder muss ich sie überreden und die Eltern um Geld für die Lehrer bitten: 'Zahlt wenigstens einen Dollar pro Monat.' Was aber auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Jeder meiner 17 Lehrer bekommt dann am Ende des Monats gerade 41 Dollar zusätzlich zu seinem Gehalt."
Drei mal vier ist zwölf, drei mal fünf ist 15 - schreibt Lehrerin Lydia Chrirongoma an eine rissige Tafel, während mehrere der am Boden sitzenden 50 Kinder vor sich hin dösen. Bücher gibt es nicht; im Dach des Klassenraums klaffen fußballgroße Löcher.
Lydia Chrirongoma: "Dies Jahr regnete es von Beginn des Schuljahres im Januar bis Mitte Februar. Und wir mussten uns dort in der Ecke, wo das Dach einigermaßen dicht ist, zusammendrängen. 135 Kinder knieten auf dem Boden; und überall tropfte es. Das war schon eine schwierige Situation."
Simbabwe - Kornkammer einst des südlichen Afrika, reich an Gold und Platin; das Bildungswesen galt als das beste Afrikas. Im vergangenen Jahrzehnt jedoch haben Diktator Robert Mugabe und seine Partei Zanu-PF Simbabwe zugrunde gerichtet. Mugabe zerstörte mit Willkürmaßnahmen die Wirtschaft des Landes, schuf Hyperinflation und 85 Prozent Arbeitslosigkeit; vier von elf Millionen Simbabwern verließen ihr Land. Zurück blieb eine Jugend, die in einer sich stetig verschärfenden Krise aus Hunger, Aids und politischer Gewalt aufwuchs - ohne Chancen und zunehmend ohne Hoffnung.
Schließlich, Anfang 2009, bildete der Diktator, um zu überleben, eine Übergangsregierung mit den beiden Gruppierungen der Oppositionspartei "Bewegung für demokratischen Wandel" MDC. Erste Maßnahme des MDC-Finanzministers war, die simbabwische Währung durch den Dollar zu ersetzen. So wurde schlagartig die Inflation gestoppt; Supermärkte und Straßenhändler bieten heute wieder Nahrungsmittel an - wenngleich zu teils unerschwinglichen Preisen.
An Arbeitslosigkeit und Bildungsmisere hat sich nichts geändert, erklärt in Harare David Coltart, seit Februar 2009 Bildungsminister Simbabwes. Als Coltart sein Amt antrat, waren die meisten der 8.000 Schulen geschlossen; die meisten der noch 90.000 Lehrer streikten; bis heute findet an vielen Schulen im ländlichen Raum wenig sinnvoller Unterricht statt.
"Im Durchschnitt besuchen an einer solchen Schule vielleicht hundert Kinder die erste Klasse. In Klasse sieben aber sind davon gerade noch 35 übrig. Das heißt: Fast zwei Drittel der Kinder absolvieren nicht einmal die Grundschule. Und eine ähnliche Dropout-Rate haben wir beim Übergang von der Grund- zur Sekundarschule - wobei insbesondere Mädchen betroffen sind. Sehr oft nämlich bemühen sich arme Eltern auf dem Land zunächst darum, ihren Jungen ein wenig Bildung zu vermitteln; und die Mädchen leiden darunter."
Inzwischen hat Coltart erreicht, dass alle Schulen wieder geöffnet und die Lehrer ihre Streiks vorläufig eingestellt haben. Und aus einem Bildungsfond, in den internationale Geber fast hundert Millionen Dollar eingezahlt haben, finanziert der Minister das größte Druckprogramm für Schulbücher in der Geschichte Afrikas. Bis Oktober sollen die Grundschüler Simbabwes insgesamt 13 Millionen Bücher bekommen; Anfang 2011 folgen die Bücher der Sekundarschüler.
Vor 18 Monaten noch hat sie ihr immer gleiches Lied gesungen - Jennifer, die junge Bettlerin vor dem Schnellrestaurant in der 9th Avenue der Stadt Bulawayo. Früh hatte Jennifer die Schule verlassen, weil ihre Eltern kein Schulgeld zahlen konnten. Irgendwann war sie auf der Straße gelandet.
Jetzt ist Jennifer verschwunden; ihr Platz besetzt von emsigen Straßenhändlern. Verzweifelte junge Frauen jedoch gibt es mehr denn je in Bulawayo. Einige haben den Weg gefunden zur Hilfsorganisation "Contact" am Rande der Innenstadt. Frauen wie die 20-jährige Almita, die mit 15 ihre Mutter verlor und zunächst bei einer Schwester unterkam. 2007 jedoch ging die Schwester nach Südafrika. Almita landete bei einer Tante.
"Aber mein Onkel, ihr Ehemann, bedrängte mich sexuell. Er wollte, dass ich mit ihm schlief. Das schrieb ich meiner Schwester, die dann mit der Tante sprach. Die aber sagte nur, sie kenne ihren Mann. Ich zog dann aus, lebte eine Weile allein, kam aber nicht zurecht, weil ich nun - im schlimmen Jahr 2008 - überhaupt keine Arbeit mehr fand. Wieder zog ich zu meiner Tante, die kurz darauf, um Geld zu verdienen, nach Botswana ging; und wieder versuchte mein Onkel, mit mir zu schlafen. Jetzt konnte ich nur noch meine alte Großmutter in Kwekwe um Hilfe bitten. Die sprach dann mit der Tante; und sie beschlossen, dass ich zur Oma ziehen sollte."
Zunehmend empfand sich die junge Frau als Last; suchte verzweifelt Arbeit; beschloss zu heiraten, sobald es ging. Im Dezember 2009 schließlich war Almita schwanger - von einem Schulfreund, der ihr dann beichtete, dass er schon mit einer Frau verlobt war und ein Kind hatte. Dass der Freund sie mit dem HIV-Virus infiziert hatte, erfuhr Almita bei einer Vorsorgeuntersuchung. Zuviel, sagt sie, war zuviel.
"I tried to commit suicide a number of times - taking rat killers and drug overdoses, tablets, overdosing them."
Mehrfach hat Almita versucht, sich umzubringen - mit Rattengift und Tabletten. Derzeit lebt sie in einem Frauenasyl. Ihre einzige Hoffnung: die Liebe ihres ungeborenen Kindes. Es gibt viele Almitas in Simbabwe - Millionen junger Menschen, deren Eltern, Onkel und Tanten an Aids gestorben oder ausgewandert sind. HIV-positive Zwölfjährige, die allein für jüngere Geschwister sorgen; Jugendliche, missbraucht von entfernten Verwandten als billige Arbeitskräfte und sexuelles Freiwild.
"Viele meiner Altersgenossen haben überhaupt keine Maßstäbe, was sozial und sexuell richtig ist", sagt die 20-jährige Psychologiestudentin Beatrice, die bei "Contact" ein Praktikum macht. Beatrice spricht auch von Schulfreundinnen, die heute unter den Bäumen Bulawayos sitzen; junge Menschen, vereinsamt, stumpf, berauscht von Alkohol, Klebstoff oder Marihuana; die einzige Freude Sex und bisweilen eine kurze Illusion von Liebe.
"Die meisten haben schon etliche Abtreibungen hinter sich - Abtreibungen oft mit Kleiderbügeln. Vor kurzem erst war eine Bekannte von mir, die hier in Bulawayo lebt, schwanger. Und der dafür verantwortliche Mann war abgehauen. Lange wusste die Schwangere nicht, was sie tun sollte. Schließlich, sie war schon im achten Monat, bat sie eine Freundin, ihr zu helfen. Den Haken eines Kleiderbügels führte sie in sie ein; und tatsächlich gelang ihnen die Abtreibung."
Unzählige junge Menschen im Simbabwe von heute gehen zugrunde. Aber es gibt auch einige, scheinbar chancenlose Schulabbrecher, die voller Vertrauen in die Zukunft blicken - vielleicht, weil ihnen jemand Rückhalt gibt. Da ist, zum Beispiel, der 19-jährige Wenslot, der bei seiner geliebten Oma im Dorf Ganye lebt, ganz in der Nähe der "Ganye Primary School". Begierig lauschend lassen sich Wenslot und fünf seiner Freunde erklären, wie man junge Mango-, Avocado- und Papayabäume pflegt. Schwester Chiedza vom Kinder- und Jugendprojekt der katholischen Diözese hat den sechs Arbeitslosen drei Hektar Land zur Verfügung gestellt; und die wollen sie jetzt bestmöglich nutzen.
"Drei meiner Brüder sind nach Südafrika gegangen; und meine große Schwester lebt als Nonne in Harare. Wir anderen sind hiergeblieben, bei unserer Oma. Die lässt die Kleinen zur Schule gehen; und ich kümmere mich um Hühner und Schweine - und um diesen Garten, den ich mit einigen Freunden bewirtschafte. Fünf Sack Mais haben wir dieses Jahr geerntet, für die wir auf dem Markt aber nur zehn Dollar bekamen. Tomaten und Zwiebeln bringen mehr, sagt Schwester Chiedza. Aber dafür brauchen wir Wasser."
Und noch mehr Wasser für die jungen Obstbäume, von denen einige, geschützt vor Tieren mit Draht, bereits auf dem Feld stehen. Das Problem: Das Wasser eines nahebei fließenden Baches beanspruchen auch andere Bauern - weshalb es immer wieder Streit gibt. Doch die Lösung des Problems hat Wenslot bereits klar vor Augen.
"Wir müssen jetzt unbedingt etwas Zement besorgen, um einen Tiefbrunnen anlegen zu können. Die Schwester gibt uns dann noch einen Schlauch und eine Fußpumpe, mit der wir das Wasser nach oben pumpen können. Ja, wir müssen unbedingt mit diesem Garten vorwärtskommen, weil es sonst keine Arbeit hier gibt - außer ab und zu auf den Feldern anderer Leute. Und auch in Südafrika gibt es keine Arbeit, haben mir meine Brüder geschrieben."
Noch kurz einen Bewässerungsgraben fertigstellen und etwas Asche auf das sandige Erdreich des Zwiebelbeets streuen - dann ist die Arbeit für heute beendet.
Und zufrieden machen sich die sechs jungen Männer auf den Weg zurück ins Dorf, wo sie ein Glas "Skindo" trinken werden, Bier aus Rapoko- und Sorghumgetreide.
Besuch im Hause eines langjährigen Freundes. Der in Bulawayo lebende Bildungsminister David Coltart hat vier Kinder. Die älteste Tochter lebt in London; der 20-jährige Douglas studiert Jura in Kapstadt. Heute will er mit einigen Freunden, sagt er, "chillen" - und erzählt dann doch ein wenig aus seiner Kindheit als Sohn eines verfolgten Oppositionellen.
"Ich erinnere mich, wie eines Abends die Polizei kam; wie unsere Haushälterin meine Geschwister und mich ins Bad schickte und sagte, wir sollten uns still verhalten - während sich mein Vater draußen am Tor mit den Polizisten auseinandersetzte, die ihn festnehmen wollten. Derlei habe ich mindestens zweimal erlebt in meiner Kindheit. Na ja, mich hat all das nicht allzu sehr aus der Fassung gebracht, weil ich wohl wenig davon mitbekommen habe. Aber ich weiß, dass mein jüngerer Bruder ziemlich traumatisiert war. Und meine ältere Schwester verlangte von meinen Eltern, dass sie sie und mich ins Internat schickten, weil sie so nicht lernen könne."
Neben Douglas sitzen Rodwill, der Architektur studieren, und Krupesh, der das Schnellrestaurant seines Vaters übernehmen will. Gemeinsam haben sie 2008 Plakate geklebt für das MDC, die Partei ihrer Eltern; mit viel Glück entkamen sie bewaffneten Zanu-PF-Milizen. Ihre Vorbilder, sagen die drei, suchen sie nicht in der Welt internationaler Stars und Ikonen: Sie finden sie innerhalb der eigenen Familie.
"Mein Vorbild ist wohl meine Mutter. Sie stammt aus bescheidenen, wenngleich nicht ganz armen Verhältnissen und ergriff einen Beruf, der seinerzeit eigentlich Weißen vorbehalten war. Sie wurde Lehrerin. Immer wieder hatte sie Probleme zu bewältigen; aber sie hielt durch; und bis heute unterrichtet sie an einer Grundschule."
Krupesh: "Ich sehe ganz sicher in meinem Vater mein Vorbild. Als ich zur Grundschule ging, wissen Sie, war unser Leben extrem hart. Wir konnten nicht einmal die Schulgebühren bezahlen. Wie mein Vater das bewältigte und mich schließlich auf die höhere Schule schickte; wie er hart arbeitete und litt, damit ich eine Zukunft hatte - das motiviert mich. Und eines Tages will ich so sein wie er."
Auch Douglas, der seinem Vater frappierend ähnelt, will dessen Spuren folgen und nach dem Studium in Simbabwe leben. Alles Andere, sagt er, empfände er als Verrat. Die in Südafrika lockende Welt der iPhones und iPads, der Designer-Klamotten und schnellen Autos, reize ihn nicht, sagt Douglas. Ja, meint schließlich der Vierte im Bunde, der stille Tatenda, der Webadministrator werden will:
"Glück findest du nur in dir selbst - und in Gott. Wenn ich all diese bunten Werbespots sehe und all die Ratschläge höre, wie man glücklich wird, dann ignoriere ich das einfach, weil ich weiß, dass es nichts wert ist. Ich sehe, dass viele Leute draußen in der Welt völlig orientierungslos nach Glück suchen. Um es zu finden, sollten Sie, meine ich, einfach den Blick abwenden von all den materiellen Dingen, nach denen sie schreien. Wir hier haben das Glück, dass wir diese Dinge nie hatten - keine dicken Autos, keine neuen Handys oder Schuhe jeden Tag. Das, glaube ich, war eine gute Sache - diesen Luxus nicht ständig um sich herum zu haben und ihn sich nicht leisten zu können. Denn jetzt wissen wir, dass all dies Materielle nicht wichtig ist für uns."
Seltsam klug und altklug wirkende junge Menschen findet man in Simbabwe an den seltsamsten Orten.
In den Abwasserrohren Harares, zum Beispiel, wo Melody lebt. Melody stammt aus Bulawayo und war sehr gut in der Schule - als ihre Mutter starb und ihr Vater zu trinken begann. Im Suff brüllte er seinen politischen Frust heraus, woraufhin ihm Mugabe-Milizen das Haus anzündeten. Melody und ihre jüngere Schwester Norma flohen in die Straßen der Hauptstadt, wurden Beute von Polizisten und Straßenjungen. Melody weiß, dass sie krank ist - auch ohne HIV-Test. Mit ihrer Schwester im Arm blinzelt sie hinter verklebten Augenlidern hervor; und ab und zu blitzt in ihren Augen das weltumarmende Strahlen einer jungen Frau auf, die einmal sehr schön und glücklich gewesen sein muss.
"In unseren Liedern singen wir von unseren Wünschen. Ich, zum Beispiel, wäre, wenn ich Geld hätte, eine Professorin. Ich würde nicht dies Gangster-Leben hier führen, sondern würde denen helfen, die leiden. In kalten Nächten singen wir von unseren Träumen, von unseren Gefühlen, von der Ignoranz um uns herum. Soviel Vernünftiges könnten die Reichen mit ihrem Geld tun. Aber sie wollen nur ihren Spaß haben. Und so singen wir halt; harte Lieder über schlimme Dinge singen wir - besonders, wenn es uns schlecht geht."