Wenig Beachtung in der Öffentlichkeit

Von Annette Wilmes · 13.12.2010
Dachau ist ein symbolischer Ort in zweierlei Hinsicht: einmal für die NS-Verbrechen, aber auch für deren juristische Aufarbeitung. Denn auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers, in dem die schlimmsten Gräueltaten verübt wurden, fanden direkt nach dem Krieg zahlreiche Kriegsverbrecherprozesse statt.
In der Nähe der bayerischen Kleinstadt Dachau errichteten die Nationalsozialisten bereits im März 1933 das erste Konzentrationslager. Die Gefängnisse waren für die Regimegegner zu klein geworden. Polizei und Justiz internierten hier unter der Bewachung der SS zahllose Menschen; Kommunisten, Sozialdemokraten, Monarchisten, Juden. Viele von ihnen wurden gefoltert und ermordet.

Nach der Befreiung führten die Amerikaner die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse. Der erste endete am 13. Dezember 1945. Anklagevorwürfe waren die Misshandlungen und Morde im KZ. Nikolaus Lehner, der das KZ Dachau überlebte, erinnert sich an die schrecklichen Verbrechen.

"Ich hörte einmal Schreie, und dann ging ich raus und sah, wie unser Kapo einen Mithäftling, einen jungen Zigeuner, mit dem Schlauch bespritzte, es war Winter, und der war dann zu einem Eisklumpen, und den hat er dann da liegen lassen."

Nicht nur die von der KZ-Leitung eingesetzten Häftlinge – die Kapos – vor allem Angehörige der SS-Lagerführung in Dachau saßen auf der Anklagebank. Einer der Hauptangeklagten im ersten Dachauer Prozess war der Arzt Claus Schilling, mit 74 Jahren der älteste. Der Tropenmediziner hatte brutale Versuche an Häftlingen durchgeführt. Weit mehr als 1000 von ihnen hatte er mit Malaria infiziert und anschließend Medikamente an ihnen ausprobiert. Dabei starben Hunderte. Claus Schilling wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Von den 40 Angeklagten erhielten 36 die Todesstrafe, die jedoch nur bei 28 vollstreckt wurde.

"Wer zum Tode verurteilt wurde und nicht hingerichtet wurde, wurde schnell begnadigt. Es wurde dann umgewandelt in erst lebenslange dann zeitige Freiheitsstrafe. Und 1950/51 wurden die ersten entlassen, 1955 die letzten."

Der Strafrechtler und Historiker Ingo Müller. Der erste Dachauer Prozess hatte bereits am 15. November 1945 begonnen, noch vor dem Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg. Nachdem er am 13. Dezember abgeschlossen war, gab es noch viele weitere von den Amerikanern geführte Gerichtsverfahren in Dachau.

"Zunächst einmal war das das Lagerpersonal, die da ihre Verbrechen begangen hatten. Aber dann sind auch unzählige Prozesse geführt worden gegen Leute, die amerikanische Fallschirmspringer erschlagen hatten, also die klassische Kriegsverbrechen begangen hatten."

In diesen sogenannten Fliegerprozessen ging es um Taten außerhalb der KZ. Die Mehrzahl der Prozesse in Dachau, es waren knapp 500 mit mehr als 1600 Angeklagten, befassten sich jedoch mit den Verbrechen in den Konzentrationslagern Dachau mit seinen Außenlagern und den KZ Flossenbürg, Mauthausen, Mittelbau-Dora und Buchenwald. Die Gerichtsverfahren wurden öffentlich geführt. So berichtete der Reporter Werner Klein im November 1947 im Berliner Rundfunk:

"Die furchtbaren Begebenheiten in den KZs werden schonungslos aufgezeigt, und mancher Deutsche, der sich jetzt so gerne von diesen Dingen distanziert, sollte sich einmal selbst überzeugen, mit welcher Objektivität und mit welcher Gründlichkeit diese Verbrechen und die Rollen der daran beteiligten Personen oder beschuldigten ermittelt werden, nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit."

Die Dachauer Prozesse fanden in der breiten Öffentlichkeit genauso wenig Beachtung wie die Nürnberger Verfahren, die dem Hauptkriegsverbrecherprozess folgten. Und wenn sie überhaupt wahrgenommen wurden, dann als "Siegerjustiz" diffamiert.
Die in Nürnberg oder Dachau Verurteilten wurden in der jungen Bundesrepublik sogar privilegiert behandelt.

"Die Strafen wurden zum Beispiel nicht ins Strafregister eingetragen, die galten alle als nicht vorbestraft."

Die Dachauer Prozesse endeten 1948. Zu dieser Zeit hatte bereits die Schlussstrichmentalität eingesetzt, in allen bürgerlichen Parteien, von der CDU über die FDP bis zur SPD, aber auch in beiden großen Kirchen. Und Anfang bis Mitte der 1950er-Jahre – im Zuge des Ost-West-Konflikts – wurden die Haftstrafen der von den amerikanischen Militärgerichten Verurteilten reduziert oder erlassen.