Wendehälse vor den Wahlen

Von Sabine Adler |
War die Bundesregierung gestern noch bemüht, nicht in Aktionismus zu verfallen, ist heute genau dies geschehen. Nicht einem AKW, sondern sieben wurde das wohl endgültige Aus verordnet. Am Bundestag vorbei, per Dekret.
Das gestern ausgerufene Moratorium, das das Ende für den Meiler in Neckarwestheim schon mit einschloss, verfehlte offenbar die erwünschte Wirkung. Heute legte die Kanzlerin nach, statt eines AKW müssen es jetzt sieben sein. Agiert Angela Merkel schon als Getriebene oder ist sie geläutert, leitet sie den Einstieg in den Ausstieg ein? Oder agiert die CDU-Vorsitzende vielmehr taktisch, zwei Wochen vor der wichtigen Landtagswahl in Baden-Württemberg?

Angesichts der Bilder aus Japan ist man geneigt zu sagen: Die Kanzlerin hat umgedacht. Doch das Leid, die Toten, die Verwüstung sind die Folgen der Erdbeben und des anschließenden Tsunami. Spätestens seit der Katastrophe 2004, aber noch nicht beim Bau der ersten japanischen AKW in den 60er-Jahren, weiß man, dass Erd- und Seebeben plus Flutwellen in manchen Gebieten durchaus zusammengehören.

Bislang sind keine Menschenleben aufgrund der außer Kontrolle geratenen Kernreaktoren in Fukushima zu beklagen. Wenngleich es für Experten nur eine Frage der Zeit ist, wann Radioaktivität die Umgebung derart verstrahlt, dass nur noch Flucht bleibt. Japans Wohlstand, den es der reichlichen Stromproduktion mit zu verdanken hat, basiert letzten Endes auch auf einem kühl einkalkulierten Risiko. Das Land nahm eine Technik in Kauf, die in einem seltenen, aber eben nicht unwahrscheinlichen Fall Menschenleben fordert.

Dass die Bundesregierung diese Güterabwägung neu vornehmen will, ist richtig, aber in drei Monaten, so lange wie das Moratorium dauert, nie zu schaffen. Vor allem aber fällt schwer zu glauben, dass Merkel und Mappus, Röttgen und Seehofer, CDU und CSU, tatsächlich ihre Meinung über Atomstrom geändert haben. Waren sie doch dem bislang angeblich verführerisch günstigen klimafreundlichen Atomstrom regelrecht verfallen, so sehr, dass sie vor einem halben Jahr bei der durchgepeitschten Verlängerung der AKW-Laufzeiten das Land spalteten. Mindestens die Hälfte der Deutschen wollte nicht, dass weiter derart riskant Strom erzeugt wird.

Jahrzehntelang haben sich die meisten Christdemokraten gegen die Argumente der Kernkraftgegner gewehrt. Kein Wunder, dass diese CDU-Spitzenpolitiker heute, da der Countdown zu den Wahlen läuft, eher als Wendehälse empfunden werden, denn als im Umwelt- und Gefahrenbewusstsein Gewandelte.

Ja, es ist richtig, die alten Meiler aus dem Verkehr zu ziehen. Und es bleibt die Aufgabe, so schnell wie möglich ganz auf Atomkraft zu verzichten. Zumal immer mehr erneuerbare Energie zur Verfügung steht. Nicht selten, auch das die plötzliche Erkenntnis der Union, bleibt der Wind-, Wasser- und Sonnenenergie der Weg in die Stromnetze verwehrt, weil ihn AKW blockieren. Mögen die Wähler jetzt die Kehrtwende der CDU honorieren, nach dem Motto, besser eine Erkenntnis, die spät kommt als nie, doch vielleicht stellen sie sich auch die Frage: Wer hat's erfunden, den Atomausstieg? Genau.
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