Weltrekord der Ballermänner

Von Alexander Budde · 05.12.2007
15.00 Menschen, eingepfercht in drei finsteren Messehallen - das Computerfestival "Dreamhack" im südschwedischen Jönköping schrieb sich am Wochenende als größte LAN-Party der Welt ins Guinness Buch der Rekorde ein. Stolze 92 Terabit wurden dem Router abverlangt, um genügend Kapazität für die Gefechte bereit zu stellen. Auf den Massentod der Avatare reagiert die schwedische Gesellschaft gelassen. Das Land hat sich dank liberaler Gesetze und einer technikbegeisterten Bevölkerung zu einem Zentrum der Spieleindustrie entwickelt. Auf den Kulturseiten der Zeitungen werden neue Produktionen wie Hollywood-Filme rezensiert. Und das Volksgesundheitsinstitut lobte Computerspiele unlängst sogar, weil sie Reaktionsfähigkeit, Spracherwerb und Teamgeist der Jugendlichen förderten.
Die Kämpfe mögen blutig sein, doch die Stimmung ist bestens: Im spärlichen Licht Abertausender Monitore sitzen die Spieler an langen Tischreihen mit wild verkabelten Computern. In lässiger Körperhaltung, Kopfhörer auf den Ohren, zielt Maik Ulmer mit seinem virtuellen Gewehrlauf auf streitsüchtige Avatare.

"Das ist Warcraft 3, ein Strategiespiel, in dem man seine Stationen aufbaut und seine Schergen losschickt. Beim Spielen unterhält man sich eigentlich nur über die Taktik. Man gibt ein kurzes Kommando und dann weiß auch schon jeder, worum es geht. Man spielt, man besiegt den Gegenspieler. Und man hört drei Reihen weiter, wie einer aufspringt. Nicht so wie im Internet, so alleine. Man merkt wirklich, dass man da mitten drin ist."

Der weit gereiste Mechatroniker aus der Pfalz bringt sich mit reichlich Koffein durch die Nacht. Ungeniert lässt er seiner Leidenschaft für Ballerspiele freien Lauf. In Jönköping werden unter anderem Wettbewerbe in dem Spiel "Counter Strike" ausgetragen. Der Ego-Shooter ist in Deutschland wegen seines gewalttätigen Inhalts umstritten.

"In Deutschland sind die Spiele indiziert, in Schweden nicht. Und dennoch läuft in Schweden keiner Amok. In der Debatte verstehen die meisten überhaupt nichts davon. Jedenfalls von der Politikerseite her. Die haben sich nicht wirklich damit auseinandergesetzt. Natürlich geht es darum, wer jetzt am Ende den Letzten erschießt. Aber es ist ja nur reine Pixelwelt. Es ist ja kein Vergleich zum normalen Leben."

Johan Måns vom Rekrutierungszentrum der schwedischen Streitkräfte hat keine Berührungsängste. Als strategischer Partner ist das Militär mit einem großen Stand auf der "Dreamhack" vertreten. Måns und seine Truppe präsentieren Panzer, Kampfjets, Simulatoren.

"Wir wollen technisch begabte junge Leute rekrutieren. Bei der Luftwaffe, der Marine und den Streitkräften sind wir von komplizierter Technik umgeben. Da brauchen wir gut ausgebildetes Personal, das mit solcher Ausrüstung umgehen kann."

Die Zielgruppe fest im Visier haben auch die schwedischen Jungsozialisten, die Nüchternheitsbewegung sowie ein Dutzend technischer Universitäten. Lennart Nacke, Doktorant an der Technischen Hochschule in Blekinge, nutzt die Spielsucht seiner Probanden für die Wissenschaft.

"Wir suchen nach der idealen Spielerfahrung. Und dazu haben wir hier am Stand verschiedene Eyetracker aufgebaut. Das sind Geräte, die genau messen, wohin man auf den Bildschirm guckt. Und je nachdem, wohin der Spieler geschaut hat, und ob der Spieler eine relativ große Pupille hatte, das gibt uns bestimmte Daten darüber, wie zufrieden er war, ob er sehr aufgeregt war. Das Ziel ist, herauszufinden, was eigentlich besseres Game-Design ist. Wie kann man bessere Spiele bauen für die Zukunft?"

Gut ein Viertel aller Jugendlichen zwischen 13 und 20 Jahren spielt täglich am Computer, stellte der unabhängige Medienrat in einer Studie fest. Für einen Zusammenhang zwischen echter und virtueller Gewalt sehen die Experten bislang keinen wissenschaftlichen Beleg. David Garpenstål, Organisator der Dreamhack, verfolgt die deutsche Debatte über die psychologischen Auswirkungen von Killerspielen denn auch mit Unverständnis:

"In meiner Jugend war es der Hardrock. Da gab es auch viele, die meinten, man wird zum Teufelsanbeter, wenn man solche Musik hört. Und heute wissen wir, dass wilde Musik durchaus eine entspannende Wirkung hat. Wenn es wirklich einen Zusammenhang zwischen Spiel und Aggression gäbe, dann hätten wir hier auf der Dreamhack enorme Probleme. Aber es geht überaus friedlich zu."

Garpenstål spricht für eine in Schweden rasant wachsende Branche, die der Musikindustrie des Landes schon bald den Rang ablaufen könnte. Auf der "Dreamhack", die vor 15 Jahren noch eine beschauliche Demoparty der Hacker war, inszenieren heute gesponserte Profispieler ihren Auftritt. Das kleine Schweden ist eine Supermacht des E-Sport. Von den Gamern werden die Gladiatoren wie Sportikonen verehrt.

Von solchen Höchstleistungen ist Karin Andersson noch meilenweit entfernt. Die Lehrerin Mitte 40 teilt sich den engen Lebensraum ihrer Tischecke mit ihrem Mann Bengt und den beiden halbwüchsigen Kindern. Seit Stunden schon bewegt sich die Familie durch die Phantasiewelten des Strategiespiels "World of Warcraft".

"Ich mag das Spiel, denn man zieht gegen Monster zu Felde und nicht gegen einen Gegner, der wie ein Mensch aussieht. Die Geschichten sind ausgedacht, genauso wie die Monster und die Waffen, die zum Einsatz kommen. Meine Lieblingsfigur ist diese kleine Kuh hier, die so niedlich mit dem Schwanz wedelt, wenn sie läuft."

In Schweden sind Computerspiele gesellschaftsfähig. Kein Wunder, dass sich auch die Politik zunehmend für die Branche interessiert. Nach drei Tagen Ballerei konnte Schwedens Infrastrukturministerin Asa Torstensson am Sonntag unter dem Jubel der 15.000 Kombattanten den offiziellen Weltrekord für die größte LAN-Party verkünden.