Weltoffen und innovativ

Bis zum dritten Jahrhundert vor Christus war Karthago die reichste Stadt im Mittelmeerraum. Bis die Römer kamen und es völlig zerstörten. Althistoriker Klaus Zimmermann versucht, das von den Römern lancierte negative Karthago-Bild zu korrigieren.
Der erfolgreichste Propaganda-Ohrwurm, den uns die Römer verpasst haben, ist die in Latein-Grammatikstunden bis zum Umfallen eingepaukte Formel des Karthagerhassers Cato: ceterum censeo Carthaginem esse delendam. Holprig ins Deutsche übersetzt heißt das: Und im Übrigen meine ich, dass Karthago eine zu zerstörende (Stadt) ist. So gnadenlos wie die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ganze Städte dem Erdboden gleich machte, verfuhr Rom am Ende des 3. Punischen Krieges im Jahr 146 v. Chr. mit seinem Erzrivalen Karthago, der nach langem vertraglich geregeltem Neben- und auch Miteinander schließlich, zur abschreckenden Warnung gegenüber möglichen anderen Rivalen, systematisch ausgelöscht wurde. Ein derart brutales Vorgehen passte nicht zu den von Rom hochgehaltenen hehren Begriffen der Vertragstreue und der Rechtlichkeit seiner Mission.

Seit seinem totalen Sieg beherrscht Rom bis heute fast uneingeschränkt die Wahrnehmung des fremdländischen, angeblich auch moralisch minderwertigen Verlierer-Rivalen Karthago, das 814 von den Phöniziern als schnell aufblühender nordafrikanischer Handelsstützpunkt gegründet worden war. Nach dem beginnenden Aufstieg Roms kam es schon um 506/07 zu einem ersten vertraglich geordneten fairen Interessensabgleich der beiden Mächte. Weitere Verträge folgten. Der vierte und letzte Vertrag – vor Ausbruch des 1. Punischen Krieges – wurde 279/80 v. Chr. besiegelt.

Der griechische Historiker Polybius von Megapolis, einer von Zimmermanns Kronzeugen, konnte diese Verträge in Rom noch Mitte des 2. Jahrhunderts im "Tempel des Kapitolinischen Iupiter im Aerarium der Aedilen" studieren und aus ihnen zitieren. Diese mit Karthago geschlossenen Verträge verschwanden dann auf Nimmerwiedersehen. Nicht nur in Karthago wurden alle Quellen zerstört, die Roms dubiose Behauptung, Karthago habe den Konflikt angezettelt und trage die Alleinkriegsschuld, hätten relativieren können.

Mit unbestechlich analytischem Detektivsachverstand zerpflückt Klaus Zimmermann unter Einsatz der verschiedensten verstreut erhaltenen Quellen, auch die der materiellen Kultur, das römische Propagandakonstrukt und eröffnet den Lesern seines Buches, auch anhand der vielen sehr anschaulichen Abbildungen, ein ganz neues Bild von Karthago. Wie ein Phönix entsteht Karthago somit gleichsam virtuell aus seiner Asche neu vor unseren Augen als eine weltoffene, kulturell hochstehende, innovative Stadt, in der sich die vielen Nationen des südlichen Mittelmeerraumes trafen und austauschten.

Darüber hinaus zeigt Zimmermann beispielhaft auf, wie sich Geschichtsschreibung von der Politik vereinnahmen lässt, welche Mechanismen bei solchen Fälschungen der Wirklichkeit im Spiel sind und wie man sie durch akribische Analyse entlarven kann. Ein ganz besonders wichtiges, spannend geschriebenes, aufklärendes Buch, das nachdenklich macht und das allen politisch Interessierten zur Lektüre empfohlen sei.

Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr

Klaus Zimmermann: Karthago. Aufstieg und Fall einer Großmacht
Theiss Verlag, Stuttgart 2010
160 Seiten, 130 Abbildungen, 39,90 Euro
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