Weltlose Eiferer

Von Andreas Krause Landt |
Der Zweite Weltkrieg war kaum zu Ende, als der Schweizer Essayist Denis de Rougemont über den Teufel schrieb. Er meinte, wenn es den Teufel wirklich gäbe, müsse man es als seinen Triumph ansehen, uns glauben zu machen, er, der Teufel, sei niemand anders als Hitler.
Das sollte heißen: Das Böse ist vielgestaltig, und wer meint, es identifizieren zu können, der riskiert umso mehr, ihm zu verfallen. Selbstverständlich wollte der Autor Hitler nicht verharmlosen, er wollte schlicht darauf hinweisen, dass das Böse nicht einziger Art ist.

In diesen Tagen, in denen sich unsere Öffentlichkeit aus Politikern und Journalisten über die unbedachten, wohl bloß polemisch gemeinten Äußerungen einer Fernsehmoderatorin und eines Kardinals entrüstet, darf Rougemont sich bestätigt fühlen. Kaum einer stört sich heute an den erstaunlichen Auswüchsen im Kampf gegen Hitler, den Teufel. Man muss Eva Herman und ihre etwas naive Einschätzung der NS-Familienpolitik ebenso wenig verteidigen wollen wie Kardinal Meisner mit seiner Kritik an der abstrakten Kunst. Aber man muss sich darüber wundern, dass der Protest in diesen wie auch in anderen Fällen nicht nur keine Parteien mehr kennt, sondern auch keine Verhältnismäßigkeit.

Das von Kardinal Meisner benutzte Wort "entartet" finden wir im Grimmschen Wörterbuch mit Zitaten von Schiller und Klopstock belegt. Aber wer von Hitler kontaminierte Wörter benutzt, dem soll nichts und niemand mehr helfen, kein Klopstock und kein Schiller, auch keine Lesung "gegen Rechts".

Stimmen, die sich kritisch mit den deutschen Zuständen befassen, werden gern überhört. So die des Literaturwissenschaftlers Karl Heinz Bohrer. Der fühlte sich erst kürzlich "an das weltlose Zelotentum der Nazis" erinnert, was die frenetische Rhetorik, den Fanatismus, die Taktlosigkeit und die Unzivilisiertheit unserer aufrechten Antifaschisten und politischen Moralisten betrifft. Bohrer konstatierte eine "eigentümliche Äquivalenz von Nazimilieu und bekennerischem Antifaschismus", und er stellte die nahe liegende These auf, dass diese Art von Öffentlichkeitsdrang sich unter jedem beliebigen Regime Geltung verschaffen würde.

Wo die Anklage auftrumpfend als Urteil vorgebracht wird, droht der nachgeholte Antifaschismus seinerseits totalitär zu werden. Aber wir wollen nicht klagen, auch nicht anklagen, sondern verstehen. Also geht es eher um die Frage, welchen Gewinn man sich von der geradezu hysterischen Wachsamkeit verspricht. Steckt überhaupt mehr dahinter als heuchlerische Abwehr und gouvernantenhafte Empfindlichkeit? Vermutlich schon. Vermutlich gibt es nach einer karthagischen Niederlage wie der von 1945 ein geradezu instinktives Bedürfnis, alles zu unterdrücken, was auch nur im Mindesten eine Wiederholung jenes Schicksals provozieren könnte.

Hören wir einen anderen unbeachteten Protest. Vor einigen Jahren übte der Schriftsteller Adolf Muschg, damals Präsident der Berliner Akademie der Künste, längst notwendige Kritik an der Traditionsignoranz der Deutschen und ihrer "Selbstqualifikation als Täternation", wie er den Kult mit der Schuld nannte. Er sagte: "Schuld- und Schamgefühl: ja, doch mit Takt", und er forderte damals, "beides darf sich nicht zu einer neuen ... Form von Unverschämtheit auswachsen". Vielleicht wollen uns gerade jene braven Bürger, die sich immer öfter zu obszönen Anlehnungen an Hitler und das Dritte Reich versteigen, nur die Last unserer Tabus deutlich machen und uns sagen, dass die Blockwartmentalität in unserem Land die Grenze des Erträglichen überschritten hat.

Wie gesagt: Es geht nicht darum, schlichte Kritik am Zeitgeist zu verteidigen, die glaubt, sich auf das Dritte Reich berufen zu müssen. Sondern darum, dass die übermäßige Abwehr dieser Kritik eine entscheidende Frage unterdrückt: ob wir das, was wir sind und sein wollen, wirklich nur in permanenter Abstoßung von Hitler, dem vermeintlichen Teufel, definieren können und dürfen. Wenn man unseren Zeitgenossen das bisschen Affirmation und Bei-sich-Sein erlaubte, das ihnen nach den Verwüstungen von Kommunismus und Nationalsozialismus noch geblieben ist, wenn man sich über ihre Verlustgefühle weniger zynisch hinwegsetzte, wenn man die Anhänglichkeit ans Eigene, an die Reste des historisch Gewachsenen nicht fortwährend mit dem Faschismusverdacht bekämpfte, dann gäbe es auch keine Provokationen à la Herman und Meisner.

Andreas Krause Landt, Verleger und Journalist, geboren 1963 in Hamburg. Studierte in Heidelberg und Berlin Germanistik, Philosophie und Geschichte. Seit 1997 Mitarbeiter der Berliner Zeitung. 1999 erschien sein Buch "Scapa Flow. Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte"; 2005 "Holocaust und deutsche Frage. Ein Volk will verschwinden" in der Zeitschrift Merkur (Heft 680); 2007 "Mechanik der Mächte. Über die politischen Schriften von Panajotis Kondylis" in "Panajotis Kondylis. Aufklärer ohne Mission" (hrsg. von Falk Horst). 2005 Gründung des Landt Verlags in Berlin (www.landtverlag.de).