Weltliteratur aus den Karawanken

Von Mirko Schwanitz · 18.06.2011
Mit dem Petrarca-Preis wird das Werk europäischer Schriftsteller gewürdigt, die trotz ihrer Bedeutung für die deutschsprachige Literatur in Deutschland nicht ihrem Rang gemäß wahrgenommen werden. Diesmal ging er an den im slowenisch geprägten Südkärnten geborenen Florijan Lipus.
Das Gebirge der Karawanken trennt Österreich von Slowenien. Wiesen rechts und links, an ihren ausgefransten Rändern nichts als aufragender Fels. Eidechsen sonnen sich auf einem geschotterten Weg. An seinem Ende, unweit des Fleckens Eisenkappel, wurde der Schriftsteller Florijan Lipus 1937 als Kind einer Magd und eines Holzfällers geboren.

Florijan Lipus: "Es wurde überhaupt nicht geredet in unserer Familie. Wir sind so, jeder ist seiner Arbeit nachgegangen. Mit meinem Vater hab ich nie anderes geredet als über die Arbeit, das ist zu machen, das machen wir so, das machen wir so. Das war das ganze Gesprächsthema."

Seine Erinnerungen an das dörfliche Leben, aber auch an den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 und die Nachkriegszeit prägen bis heute Lipus' Gesamtwerk als Schriftsteller.
"Ich hab zwar gemerkt, dass Krieg ist, dass fremde Leute da ein- und ausgehen, dass da Flugzeuge rüber fliegen, oft sind Sachen runtergefallen auf unsere Wiese von den Flugzeugen. Das hab ich schon gemerkt, aber was das bedeutet, da hab ich ja keine Ahnung gehabt."

Der Krieg zertrümmert wie ein Gebirgsschlag Lipus' Familie. Der Vater muss zur Wehrmacht und kommt als gebrochener Mann zurück. Die Mutter wird im KZ Ravensbrück ermordet. Das Schweigen des Vaters, der Verlust der Mutter wird zum Lebenstrauma.

"Ob sie vergast worden ist oder ob sie da, also woran sie gestorben ist, weiß ich nicht. Ich hab das echt verdrängt, ich hab mich nie drum interessiert. Was ich so weiß, weiß ich eigentlich gezwungenermaßen. Es ist auch nie in der Familie drüber gesprochen worden, nicht ..."

Der Vater bringt ihn in ein katholisches Internat. Lipus soll Priester werden, studiert sogar katholische Theologie. Doch er kehrt der Kirche den Rücken und ergreift 1966 den Lehrerberuf. Seitdem schreibt er in seiner slowenischen Muttersprache - über die Engstirnigkeit der Bergler, die kalte Allmacht der Kirche, den Zerfall seiner heute kaum noch 15.000 Menschen zählenden kärntner-slowenischen Volksgruppe. Und immer wieder thematisiert er die eigene Familiengeschichte, den Verlust der Mutter in beispielloser Eindringlichkeit – wie hier in "Bastian o Let", "Bastians Flug":

Lesung (Stimme von Peter Sodann): "Auch an jenem Tag war er, beladen mit Nahrungsmitteln und anderen Sachen, bereits aus dem Haus, als ihn die Straße unerwartet in die Enge nahm, zum Anhalten zwang, auf den Schotter bannte, das Hinscheiden der Mutter zeichnete. Der Boden gefror an seinen Sohlen, ... ein schwarzer Fleck senkte sich auf seine Augen und machte ihn einige Momente lang blind. Doch in dieser Dunkelheit, hinter dem Fleck, erschien die leuchtende Gestalt der Mutter. Lange dauerte ihr Sterben, begann immer wieder vom Ende her, langsam wurde ihr der Tod verabreicht und noch ehe sie weg war, schleppte dieser Tod sich ins Haus ..."

Bereits in den 80-ern erscheint Lipus' Roman "Der Zögling Tjaz" - ein leidenschaftlicher Protest gegen jegliche repressive Sozialisationsversuche durch die Kirche und die eigene Volksgruppe. Obwohl er der in seinen Büchern fast stur die Treue hält, entlarvt er ihr Innenleben stets mit unvergleichlich sarkastischer Distanz. Diese Fähigkeit ist es, die Lipus Bedeutung in der europäischen Literatur ausmacht. Autoren von Peter Hamm bis Peter Handke schwärmen deshalb seit Jahren von Lipus' einmaliger Sprache. Verleger Loize Wieser, Herausgeber von Lipus' Werkausgabe, zitiert aus einem Brief, den Peter Handke schrieb, nachdem er den Roman "Bastian o Let", "Bastians Flug" gelesen hatte.
""Lieber Florijan, in den letzten Tagen habe ich 'Bastian o Let' gelesen mit immer stärkerem Staunen, immer stärkerer Ergriffenheit. Endlich schreibt er die Geschichte, die Geschichte der Geschichten, vom Kindsein, Mannwerden, von der Mutter, der Liebsten ... All deine unglaubliche Wortspielkunst war nie um ihrer selbst willen unterwegs, zeigte immer die Situation als Bild außen und innen als Sprache, eher als Sprachspiel. Insofern ist deine Kunst unvergleichlich real statt realistisch."

Ob in "Bastians Flug", der den Tod der Mutter thematisiert, im Roman "Der Zögling Tjaz", in dem er die Gewalt in einem katholischen Internat schildert, oder in seiner Novelle "Die Regenprozession", in der er es um eine späte Hexenverbrennung geht – stets setzt sich Lipus mit einem gegen das Individuum gerichteten Totalitarismus auseinander. Der Sprachmodernisierer verschont dabei auch die eigene Volksgruppe nicht, deren Funktionäre Sprache und Kultur der slowenischen Minderheit zwanghaft erhalten wollten. Warum etwas erhalten, das doch in einem jämmerlichen Zustand ist, empörte er sich einmal. Und fügte hinzu: Für eine solche Kultur wolle er, Lipus, jedenfalls nicht mehr kämpfen.

Lipus: "Also, ich gehöre nicht zu denen, die behaupten, sie müssen schreiben, es drängt aus ihnen was heraus, aus mir drängt nichts heraus, bei mir geht alles sehr zaghaft und irgendwie auch schwer. Also, ich muss wirklich nicht, verspüre keine messianischen Anfälle oder so was."