Weltläufige und ortlose Erzählungen
In den kurzen Texten des Erzählungsbandes "Spiel auf vielen Trommeln", geht es um die ganz großen Fragen. Was ist ein "Ich"? Welche Grenze zieht der Tod? Welchen Sinn hat unser Handeln? Welche Ordnung hat unsere Welt? Olga Tokarczuk schreibt poetische und vertrackte Parabeln über diese Fragen, sie entwirft Geschichten, deren Abschlüsse zuverlässig die vorher gewonnenen Gewissheiten über den Haufen werfen.
Zum Beispiel: "Bardo. Die Weihnachtskrippe". Die Geschichte spielt in der Grenzlandschaft zwischen Polen und Tschechien, in der Olga Tokarczuk schon viele andere Erzählungen und Romane angesiedelt hat. Bardo ist ein kleiner Ort im polnischen Teil des Sudetenlands, in ein Tal geklemmt, "von denen es hier so viele gibt, kleine Runzeln auf dem Gesicht der Erde, kaum ein Krähenfuß."
Die Attraktion von Bardo ist die Weihnachtskrippe, ein über Jahrhunderte ausgebautes mechanisches Welttheater mit einer unüberschaubaren Szenenfülle, eine Krippen-Landschaft, die ein ganzes Haus ausfüllt. Jesuiten haben die Krippe im 16. Jahrhundert aufgestellt, Deutsche und Tschechen haben sie weiter ausgebaut, sie haben immer neue Szenen angefügt und das mechanische Getriebe verfeinert, das Menschen und Tiere durch die Krippenlandschaft ziehen lässt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Vertreibung der Deutschen, übernimmt eine polnische Vertriebene die Aufsicht über die Krippe.
Maria Kowalska wird sie in der Erzählung genannt, sie musste ihre Heimat im früheren Ostpolen verlassen. Sie führt die Krippe in die Gegenwart, sie baut Eisenbahnzüge und Züge, Soldatengruppen, Panzer und Friedhöfe in das Heilsgeschehen ein. Die Krippe, die immer weiter ausholt und die ganze Welt vor das Angesicht des neugeborenen Jesus bringt, sie wird zur Touristenattraktion. Bis sie eines Tages im Jahre 1957 ein Bergrutsch zerstört. Den Touristen, die immer noch dorthin kommen, bleibt nur die eine andere Attraktion des Städtchens, ein Schreckenskabinett, in dem der alte Krippen-Mechaniker als Gespenst mit der Kette rasselt.
Ähnlich symbolgeladen gestaltet Olga Tokarczuk auch die anderen Erzählungen. "Das Subjekt": ein Schriftsteller verdoppelt sich in zwei Existenzen: eine weltabgewandte und eine, die sich eitel in alle Versuchungen des öffentlichen Lebens wirft.
"Die Bohnenweissagung": ein polnischer ZK-Funktionär lässt sich von einem alten Mann die Zukunft vorhersagen, auch Stalins Tod wird von dem Alten per Bohnenwurf prophezeit. Der Funktionär kommt ins Grübeln, welche Rolle ihm in der vorherbestimmten Zukunft noch bleibt. "Die Glyzinie": ein toter Mann, den zwei Frauen – Tochter und Mutter – gleichermaßen begehrt und geliebt hatten, wird von ihnen qua Beschwörung wieder ins physische Leben zurückgeholt. Sie bestätigen das Gesetz: "Nur das ist, von dem man glaubt, dass es ist."
All diese surrealen Ereignisse werden von Olga Tokarczuk mit der schönsten Selbstverständlichkeit geschildert. Reales und Phantastisches, Diesseitiges und Jenseitiges durchdringen sich ständig in diesen Geschichten. Allerdings: diese neuen Geschichten von Olga Tokarczuk haben nur selten die Eindringlichkeit ihrer früheren Texte.
Ihre Bücher "Taghaus, Nachthaus" oder "Ur und andere Zeiten" haben aus der Verwurzelung im polnisch-tschechischen Grenzland gelebt, aus der Vermischung von polnischen und deutschen Mythen, Träumen und Heiligenlegenden. Die Erzählungen des Bandes "Spiel auf vielen Trommeln" sind weltläufiger und ortloser. Aber in einem ist sich Olga Tokarczuk treu geblieben: in der intensiven, ebenso poetischen wie konkreten Kraft ihrer Sprache.
Olga Tokarczuk, Spiel auf vielen Trommeln.
Erzählungen, Mit einem Nachwort von Katharina Döbler.
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky
Matthes und Seitz Verlag, 140 Seiten, 14,80 Euro.
Die Attraktion von Bardo ist die Weihnachtskrippe, ein über Jahrhunderte ausgebautes mechanisches Welttheater mit einer unüberschaubaren Szenenfülle, eine Krippen-Landschaft, die ein ganzes Haus ausfüllt. Jesuiten haben die Krippe im 16. Jahrhundert aufgestellt, Deutsche und Tschechen haben sie weiter ausgebaut, sie haben immer neue Szenen angefügt und das mechanische Getriebe verfeinert, das Menschen und Tiere durch die Krippenlandschaft ziehen lässt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Vertreibung der Deutschen, übernimmt eine polnische Vertriebene die Aufsicht über die Krippe.
Maria Kowalska wird sie in der Erzählung genannt, sie musste ihre Heimat im früheren Ostpolen verlassen. Sie führt die Krippe in die Gegenwart, sie baut Eisenbahnzüge und Züge, Soldatengruppen, Panzer und Friedhöfe in das Heilsgeschehen ein. Die Krippe, die immer weiter ausholt und die ganze Welt vor das Angesicht des neugeborenen Jesus bringt, sie wird zur Touristenattraktion. Bis sie eines Tages im Jahre 1957 ein Bergrutsch zerstört. Den Touristen, die immer noch dorthin kommen, bleibt nur die eine andere Attraktion des Städtchens, ein Schreckenskabinett, in dem der alte Krippen-Mechaniker als Gespenst mit der Kette rasselt.
Ähnlich symbolgeladen gestaltet Olga Tokarczuk auch die anderen Erzählungen. "Das Subjekt": ein Schriftsteller verdoppelt sich in zwei Existenzen: eine weltabgewandte und eine, die sich eitel in alle Versuchungen des öffentlichen Lebens wirft.
"Die Bohnenweissagung": ein polnischer ZK-Funktionär lässt sich von einem alten Mann die Zukunft vorhersagen, auch Stalins Tod wird von dem Alten per Bohnenwurf prophezeit. Der Funktionär kommt ins Grübeln, welche Rolle ihm in der vorherbestimmten Zukunft noch bleibt. "Die Glyzinie": ein toter Mann, den zwei Frauen – Tochter und Mutter – gleichermaßen begehrt und geliebt hatten, wird von ihnen qua Beschwörung wieder ins physische Leben zurückgeholt. Sie bestätigen das Gesetz: "Nur das ist, von dem man glaubt, dass es ist."
All diese surrealen Ereignisse werden von Olga Tokarczuk mit der schönsten Selbstverständlichkeit geschildert. Reales und Phantastisches, Diesseitiges und Jenseitiges durchdringen sich ständig in diesen Geschichten. Allerdings: diese neuen Geschichten von Olga Tokarczuk haben nur selten die Eindringlichkeit ihrer früheren Texte.
Ihre Bücher "Taghaus, Nachthaus" oder "Ur und andere Zeiten" haben aus der Verwurzelung im polnisch-tschechischen Grenzland gelebt, aus der Vermischung von polnischen und deutschen Mythen, Träumen und Heiligenlegenden. Die Erzählungen des Bandes "Spiel auf vielen Trommeln" sind weltläufiger und ortloser. Aber in einem ist sich Olga Tokarczuk treu geblieben: in der intensiven, ebenso poetischen wie konkreten Kraft ihrer Sprache.
Olga Tokarczuk, Spiel auf vielen Trommeln.
Erzählungen, Mit einem Nachwort von Katharina Döbler.
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky
Matthes und Seitz Verlag, 140 Seiten, 14,80 Euro.