Weltkriegsmunition im Meer

Wenn die Welle den Blindgänger an den Strand spült

Ein Taucher entdeckt eine Seemine
Ein Taucher entdeckt eine Seemine © Kampfmittelräumdienst / dpa
Von Wolfgang Noelke · 31.05.2018
Die Meere waren im Zweiten Weltkrieg ein Großkampfplatz. Und noch immer liegen viele Blindgänger im Wasser und modern vor sich hin. Ein Team deutscher Wissenschaftler sucht nun nach den verborgenen Gefahren für Mensch und Umwelt.
Aus den Augen, aus dem Sinn! - Jetzt zwar wieder im Sinn, aber größtenteils unauffindbar: Die nach Weltkriegsende von Alliierten in Nord- und Ostsee entsorgte alte Kriegsmunition hatte inzwischen mehr als 70 Jahre Zeit zu rosten und wird immer gefährlicher:
"Wir haben die Situation, dass alleine in deutschen Meeresgewässern von Nord- und Ostsee 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition vor sich hin rosten. Sie sind versenkt worden, sie sind während der Kriege eingebracht worden, sie korrodieren langsam vor sich hin. Dazu kommen noch einige zehntausend Tonnen chemischer Munition, die ebenfalls ein Problem darstellen", sagt Jens Sternheim vom Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein, kurz MELUND.
Was seit Kriegsende höchstens mal eine Zeitungsmeldung wert war, wenn zum Beispiel Fischer Munition im Netz an Bord zogen, scheint erst jetzt Politik und Wirtschaft aufzuschrecken. Sind die Standorte der Offshore- Windparks und der Kabeltrassen sicher? Selbstverständlich nicht, auch wenn stählerne Bombenhüllen verrostet sind, so Jens Sternheim: "Fakt ist: Die Sprengkörper sind nach wie vor Sprengkörper, sie explodieren, und - im Gegenteil - sie sind gefährlicher als früher. Die Veränderungsprozesse im Alterungsprozess haben dazu geführt, dass der Sprengstoff sensibler ist als 'Neuware'."

Kampfmittel am Badestrand

Eine besondere Gefahr droht, wenn Kampfstoffreste an den Strand gespült werden. Kim Detloff von der Umweltorganisation NABU beschreibt Fälle, die spektakulär von den Medien aufgegriffen wurden. Etwa der eines Jungen und seiner plötzlich rötlichen Hände: Er hatte "bei Schönberg an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste tagelang mit einem orangenen leichten Stein gespielt und erst nach einer Osyssee durch die Institutionen wurde herausgefunden, dass der Junge Schießwolle in der Hand hatte."
Kim Detloff, Leiter Meeresschutz des Umweltverbandes NABU
Kim Detloff, Leiter Meeresschutz des Umweltverbandes NABU© dpa-Zentralbild / Stefan Sauer
"Sei es, dass Treibladungen gefunden werden, sei es, dass Zünder gefunden werden und sei es, dass weißer Phosphor mit Bernstein verwechselt wird: Wenn er unachtsam in die Hosentasche gesteckt wird, entzündet er sich bei der Verbindung mit Luftsauerstoff und kann eine Stichflamme erzeugen von tausenddreihundert Grad, was zu sehr ernsthaften Verletzungen führt."
Ein kaum erforschtes Problem bilden Komponenten der im Lauf der Jahre sich im Wasser zersetzenden Kampfstoffe, zumal bei den üblichen Sprengungen unter Wasser etwa 25 Prozent des gefährlichen Inhalts gar nicht zünden, sondern weit in die Umgebung geschleudert werden
"Wir wissen heutzutage aus aktuellen Untersuchungen, aber auch aus älteren Untersuchungen, dass sich TNT, RDX - Kampfstoffe also in der Munition - letztendlich auch in der marinen Nahrungskette nachweisen lassen und dass zum Beispiel in 'Klieschen' Kampfstoffe gefunden wurden und in Plattfischen auch."

Wieviel TNT ist eigentlich im Speisefisch?

Im nächsten Februar endet die Finanzierung des dreijährigen Forschungsprojektes UDEMM. UDEMM steht dabei für "Umweltmonitoring für die Delaboration von Munition im Meer. Im Rahmen des UDEMM untersucht Jens Greinert die Wechselwirkung verschiebender küstennaher Wassermassen mit dem Auflösungsverhalten des im Meerwasser bereits allgegenwärtigen TNT, also ein sogenanntes Langzeitmonitoring für verlässliche Werte der Risikoberechnung:
"Wir wollen vor allem wissen, gibt es freiliegendens TNT – oder 'Schießwolle 39' in diesem Fall und wieviel wird davon gelöst, wieviel kommt ins Wasser, und hat es einen Einfluss auf die Nahrungskette, landet es im Fisch, der am Ende des Tages auf meinem Teller landet?"
Das größte, aber mit modernen Echolot- und Radarsystemen zu lösende Problem ist die Kartierung. Im letzten Jahrhundert wurden Schiffe noch mit Sextant und mechanischem Chronometer navigiert. Logbucheinträge aus jener Zeit sind im Vergleich zur heutigen satellitengestützten Navigation, zum Beispiel mit GPS und dem russischen Glonas, extrem ungenau. Unter Einsatz modernster Echolot- und Radarsonden wird der Meeresboden gescannt, so Greinert: "Ziele des Projektes ist genau zu wissen, wo liegt denn die Munition und wieviel? Genau in diesem Fall heißt nicht, auf zweieinhalb Meter genau, was das normale GPS gibt, sondern wir wollen das auf fünf Zentimeter genau wissen. Weil, wir wollen auch wissen, ob sich diese Munition eventuell umlagert. Damit haben wir schon relativ hohe Anforderungen an die Messverfahren."
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