Weltklasse-Oper "Der ferne Klang"

Rasender Stillstand im Bordell

Touristen vor Bordellen und Sex-Shops auf der Hamburger Reeperbahn.
Die Sehnsucht nach ihrem geliebten Fritz treibt Grete auf die schiefe Bahn - und schließlich ins Bordell. © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Von Jörn Florian Fuchs · 10.07.2015
Realistisch, aber keineswegs platt, erzählt die Regisseurin Tatjana Gürbaca die Oper um den Komponisten Fritz, der seine Geliebte Grete auf der Suche nach dem "fernen Klang" verlässt. Ihre Personenführung ist atemberaubend intensiv.
Diese Aufführung verlässt man mit wackligen Knien. Fritz hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, Grete nimmt ihn in die Arme. Dann sieht man das Paar auf einem Video in gleißendes Licht schreiten, es könnte Erlösung bedeuten oder auf ein gemeinsames Verglühen hinweisen. Beides wäre logisch, denn die zwei fanden ja nach langer Zeit wieder zusammen, andererseits sieht man kurz vor dem Feuerfinale eine verbrannte Hütte ...
Rückblende. Ein kleines Holzhaus. Rechts ein paar grobe Äste. Und zwei junge Menschen, die sich in dieser bescheidenen, rustikalen Welt eingerichtet haben. Doch das Glück währt nur kurz, denn Fritz ist Komponist und sucht den "fernen Klang", das Fremde und noch nie Gehörte. Eine Ahnung davon hat er bereits. Hier am See findet er ihn nicht, also geht er auf Welt- und Lebensreise.
Grete jedoch gerät auf die schiefe Bahn. Erst verweigert sie sich ihrem Vater, der sie lukrativ verheiraten möchte. Dann wird sie doch zum unreinen Objekt, in einem Bordell. Man spielt um sie und Gewinner ist der zufällig herein geschneite Fritz. Doch als er Gretes unseriösen Job erkennt, ergreift er rasch die Flucht. Jahre später trifft der mittlerweile Schwerkranke und Frustrierte noch ein letztes Mal seinen Lebensmenschen und hört plötzlich seinen Traumklang klar und deutlich ...
Was es mit dem ganz genau auf sich hat, das beantwortet Franz Schreker nicht. Die im Stück oft auftauchenden Sphärenklänge – glitzerndes Schlagwerk, feinfühlige harmonische Wendungen, verschraubte Bögen – verweisen allenfalls entfernt auf die beschworene, mysteriöse "Meta-Musik". Im Orchester tut sich einiges, süffigste Tutti-Ausbrüche stehen neben bewusst unscharf gehaltenen Passagen, hier setzen die Instrumente etwas zu früh oder zu spät ein, dadurch wird alles merkwürdig verschwommen, ungenau. Gemeinsam mit einer Überfülle von idiomatischen Variationen ergibt sich ein spannungsreiches Gesamtbild.
Schwelgerische Gesangslinien und traurige Menschen
Auch die verschwenderisch schwelgerischen Gesangslinien sowie komplizierte Raum- und Echoeffekte stellen hohe Anforderungen an die Ausführenden. Dan Ettinger gelingt hier mit dem Mannheimer Opernorchester eine echte Meisterleistung. Cornelia Ptassek beeindruckt, obwohl verschnupft angekündigt, als Grete mit herrlich ausschwingendem Sopran. Michael Baba wirkt als Fritz zunächst etwas angestrengt, fängt sich jedoch bald. Bei den kleineren Partien überzeugen vor allem Raymond Ayers und Bartosz Urbanowicz. Letzterer mimt Dr. Vigelius, eine undurchsichtige Figur, bei der es sich möglicherweise um den Teufel handelt.
Regisseurin Tatjana Gürbaca nimmt die metaphysischen Stimmungen des Stücks ernst, ohne sie zu stark zu betonen. Sie erzählt realistisch, ohne dass es platt würde. Die Hütte des Liebespaars verschwindet bald in den Bühnenhimmel und hinterlässt einen Haufen Sand. Später taucht sie als halb verbrannter Rest wieder auf. Im Bordell herrscht rasender Stillstand mit viel Hektik und Chaos, doch eigentlich befinden sich hinter all dem Gezappel nur leere, traurige Menschen. Im Schlussakt dreht sich die Bühne, die jetzt nur ein leerer Kasten ist – welcher freilich ab und an als Projektionsfläche für Videos dient. Man sieht etwa Grete auf einer Blumenwiese und dies wirkt keinen Moment lang kitschig.
Tatjana Gürbacas Raumdramaturgie und Personenführung ist atemberaubend intensiv, da stimmt jedes winzigste Detail. Für die Mannheimer Schreker-Produktion lohnt sich wirklich auch eine sehr weite Anreise. Dieser "Ferne Klang" ist schlicht Weltklasse!
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