Weltklang-Nacht der Poesie in Berlin

Von Dirk Fuhrig |
Das Berliner Poesiefestival zieht alljährlich tausende von Besuchern an. Normalerweise bildet der Potsdamer Platz die große Bühne für die Auftaktveranstaltung dieses internationalen Treffens der Dichter, Wort- und Klang-Künstler. Das Wetter wollte diesmal nicht. So gab es Lyrik zwar nicht Open Air, aber dennoch experimentell.
Sie hatte ihren Kehlkopfgesang in den Himmel über Berlin schicken wollen. Doch gegen die Wettergötter hatte auch die furchteinflößende Stimme der südsibirischen Lautpoetin Sainkho Namtchylak keine Chance. Statt gegen die Fassaden der Hochhäuser am Potsdamer Platz, gegen Wind und Wolken anzuschreien, musste auch die Meisterin des Obertongesangs am Ende mit den vier Wänden eines Konzertsaals vorlieb nehmen. Immerhin: Der Ersatzort war kein ganz gewöhnlicher Veranstaltungsraum, sondern das ehemalige Kesselhaus einer Bierbrauerei.
Das Genre Gedicht – zumal wenn es unter dem altertümlichen und nach dem entsprechenden Album klingenden Namen "Poesie" verkauft wird – ist nicht unbedingt ein Publikumsrenner. Ganz anders beim Berliner Festival, wo Gedichte so vielfältig präsentiert werden, dass die "Weltklang-Nacht" eher an eine Performance erinnert.
Gedichte klingen – wie dieses Stück Soundpoesie der Südafrikanerin Lebogang Mashile. Zumindest wenn sie am richtigen Ort richtig in Szene gesetzt werden. Sagt Thomas Wohlfahrt, Organisator des Poesiefestivals:
"Wenn man sagt, Poesie ist eine eigenständige Kunst, dann hat das damit zu tun, dass das Gedicht aus besonderem Gewebe ist. Das sind Soundlinien, das sind Rhythmuslinien, das ist eine Bilderwelt, das ist eine grafische Inszenierungen, und das beste Instrument, um ein Gedicht zu realisieren, ist die Stimme dessen, der es geschrieben hat. Darüber wird ein Konzert möglich. Wir nehmen Poesie von ihrer Musikalität her."
Weltklang – Nacht der Poesie: Ein Konzert aus Worten und Musik, in unterschiedlichen Sprachen. Der Amerikaner Gerald Stern war am Eröffnungsabend dabei, die türkische Lyrikerin Gülten Akin, Hsia Yü aus Taiwan, Dichter aus Polen, Deutschland und der Schweiz. Das ist das Besondere an Poesie: Ihr Rhythmus schleicht sich ins Gemüt, auch wenn man die Sprache nicht unbedingt versteht, in der sie geschrieben sind. Denn wer kann schon Isländisch, um etwa die Liebes- und Natur-Verse des Lyrikers Sjón im Original rezipieren zu können.
Wer auch inhaltlich begreifen möchte, was uns der Dichter sagen will, bekommt beim Weltklang ein kleines Heft mit allen Übersetzungen. Dennoch: Gedichten lauscht man am besten in ihrer Ursprungssprache. Übersetzungen sind sowieso immer nur grobe Annährungen. Auch diesem Thema widmet sich das einwöchige Festival. Ales Steger, Literat aus Slowenien, betreut die "Vers-Schmuggel" genannte Übersetzerwerkstatt.
"Die Poesie ist ja ein sehr prekäres Metier. Eine gelungene Übersetzung in der Poesie ist vielleicht eine Utopie. Es gibt sehr nahe Annäherungen, aber das meiste schlägt daneben."
Von formal eher traditionellen Dichtern wie Peter Rühmkorf über die experimentelle Soundpoetin Amy X Neuburg bis zum Rap reicht die Bandbreite des Festival-Programms, das ganz bewusst auf Gegensätze setzt. Thomas Wohlfahrt von der Literaturwerkstatt Berlin:
"Man muss über andere Präsentations- und mediale Formen nachdenken. Ich sage nur den Bereich der ganzen digitalen Poesie, also was computergestützt passiert. Das sind hoch spannende Geschichten, wo die Elemente der Poesie, ob Sound oder visuell oder traditionell zusammenkommen und eine neue Melange miteinander eingehen."
Liest man manche Programmpunkte der Berliner Lyriktage – etwa die Ankündigung für die französische Hip-Hop-Band "La Caution" - dann glaubt man sich eher auf einem Pop-Festival. Mit "Lyrik" im klassischen Sinne hat das zwar wenig zu tun. Mit dem Grenzen überschreitenden und im besten Sinne "populären" Poesie-Begriff des Berliner Festivals aber sehr viel.
"Es ist nicht in einem intellektuellen Zelt oder so. Sondern wirklich für ein breites Publikum aufbereitet. Und je mehr Leute wir erreichen, desto mehr passiert natürlich auch in deren Köpfen. Denn es gibt nichts Dichteres als ein gutes Gedicht."