Weltgesundheitsorganisation

Der verhängnisvolle Einfluss der Pharmakonzerne

Helfer mit Gasmasken laufen durch die Straßen von Sao Paulo.
Auch der Kampf gegen Epidemien wie Ebola gehört zu den Herausforderungen der WHO. Eine einseitige Einflussnahme der Pharmaindustrie wirke sich jedoch negativ aus, meint der UNO-Experte Andreas Zumach. © Imago/Xinhua
Andreas Zumach im Gespräch mit Dieter Kassel · 16.05.2017
Die Mittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stammen zu 80 Prozent von Spendern. Das klingt zunächst einmal gut und engagiert. Tatsächlich aber seien Stiftungen wie die Bill und Melinda Gates Stiftung Türöffner für Pharmakonzerne, die die Gesundheitspolitik der WHO beeinflussten.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist ein Teil der UNO, sitzt in Genf und hat 194 Mitgliedsstaaten. Fast 80 Prozent des WHO-Etats von rund 4,4 Milliarden Dollar kommt allerdings von privaten Spendern. Allein 629 Millionen Dollar – also mehr als 14 Prozent des gesamten Budgets – stammen zum Beispiel von der Bill und Melinda Gates Stiftung, viel Geld kommt auch direkt von der Pharmaindustrie. Kritiker sagen deshalb schon länger, dass die WHO nicht unabhängig agieren könne.

Pharmakonzerne verfolgen andere Interessen

Der Journalist und UNO-Experte Andreas Zumach bringt es auf den Punkt: Für die Betroffenen – die Kranken weltweit – sei dies die schlimmstmögliche Entwicklung:
"Weil damit diese privaten Spender ganz wesentlichen Einfluss haben auf das, was die WHO dann tut oder was sie nicht tut. Und wenn sie wesentlich jetzt Programme finanziert, bei denen die großen Pharmaindustrien ihre Gewinne machen – das sind, erstens, Impfprogramme –, statt die Basisgesundheitssysteme in vielen Ländern zu stärken (…), dann ist das im Ergebnis schlecht, weil immer mehr Menschen sterben beziehungsweise keinen Zugang haben zu den Basisgesundheitsdienstleistungen, damit sie gar nicht erst mehr krank werden."
Bill Gates spricht auf einer Pressekonferenz in Berlin.
Bill Gates fördert über seine Stiftung vor allem Impfkampagnen.© picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Im Vorstand der Bill und Melinda Gates Stiftung seien die größten weltweit größten Pharmafirmen vertreten – von einer allein auf das Interesse der von Krankheiten bedrohten Menschen ausgerichteten Stiftungspolitik könne deshalb sicherlich nicht gesprochen werden. Zudem mache die Gates-Stiftung ihr Geld mit Anlagen in Ölkonzernen oder Konzernen wie Nestlé, die nachweislich die Umwelt schädigten und damit wiederum auch zu Krankheiten beitrügen. Oder aber versuchten, Mütter vom Bruststillen abzubringen, um ihre Säuglings-Ersatznahrung besser zu verkaufen.
Als Türöffner für den starken Einfluss der Privatwirtschaft sieht Zumach den damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Anan. Unter dem finanziellen Druck und dem Eindruck, sich auf Zusagen und Geldmittel einzelner Regierungen nicht mehr verlassen zu können, habe Anan sich Ende der 90er-Jahre an andere Akteure und Geldgeber gewendet – und damit den starken Einfluss von Unternehmen möglich gemacht.
(mkn)

Hören Sie zu diesem Thema unser Magazin "Zeitfragen", ab 19.07 Uhr: "Was gesund ist, bestimmt Bill Gates" von Thomas Kuchem.


Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Die Weltgesundheitsorganisation WHO ist ein Teil der UNO, Hauptsitz ist in Genf, die WHO hat 194 Mitgliedsstaaten, aber die finanzieren inzwischen nur noch einen relativ geringen Teil des WHO-Budgets. Fast 80 Prozent kommen von privaten Spendern der Pharmaindustrie unter anderem, aber allein 629 Millionen Dollar von insgesamt 4,4 Milliarden – so groß ist das Budget der WHO –, 629 Millionen Dollar, mehr als 14 Prozent des Gesamtbudgets, stammen von der Bill and Melinda Gates Stiftung. Viele andere spenden auch.
Das kann man positiv sehen, muss man aber nicht, weil viele Kritiker schon seit Jahren davon sprechen, dass das Ganze die Unabhängigkeit der WHO, sagen wir mal vorsichtig, deutlich einschränkt. Wir wollen über dieses Thema jetzt mit Andreas Zumach reden. Der Journalist und Publizist beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der UNO und ihren Organisationen und schreibt darüber unter anderem für die "taz". Schönen guten Morgen, Herr Zumach!
Andreas Zumach: Guten Morgen!
Kassel: Ohne die privaten Spenden wäre die WHO ja kaum arbeitsfähig. Ich habe es gesagt: Fast 80 Prozent gehen auf die privaten Konten. Das ist doch eigentlich gut. Wir alle als Steuerzahler sparen doch damit schlicht eine Menge Geld.
Zumach: Das mag zwar sein für Sie oder mich als Steuerzahler, aber für die Betroffenen, nämlich die Menschen auf dieser Welt, um die die WHO sich kümmern sollte, weil sie krank sind, ist es sehr schlecht, weil damit diese privaten Spender ganz wesentlichen Einfluss haben auf das, was die WHO dann tut oder was sie nicht tut, und wenn sie wesentlich jetzt Programme finanziert, bei denen die großen Pharmaindustrien ihre Gewinne machen – das sind, erstens, Impfprogramme –, statt die Basisgesundheitssysteme in vielen Ländern zu stärken mit dem schlichten Ziel, das zumindest alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben – der Mangel daran ist ja einer der Hauptursachen –, dann ist das im Ergebnis schlecht, weil immer mehr Menschen sterben beziehungsweise keinen Zugang haben zu den Basisgesundheitsdienstleistungen, damit sie gar nicht erst mehr krank werden.

Das Wesentliche sind Impfprogramme

Kassel: Nun kann ich sofort einsehen, dass die Spenden der Pharmaindustrie interessensgebunden sind und dass diese Interessen nicht unbedingt immer unser aller Interesse darstellen, aber wie ist es zum Beispiel mit der Gates-Stiftung? Immerhin 14 Prozent des Etats der WHO kommt inzwischen von denen. Bill und Melinda Gates betonen doch immer, dass sie gerade die Gesundheitssysteme in Ländern der Dritten Welt voranbringen wollen.
Zumach: Das tun sie nicht. Das Wesentliche, was durch die Gavi – so heißt die Stiftung von Bill und Melinda Gates – finanziert wird, sind Impfprogramme, und wenn man eben weiß, dass im Vorstand dieser Stiftung die größten Pharmakonzerne dieser Welt führend vertreten sind, ist klar, das ist vor allem deren Interesse, Impfmittel zu verkaufen, und die WHO hat eben anders als bis vor etwa 30 Jahren, wo die Förderung von Basisgesundheitssystemen in den armen Ländern dieser Welt ihr Hauptziel war, dieses immer mehr zurückgefahren.
Das Zweite ist, dass die Gates-Stiftung ihr Geld wiederum auch irgendwo macht, und das unter anderem mit Anlagen in Konzernen, die wiederum sehr gesundheitsschädliche Produkte oder Praktiken betreiben, also etwa bei Ölfirmen oder auch bei Nestlé, die im Gegensatz zu WHO-Regeln immer noch Mütter weltweit versucht, vom Bruststillen abzubringen, um die teuren Muttermilchersatzprodukte zu verkaufen.
Dieser Einfluss führt auch dann dazu, dass die WHO in ihren politischen Gremien Entscheidungen trifft zum Beispiel darüber, ob irgendwo nun eine Epidemie auszurufen ist – denken Sie an die Vogelseuche vor einigen Jahren –, worauf dann natürlich wieder die Pharmaunternehmen riesige Mengen an Mitteln verkaufen können, und dann stellt sich später raus, es war gar nicht so dramatisch.
Kassel: Nun ist die WHO inzwischen über 70 Jahre alt. Woher kommt eigentlich diese Entwicklung, dass nur noch so ein wirklich geringer Teil des Gesamtbudgets von den Mitgliedsstaaten kommt. Das war doch vermutlich nicht immer schon so.
Zumach: Das war nicht immer so, und die WHO bestand ja sogar schon vor der UNO, also zu Zeiten des Völkerbundes. Das Grunddilemma ist, dass die Finanzierung des gesamten UNO-Systems immer mehr in die Abhängigkeit von Privaten oder von willkürlichen, also projektgebundenen staatlichen Mitteln geraten ist. Auch hier etwa 80 Prozent der Mittel, die das UNO-System jährlich kostet – das sind etwa 50 Milliarden Dollar –, kommen nicht mehr aus verlässlichen Pflichtbeiträgen der 194 Mitgliedsstaaten, Beiträge, mit denen man dann auch kalkulieren und planen kann, sondern sind eben abhängig davon, dass Regierungen je nach ihren Interessen dann freiwillig Geld geben oder auch nicht. Oder eben private Unternehmen.

Es war plötzlich schick, Geld für die WHO zu geben

Und dieser Druck ist so groß geworden, dass Ende der 90er-Jahre der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Anan gesagt hat, wenn ich mich auf die Mitgliedsstaaten und ihre Regierungen nicht mehr verlassen kann, muss ich mich an andere Akteure wenden, und er hat die Türen geöffnet für den Einfluss von Unternehmen. Es war damals der Chef des großen Kabelsenders CNN in USA, der dann gesagt hat, gut, ich habe zehn Milliarden, die Zinsen im nächsten Jahr, die gebe ich mal an die UNO.
Dann kam Bill Gates, dann kam der eine oder andere Sportler. Es war fast schick Ende der 90er-Jahre, ein bisschen Geld an die UNO zu geben, und so ist das ganze UNO-System immer stärker in diese Abhängigkeit geraten, und innerhalb des UNO-Systems – mit dem Begriff meine ich die beiden Hauptquartiere New York, Genf, die etwa 40 Organisationen wie die WHO und die 120.000 Blauhelmsoldaten, die im Einsatz sind –, innerhalb des gesamten Systems ist die WHO der Teil, wo dieser Prozess am weitesten gediehen ist, und zwar deswegen, weil hier die allergrößten wirtschaftlichen Interessen sich konzentrieren, nämlich die der Pharmaindustrie, die mit Abstand die profitabelste Branche auf dieser Welt ist.
Kassel: Der Journalist Andreas Zumach über die WHO und ihre Abhängigkeit von privaten Spenden. Genau das ist auch sehr viel ausführlicher unser Thema heute Abend in unserer Sendung "Zeitfragen". Ab 19:30 Uhr hören Sie da das Feature "Was gesund ist, bestimmt Bill Gates".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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