Weltfremde Sonderlinge

Vorgestellt von Michael Opitz · 31.05.2005
Offensichtlich sind die Figuren in Thomas Rosenlöchers Texten ausgemachte Sonderlinge, die den Eindruck erwecken, als wären sie aus einer vergangenen Welt. Doch gerade diese Perspektive der etwas weltfremd auf die Wirklichkeit Blickenden ermöglicht es, die Jetztzeit in ihren absurden Facetten zu zeigen.
In dem 2002 erschienen Erzählungsband Liebst Du mich ich liebe Dich von Thomas Rosenlöcher erzählt der Autor mit virtuosem Witz von besorgniserregend weltfremden Figuren, deren Realitätsferne sie zu Außenseitern werden lässt, die in einer auf Effizienz programmierten Wirklichkeit keine Chance haben zu bestehen. Sie erinnern in ihrer herzzerreißenden Naivität an Menschliches, das verloren gegangen ist.

Und Rosenlöcher, der dies durchaus beklagt, bewahrt die Erinnerung an das Vergangene und Vergehende um so schöner, indem er angesichts des Verlustes nicht in Nostalgie verfällt, sondern der Furie Verschwinden mit Ironie begegnet. So wird es ihm möglich, auf Unabänderliches mit einem wissenden Lachen zu reagieren.

Nun hat Thomas Rosenlöcher in seinem neuen Erzählungsband zwei "Dresdner-Geschichten" vorgelegt, in der die schöner denn je erblühende Elbestadt zwar als Phantom permanent anwesend ist, jedoch vermag der Dichter sie in der Wirklichkeit nicht zu finden. Denn die Liebe zu Dresden, dies macht er immer wieder an kleinen Episoden fest, resultiert eigentlich aus dem Dresdenverlust. Das klingt nach Regionalliteratur, denn diese Texte leben von der Beziehung des Autors zu der Gegend um Dresden.

Doch beschränkt sich Rosenlöcher nicht darauf, uns mit heimatlichen Idyllen zu versorgen, worauf man angesichts von Ludwig Richters Bild "Brautzug im Frühling" vielleicht gefasst sein sollte, sondern der Autor fragt angesichts der gegenwärtigen, sich um Dresden rankenden kulturellen Vergnügungen nach dem eigentlich Gewollten, das mit der verlorenen Revolution von 1989 verfehlt wurde. Bekommen hat man etwas, das besser ist als das, was man hatte, "so dass wir es für das Gewollte ausgaben und dafür damit bestraft worden sind, nichts mehr zu wollen zu haben."

Diese beiden, im "Sandsteinsound" geschrieben Texte, handeln erneut von Verlusten. Am Beispiel der Frauenkirche verdeutlicht Rosenlöcher, wie Erinnerungsspuren verschwinden. Die jetzt noch zu erkennenden schwarzen Originalsteine der Frauenkirche werden, wenn sich das gesamte Bauwerk schwarz eingefärbt hat, nicht mehr zu unterscheiden sein. Der Bau wird sein sichtbares Gedächtnis verlieren, so dass es anderer "Erinnerungssteine" bedarf.

Die beiden Erzählungen von Thomas Rosenlöcher sind kleine Kabinettstücke, die an die Kalendergeschichten von Friedrich Hebel erinnern. Sie sind ebenso meisterhaft und mit vergleichbarem Hintersinn erzählt: Offensichtlich sind die Figuren in Rosenlöchers Texten ausgemachte Sonderlinge, die mit ihren "Damalsgesichtern" den Eindruck erwecken, als wären sie aus einer vergangenen Welt. Doch gerade diese Perspektive der etwas weltfremd auf die Wirklichkeit Blickenden ermöglicht es, die Jetztzeit in ihren absurden Facetten zu zeigen.

Thomas Rosenlöcher: Wie ich in Ludwig Richters Brautzug verschwand.
Zwei Dresdner Erzählungen.
Insel Verlag 2005. 67 Seiten.