Weltbürger in Wuppertal

Von Mirko Heinemann · 15.05.2012
Als Tony Cragg nach Wuppertal zog, wusste er nicht, dass aus einem kurzen Aufenthalt 35 Jahre werden sollten. 2008 eröffnete der inzwischen weltberühmte Bildhauer, gebürtig in Liverpool, in der größten Stadt des Bergischen Landes seinen eigenen Skulpturenpark.
Das Atelier von Tony Cragg ist eher eine Kunstfabrik: Rund ein Dutzend Angestellte feilen, sägen und schleifen hier an den Modellen riesiger Plastiken aus Holz und Styropor. Dazwischen bewegt sich mit elastischem Schritt Tony Cragg, 52 Jahre alt. Er ist gerade zurück aus China, wo eine große Ausstellung seiner Arbeiten eröffnet wurde.

"Ich hab einen Vortrag gehalten, über 800 Leute sind gekommen. Der Vortrag ist normal um die Stunde lang. Aber bis es übersetzt worden ist, und dann kamen die Fragen ... wir waren vier Stunden dran...."

Wir betreten den privaten Arbeitsraum des Bildhauers, einen Saal mit einer Wand ganz aus Glas. Sie eröffnet einen spektakulären Blick auf die hügeligen Wälder der Umgebung.

"Sie sehen auf der Erhebung da rüber, das ist Remscheid. Und hier wenn Sie das Weiße sehen können, kann man Solingen sehen. Wir sind auf 350 Meter. Sehr schöne Landschaft, sehr schöne Natur."

Tony Cragg muss niemandem mehr etwas beweisen. Der "Kunstkompass" des Manager Magazins zählt ihn zu den 100 wichtigsten Künstlern der Welt. Seine Arbeiten werden von den großen Museen gekauft, Ausstellungen in Europa, den USA, in Asien zeigen seine Werke.

Geboren wurde Anthony Douglas Cragg in Liverpool, seine Kindheit verbrachte er an acht verschiedenen Orten auf der britischen Insel. Die Familie zog immer wieder um. Sein Vater, ein Elektroingenieur, hätte es gern gesehen, dass der Sohn Naturwissenschaften studierte. Also wurde Tony Cragg erst einmal Biochemiker.

"Nach der Schulausbildung habe ich einem Labor gearbeitet, Forschungslabor, als ein sehr niedergestellter Laborassistent. Und nach kürzester Zeit war mir bewusst, dass ich das eigentlich nicht machen wollte."

Noch heute wird er auf diesen Job im Forschungslabor angesprochen. Manche sehen in seinen organisch wirkenden Skulpturen, die sich gen Himmel recken oder über den Boden winden, Ähnlichkeiten mit DNA-Strängen.

"Ich finde, dass Wissenschaft interessant ist. Daraus Kunst zu machen, finde ich ziemlich widerlich. Dass man macht irgendwas wie DNA-Moleküle, ja, kann auf eine Arbeit von Tausend treffen. Könnte man einen Bezug finden dazu. Ist es eigentlich nicht reell."

Tony Cragg fasziniert die Rebellion der 68er. Er zieht nach London, studiert dort Kunst am Royal College. Und lernt seine erste Frau kennen. Sie stammt - aus Wuppertal. Als sie 1977 nach Hause möchte, folgt er ihr; zunächst für ein Jahr. Jetzt sind 35 Jahre daraus geworden.

Tony Cragg arbeitet anfangs mit gefundenen Materialien, mit Müll oder Schrott. Seine ersten Skulpturen sind skurril geformte Objekte aus Stahl und Holz. Heute verwendet er auch Kunststoff. Das Material ist für den Künstler viel mehr als nur der Stoff, aus dem etwas hergestellt wird. Mit seiner Fantasie will er Materie zum Leben erwecken.

"Bildhauer sind diejenigen, die die Qualitäten, die Werte und Bedeutungen dieser Materialwelt uns bewusst machen. Weil alles, was wir im Kopf haben, ist aus dieser Materialwelt entsprungen. Es ist politisch, es ist radikal, es ist sozial, es hat für mich eine fundamentale Bedeutung für unsere Existenz."

Wenn Tony Cragg in Fahrt kommt, setzt er seinen ganzen Körper ein. Seine Arme beschreiben Kreise, seine Hände umfassen imaginäre Objekte und malen Figuren in die Luft.

2006 kauft er das verlassene Anwesen des Wuppertaler Lackfabrikanten Kurt Herberts und eröffnet zwei Jahre später dort seinen Skulpturenpark; ganz ohne öffentliche Mittel. Ein steiler Serpentinenweg führt direkt aus dem Stadtzentrum zum Park hoch. Im Wald steht ein Pavillon aus Glas, darin werden derzeit Masken und Plastiken aus Nigeria ausgestellt. Zwischen alten Buchen fällt der Blick auf monumentale Plastiken aus Chrom oder Bronze; Objekte wie aus einer fremden Welt.

"Es gibt überall Wald. Aber dieser Wald in der Nähe von der Stadt in dieser Brisanz zusammen, wo die Natur gegen die Industrie treibt, das gibt eine besonders schöne Energie. Für mich ist es ein großer Einfluss."

Zentrum des Parks ist die Villa Waldfrieden, das ehemalige Wohnhaus von Kurt Herberts. Das eigentümliche Haus, das keine Ecken und keine rechten Winkel aufweist, dient heute als Verwaltungsgebäude. Und als Kulisse für das Weltmusik- und Jazz-Festival, das ein Freund von Tony Cragg hier über den Sommer veranstaltet. Der Künstler selbst wohnt mit seiner zweiten Frau und zwei seiner vier Kinder außerhalb von Wuppertal im Bergischen Land.

Cragg ist längst eine feste Größe in der Region. Vor drei Jahren hat er Markus Lüpertz als Rektor der Kunstakademie im benachbarten Düsseldorf beerbt. Im nächsten Jahr verdoppelt sich die Größe seines Skulpturenparks auf über 13 Hektar, noch mehr Werke anderer Künstler sollen dazukommen. Viele Jahre lang war Tony Cragg mit seinen Objekten auf Welttournee; er war immer unterwegs. Jetzt hat er eine Heimat geschaffen, für sich, seine Familie und seine Kunst.

"An dem Ort, wo ich bin, mochte ich Sachen verbessern. Und für mich in die Tiefe gehen und nicht nur rumflitzen die ganze Zeit."

Noch bis zum 15. Juli läuft die Ausstellung "Skulpturen und Masken aus Nigeria", begleitet von Lesungen, Vorträgen und Konzerten. An den Wochenenden werden unter dem Titel "Klang-Art" Open Air Konzerte mit Jazz und Weltmusik veranstaltet.

Skulpturenpark Waldfrieden