Welt-Theater-Geschichte

Auf der Suche nach dem Widerständigen

Künstleraktivisten des Schwabinggrad Ballett und Mitglieder der Gruppe Lampedusa performen im Juni 2015 in Hamburg vor der Flüchtlingsunterkunft in der Schnackenburgallee.
So etwas traut sich nur die freie Theaterszene: Künstleraktivisten des Schwabinggrad Ballett und Mitglieder der Gruppe Lampedusa performen im Juni 2015 in Hamburg vor der Flüchtlingsunterkunft in der Schnackenburgallee. © dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt
Von Michael Laages · 18.07.2015
Der Berliner Theaterwissenschaftler hat Joachim Fiebach viele Generationen von Studierenden geprägt. In seinem Buch "Welt. Theater. Geschichte" zieht der 81-Jährige eine Bilanz seines Lebens und des Theaters insgesamt.
Wer irgendwann mal studiert hat im Leben, erinnert sich womöglich an den ersten Schreck-Moment auf dem akademischen Weg – das Wort "Vorlesung" im Stundenplan war sehr ernst und ganz wörtlich gemeint. Kluge Köpfe lasen da vor, meist 90 Minuten am Stück. Das vertraute Gefühl von damals, eine Art professioneller Verzweiflung, schleicht sich zuweilen an im Hinterkopf während der Lektüre von Joachim Fiebachs "Opus magnum" über Welt, Theater und Geschichte. Zwar liest natürlich nicht der Theaterwissenschaftler selber vor, aber er zwingt uns, so zu lesen, als müssten parallel und unablässig zentrale Gedanken auf dem Notizblock festgehalten werden. Damit nichts verloren geht.
Diese Lese-Haltung ist nicht sehr bequem oder auch nur angenehm, und es ist wirklich schade, dass sich so die Lese-Lust in Grenzen hält. Denn die wäre unbedingt wünschenswert, weil Fiebachs Welt-Theater-Geschichte eine schier unerschöpfliche Fundgrube des Wissens ist, unermesslich reich an Details und Materialien. Wer sich überwindet und die Notizblock-Funktion im Kopf ausschaltet, wird mitgenommen auf eine Reise ins weithin Unbekannte.
Welt-Kulturen im Spiegel des Theaters
Der Wissenschaftler Fiebach wollte stets mehr ins Visier nehmen als nur die Geschichte des Theaters, wie sie in Europa überliefert wurde. Hier beginnt die Reise bei den Khoisan-Völkern in Südafrika und endet nach gut 450 großformatigen (und ziemlich eng und klein bedruckten!) Seiten im mexikanischen Städtchen San José. Fiebachs Theater-Geschichte ist vor allem eine der Welt-Kulturen, von den Zeiten weit vor der Moderne bis hin zum Ausblick auf die Zukunft jenseits des Mainstreams.
Auch dies ist ein zentrales und prägendes Motiv in Fiebachs Forschung – gerade in der Gegenwart (und von dort aus mit vorsichtigem Blick in die Zukunft) sucht er jene Formen der theatralischen Selbstbehauptung, die sich nicht umstandslos und fast schon automatisch den kommerziellen und medial dominierten Regeln neoliberaler Gesellschaftsstrukturen unterwerfen.
Vieles im und am Theater, fürchtet Fiebach ausgesprochen und unausgesprochen, hat sich in fast Nichts aufgelöst unter dem Regime des Medienkonsums. Nicht nur die Konsumenten, also das Publikum, orientieren sich an medialer Schnellverpflegung, an "Fast food", auch was Kunst und Kultur betrifft. Auch viele Produzenten des theatralen Ausdrucks, auf der Bühne oder sonstwo, hinken und hecheln dieser Bewegung immer nur hinterher. Und gehen trotzdem zugrunde.
"Hier spricht ein profunder Traditionalist"
Natürlich folgt diese Welt-Geschichte des Theaters aber auch den breiteren Spuren: von den Ritualen Afrikas über Japans Nó-Theater bis nach Griechenland, von religiösen Kulten über politische Repräsentation bis auf den Marktplatz und hin zum Karnevals-Spektakel. Die jeweils aktuell herrschenden Dogmen der Wirklichkeitsabbildung auf der Bühne (mit oder ohne Empfindung, nur im Wort oder auch und gerade im Spielen jenseits der Literatur) werden dabei geschickt parallel geführt mit den Entwicklungen der Bühne selber – über perspektivische Malerei als Kulisse und die Globe-Bauten der Shakespeare-Zeit bis zu tatsächlichen Bauten im Raum, wie sie sehr früh schon die Meininger kreierten. Und wie kam eigentlich das Licht in die Räume?
Immer wieder gibt's Momente zum Staunen – wenn es Leserin und Leser gelingt, sich tatsächlich einzulassen auf den gewichtigen Ton, den der Herr Professor die ganze lange Strecke über pflegt. Und nicht zuletzt sucht er immer nach widerständigen Formen, die sich der eurozentristischen Hegemonie entgegen stellen.
Aus jüngster Gegenwart rühmt er Frank Castorf, aber auch "Rimini Protokoll", obwohl er "postdramatische" Tendenzen eher für überschätzt hält – und die Macht der Medien für pures Teufelszeug. Gern kehrt er zu Brecht, Heiner Müller und Besonderheiten wie dem "Theater der Unterdrückten" des Brasilianers Augusto Boal zurück - hier spricht ein profunder Traditionalist, unbeirrt und immer offen für die Welt.
Joachim Fiebach: Welt. Theater. Geschichte. Eine Kulturgeschichte des Theatralen.
Verlag Theater der Zeit, 2015
544 Seiten, 40 Euro.
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