Welt retten, Hundedreck entfernen

Von Tobi Müller · 07.09.2013
Was wir tun müssen, um das Wachstum der Städte zu überleben: klein anfangen. Das zumindest legt die TEDx-Konferenz in Berlin nahe. Hier stellen unterhaltsame und kluge Köpfe ihre Ideen für die Zukunft vor.
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Bis 2050 rechnet man mit mindestens 70 Prozent. Das Landei, das unter der Städterschale oft noch drinsteckt, stirbt langsam aus. Das muss keine gute Nachricht sein. Je stärker die Städte wachsen, je mehr soziale und ökologische Probleme folgen, denkt man. Die Konferenz "TEDxBerlin" überraschte unter dem Titel "City 2.O"auch mit dem Gegenteil: Manhattan sei die grünste Stadt der USA, Autos werden sich bald so weich wie ungeschorene Schafe anfühlen und unter dem städtischen Skihügel verbrennt der Abfall. Lustig. Ist es auch wahr?

Viele Pointen sind dem Format geschuldet. Die TEDx-Tagungen gehen zurück auf die kalifornische Mutterkonferenz TED, die heute in New York und Vancouver beheimatet ist und zu den wichtigsten Treffen zählt, wenn es um die Digitalisierung geht. TED bedeutet "Technology, Entertainment, Design", Unterhaltung steht also schon im Titel, kein Vortrag dauert länger als 18 Minuten. Selbst die unabhängigen TEDx-Konferenzen verpflichten Trainer, um die Vorträge auf eine Linie zu zwingen. Das sieht man gerade vielen Nicht-Muttersprachlern gut an, wenn sie nach jedem englischen Satz eine Pause einschalten, um für die nächste Pointe Luft zu holen. Manche Witze wirken verwaltet.

Professor 2.0 mit Dreadlocks
Trotz dieser Gleichschaltung vermag das Format auch Laien zu packen. Der deutsche Architekt Kai-Uwe Bergman vom weltweit agierenden Büro "Big" erzählte tatsächlich von einer für Kopenhagen geplanten Müllverbrennungsanlage, auf der man sommers wie winters Skifahren kann.

Der US-amerikanische Stadtforscher Mitchell Joachim entsprach mit seinen Dreadlocks vollends dem Bild des verrückten Professors 2.0, aber seine Ideen für Autos aus Schafwolle denkt er sich nicht für Fantasy-Magazine aus, sondern für Eliteuniversitäten. Und David Owen, der viel für den "New Yorker" geschrieben hat, referiert stocknüchterne Statistik, um Manhattan zum Vorbild für eine ökologischere Stadt zu erklären. "Denn wenn Sie aufs Land ziehen", sagt Owen, "ziehen sie vor allem zu Ihrem Auto."

Verrückt kommt man sich selbst als Rad- und Bahnfahrer vor, wenn man zum Bespiel von Mark Turrell daran erinnert wird, dass Luftverschmutzung jährlich mehr Menschen tötet als AIDS und Malaria zusammen. Hat man das nicht schon fast vergessen? Das sind die Momente, in denen nichts futuristisch funkelt oder eine vermeintliche Gewissheit verschwindet. Solche Talks werben weniger für Lösungen als sie gegen das Vergessen anreden. So auch die südafrikanische Line Hadsbjerg, die ihre Reportagen aus den Slums von Johannesburg vorstellt. Man möchte nur noch nach Hause, wären da nicht der Berliner "Tatort" samt anschließendem "Günter Jauch" über Jugendgewalt, die einem das U-Bahn fahren schwerer machen wollen.

Kleinstadt-Manier in der Großstadt
Das steigende Sicherheitsbedürfnis der bessergestellten Städter hat gerade in einer Stadt wie Berlin nicht den besten Ruf. Man wirft selbst dem moderaten Mittelstand zuweilen vor, seine Quartiere zunehmend wie jene Kleinstadt zu gestalten, aus der man einst weg wollte. Da tragen Mittelalte in der Freizeit die Kleider ihrer Jugend, am Wochenende werden die Blumenbeete frisch bestellt, und nach 22 Uhr soll bitte niemand laut werden, schon gar nicht vor einem Ausgehlokal. Am teuersten sind Neuvermietungen allerdings gerade in Gegenden wie Kreuzberg, in denen die Nachttouristen Berlin spielen. Man will beides: die Ruhe und den coolen Stadtteil.

Wie sehr man eine Stadt verändert, in die man zieht, zeigte dann auch Priya Prakash. Die indobritische Designerin arbeitete für einen Telefonhersteller, bevor sie changify.org mitgegründet hat. Die Plattform ahmt ein soziales Netzwerk nach, aber auf lokaler Ebene: Man lädt Fotos von Dingen hoch, die stören im Quartier, und sucht Freunde und auch Geschäfte, die diese Idee unterstützen. Vielleicht findet man so noch andere Gleichgesinnte, die sich über zu viel Hundedreck in Südlondon aufregen.

Die Zauberverben in der Rede über den neuen Bürgersinn heißen "to share" und "to collaborate", teilen und zusammenarbeiten also.

Vieles beginnt im Kleinen
Im Bürgersinn steckt auch viel Neue Bürgerlichkeit. Doch Projekte wie changify wachsen, die Themen haben Zeit, an Relevanz zuzulegen. Zudem steht changify für eine Tendenz, welche die TEDxBerlin deutlich machte: Die grandiosen Ideen treten in den Hintergrund, vieles beginnt im Kleinen. Selbst beim Klima spricht man lieber vom Mikroklima.

Fast beruhigend wirkte an den zwei Tagen in der retrofuturistischen Architektur der Messe Berlin, dass die Zukunft noch nicht überall gleich aussieht. Der Däne Jens-Martin Skribstedt warb für Velodesigns, die zu Unterscheidungskompetenz und Fetischcharakter wie bei den Autos führen sollen. Fabian Hemmert meinte dagegen, wir müssten zur Technologie wieder ein funktionales Verhältnis aufbauen und kein identifikatorisches.

Und die Kultur? Michael Schindhelm, einst Direktor des Theaters Basel, berichtete von einem neuen Stadtteil in Hongkong und davon, wie man die Kunst erst jetzt entdecke. Ohne Kunst kein Standortfaktor. Wie die Kultur aus dieser eher dekorativen Ecke herausfindet, sah man beim Comedian Reggie Watts: Unmerklich gelang es ihm, einige Marotten solcher Konferenzen zu parodieren. Man darf die Figur des Narren nicht unterschätzen.

Nützliche Links:
Webseite zu Changify
Webseite der Konferenz TEDxBerlin
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