Welt der Wunder

Von Anette Schneider |
Eine Schau in den Hamburger Deichtorhallen geht Formen des Wunders nach. Die unterschiedlichen Beispiele aus Kunst, Wissenschaft und Religion reichen vom 4. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Ein Perpetuum Mobile. Votivbilder. Ein Video, in dem ein Akrobat mit einer Spezialkanone in die Luft geschossen wird und ein Stück weiter in ein aufgespanntes Netz fällt. Ein alter Zauberstab aus Sumatra, daneben ein Taktstock von Daniel Barenboim.

Ganz unterschiedliche Vorstellungen von "Wunder" zeigt die Ausstellung. Ein Thema, das Dirk Luckow, dem Direktor der Deichtorhallen, noch nicht so ganz flüssig von den Lippen kommt.

Dirk Luckow: "Was ein Wunder ist? Ähhhm. Ein Zufall. Oder ein Schicksal. Etwas völlig Unerwartetes. Etwas Unfassbares. Für den Moment zumindest. Das kann sich später als ... doch mit einer einfachen Lösung. Ähmmm. Oder für das man dann - So! OK!. Das waren ja schon mal ein paar Begriffe."

Nun noch ein paar Exponate. Zwei Sony-Batterien, die, wie ihr japanischer Besitzer bei eBay versprach, nie leer werden. Ein Raum voller Aluhüllen in Form betender Muslime. Geisterhände aus einer spirituellen Sitzung. Bitte worum geht es der Ausstellung - 250 Jahre nach der Epoche der Aufklärung?

Luckow: "Ja. Das hab ich mich auch gefragt. Vor allem: Gibt es wahre Wunder in dieser Ausstellung zu sehen? Gibt’s nicht! Aber es gibt Wunderwerke. Wunderdokumente. Ja. Und natürlich ist die Sehnsucht nach Wundern ungebrochen. Gerade in schwierigen Zeiten steigt die Sehnsucht nach Wundern wieder stark an. Und es gibt ja doch Wunderorte auf dieser Welt. In einer Arbeit von Helmut und Johanna Grandel wird Lourdes thematisiert. Ob man das nun als Wunder bezeichnen möchte, weiß nicht, ist vielleicht auch zu hoch gegriffen."

Möglich, der Kurator Thomas Tyradellis weiß genauer, wie hoch man greifen muss. Die Produktion von Wundern als Vertröstungs- und Ablenkungsmanöver in Krisenzeiten wäre ja ein erhellender Ansatzpunkt.

"Wenn Sie danach fragen, wo es Wunder heute im Alltag gibt, ist man immer in einer schwierigen Position. Weil: Nachträglich kann man immer alles rational erklären. Aber man kann so wenig vorhersagen. In jedem Forschungslabor der Wissenschaft stagniert die Forschung, weil man kann nicht mit Absicht Neues erfinden. Es sind Momente, die sich ereignen, wo man nachher sagt ‚naja, war ja klar’. Und es sind manchmal komischste Zufälle, die dazu führen, dass das Neue entsteht. Und mit gutem Recht darf man das auch Wunder nennen. Insofern würde ich sagen, es ist gar nicht so selten."

Und so sieht man in einer Vitrine die Substanzen für den ersten chemischen Farbstoff. Daneben das erste Stück Beton. Erfindungen als Wunder? Und nicht als Ergebnisse gesellschaftlicher Entwicklung? Der Anhäufung menschlicher Erkenntnis? Ließen sich die zufälligen Erfindungen etwa nicht im Nachhinein exakt wissenschaftlich berechnen?

"Das ist einfach ein Missverständnis. Weil: Sie haben sozusagen den klassischen, etwas naturwissenschaftlich gelagerten Blick der Erkenntnis ‚Gibt es das, gibt es das nicht’. Ähm. Den kann man einnehmen. Ich finde ihn persönlich zu langweilig. Und ich sehe einfach nicht, was man damit gewinnt, Dinge so zu sehen."

Um "mehr Licht" geht es demnach nicht. Lediglich eine Collage von Ellen Gallagher beschäftigt sich mit den hohlen Wunderversprechen der Kosmetikindustrie. Und wer in die Holzkugel von Hiroyuki Masujama flüchtet, kann dort einen "wunderbaren" Sternenhimmel erleben.

Thomas Tyrandellis: "Das wissen wir nicht erst seit Rousseau: Das hat immer etwas Kitschiges. Das hat immer etwas davon: ‚Ihr Probleme da draußen - ich mach’s mir hier schnuckelig.’ Und insofern ist sie sehr bewusst eingebettet in die Frage des Politischen des Wunders als ein Instrument der Steuerung des Menschen, was es ja auch ist."

Worüber man aber kaum etwas erfährt. Stattdessen: Kugeln aus der Fernsehlotterie und Zauberkästen. Doch ich bekenne: Ich bin ein Vernunftwesen. Möglicherweise liegt da das Problem?

"Vor allem wird das Leben entschieden ärmer, wenn man es so betrachtet. Und das Wunder - oder die Vorstellung eines Wunders, dass es so etwas gibt, bereichert das Leben. Und allein das ist ein Wert an sich, den man absolut nicht unterschätzen darf."

Wunderglaube als Wert an sich? Da lob ich mir Timm Ulrichs: Auf neun Fotografien zeigt er blaue Kugeln im Gras. Von Bild zu Bild werden es mehr, bis am Ende ein Quadrat entstanden ist. "Das blaue Wunder". Wunderbar! Obwohl - Deichtorhallenleiter Dirk Luckow fällt jetzt auch noch etwas ein ...

"Da kommt jetzt noch ein Wunder. Jetzt am Ende kommt noch ein echtes Wunder. Als ich mit meinem Kollegen Florian Waldvogel über diese Ausstellung sprach, sagte der ‚Ach prima, da hab ich was für dich.’ Nämlich einen Assistenten von ihm. Und der kann schweben. Und bei der nächsten Eröffnung bin ich wieder auf ihn zugegangen, und hab ihn gefragt. ‚Ja ja, da ist er.’ Und da sind wir in den Fahrstuhl gegangen. Und da schwebte dieser Assistent."