Wellblech-Chalets, Glaspaläste, Investitionsruinen
Die Ausstellung "Island und Architektur?" im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt gehört zum Rahmenprogramm der Buchmesse 2011, bei der Island als Gastland geladen ist. Die sagenumwobene Vulkaninsel hat zwar eine kurze aber - bei genauerer Betrachtung - sehr kuriose und ungewöhnliche Architekturgeschichte zu bieten.
Etwas kleiner als Paderborn und größer als Hildesheim. Reykjavík ist nicht wirklich eine Metropole. Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums und Kurator der Ausstellung, kennt die architektonischen Besonderheiten einer Stadt, die eine ganz ungewöhnliche Baugeschichte hat:
"Es überrascht, dass es so wenig Architektur gibt, und dass die architektonische Vergangenheit ganz kurz ist, ganz klein ist. Und wenn man dann bedenkt, dass sie erst seit 800 Jahren da sind und dass sie erst seit 100 Jahren dauerhafte Gebäude errichten und vorher mobile Gebäude oder aus Naturmaterialien, dann ist es natürlich interessant, dass Architektur, wie wir sie definieren, als etwas größeres vielleicht als ein kleines Häuschen, noch nicht sehr lange existiert."
Als im 9. Jahrhundert die Wikinger nach Island kamen, trafen sie auf schroffes Vulkangestein und grünes Gras. Aus Gras, Erde und wenig Holz bauten sie ihre Torfhäuser. Alles Vergangenheit, nur Archäologen finden noch Reste aus jener sagenumwobenen Zeit. Erst Jahrhunderte später wurde solide gebaut, mit Materialien, die übers Meer herangeschafft werden mussten. In der Ausstellung sind diese Häuser zu sehen, auf großformatigen Fotografien von Gudmundur Ingólfsson, die Mittelpunkt der Ausstellung sind. Hinzu kommen kleine Videofilme. Historiker, Architekten und Stadtplaner geben Auskunft über ihr Land.
Die Fotografien zeigen wilde Vulkanlandschaften und heiße Quellen, die in modernen Thermalbädern, in weitläufigen Badelandschaften oder in schlichten Tümpeln zum Baden einladen. Man sieht repräsentative Häuser aus Holz, sie wurden aus Norwegen importiert, prachtvolle Chalets im Schweizer Stil, verkleidet mit Stahlwellblech, um das Gebäude vor dem rauen Wetter zu schützen. Villen für eine kleine wohlhabende Oberschicht. Dazu Verwaltungsgebäude aus Stein und eine expressionistische Kirche aus Beton, die wie eine Rakete in den nordischen Himmel schießt. Seit den 20er-Jahren hat die Beton-Moderne das Land fest im Griff:
"Der Fotograf ist ein politischer Mensch, der mit sehr viel Zynismus und Ironie die Geschicke seines Landes verfolgt, seit über 40 Jahren. Er ist kein Architekturfachmann, er ist ein Fotoreporter, und man muss ihm auch nicht sagen: 'Schau zu, dass Du Menschen ins Bild kriegst', das ist für ihn selbstverständlich. Er macht Reportage."
Gudmundur Ingólfsson hat auch ganz neue Gebäude fotografiert. Es sollten die Glaspaläste der Finanzindustrie werden, nun stehen sie als graue Investitionsruinen mitten in Reykjavík. Hier wurde gezockt, und die Architekten im Land haben ganz ohne Skrupel mitgezockt. Kurator Peter Cachola Schmal:
"Die Architekten sind immer schon die Huren gewesen, und da war das ganz, ganz große Geld. Und natürlich hat diese Hochhäuser vielleicht das große dänische Superbüro Schmidt/Hammer/Lassen gemacht, aber irgendjemand hat es vor Ort umgesetzt, also auch ein lokales Büro. Natürlich waren sie immer beteiligt und sind abgestürzt und haben jetzt vielleicht kein Büro mehr. Studio Granda, das berühmteste Büro der Insel, hatte 25 Mitarbeiter und hat jetzt nur noch einen Halbtagsmenschen, und die Chefs sagen: Ehrlich gesagt, wir wurden gewaltsam entschleunigt, und es tut uns sehr gut."
Die Architekten waren willfährige Erfüllungsgehilfen am Neuen Markt. Doch die Hybris fand ein jähes Ende. Bauruinen, geschlossene Museen und neue Armut sind die dramatischen Folgen. Die Fotos sprechen eine klare Sprache, sie bebildern nicht nur die Krise, sie erzählen auch vom Mut der isländischen Bevölkerung. Auf einem Foto der Bauherr von Heydalur. Der Mann sitzt in einen kleinen Bagger und schaufelt Steine in einen kleinen Fluss. Er braucht den Übergang, für die Touristen, von denen er in Zukunft leben will. Auf einem anderen Bild ist nur ein winziger Holzsteg zu sehen, nur ein paar Bretter, die zwei kleine Wasserbecken verbinden.
"Die waren immer arm, arme Menschen. Die waren bis 1970 arm, in einem Land ohne Bodenschätze. Aber sie waren tapfere Kämpfer und konnten aus wenig etwas machen. Es hat sie das große Schicksal erreicht, aber es wird sie nicht verschlucken, sie werden weitermachen können, und die kleinen Methoden, die sie in Jahrhunderten kultiviert haben, werden ihnen bald wieder helfen. Das Neureiche wird abfallen, die Zeiten, als jeder wie ein Russe, als jeder Isländer wie ein Russe umherlief und eurostrotzend alles kaufte, sind vorbei."
Island stellt sich nun die Frage, wie man ein normales Leben mit normalen Maßstäben wieder hinbekommt. Ein größeres Bauprojekt ist 2008 doch noch fertig geworden, das Árni Magússon Institut für isländische Studien. In dem futuristischen Bau, der halb im Wasser steht, werden die isländischen Sagen bewahrt und erforscht. Und vielleicht wird hier auch einmal die Geschichte von einer kleinen Insel erzählt, die mit ganz viel Geld hoch hinaus wollte und dann bitter lernen musste, sich auf alte Tugenden zu besinnen. Es ist das uralte Märchen vom Fischer und seiner Frau.
Service:
Die Ausstellung "Island und Architektur?" ist bis 13.11.2011 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen.
Katalog:
Peter Cachola Schmal (Herausgeber): "Island und Architektur?", Jovis Verlag, Berlin 2011
"Es überrascht, dass es so wenig Architektur gibt, und dass die architektonische Vergangenheit ganz kurz ist, ganz klein ist. Und wenn man dann bedenkt, dass sie erst seit 800 Jahren da sind und dass sie erst seit 100 Jahren dauerhafte Gebäude errichten und vorher mobile Gebäude oder aus Naturmaterialien, dann ist es natürlich interessant, dass Architektur, wie wir sie definieren, als etwas größeres vielleicht als ein kleines Häuschen, noch nicht sehr lange existiert."
Als im 9. Jahrhundert die Wikinger nach Island kamen, trafen sie auf schroffes Vulkangestein und grünes Gras. Aus Gras, Erde und wenig Holz bauten sie ihre Torfhäuser. Alles Vergangenheit, nur Archäologen finden noch Reste aus jener sagenumwobenen Zeit. Erst Jahrhunderte später wurde solide gebaut, mit Materialien, die übers Meer herangeschafft werden mussten. In der Ausstellung sind diese Häuser zu sehen, auf großformatigen Fotografien von Gudmundur Ingólfsson, die Mittelpunkt der Ausstellung sind. Hinzu kommen kleine Videofilme. Historiker, Architekten und Stadtplaner geben Auskunft über ihr Land.
Die Fotografien zeigen wilde Vulkanlandschaften und heiße Quellen, die in modernen Thermalbädern, in weitläufigen Badelandschaften oder in schlichten Tümpeln zum Baden einladen. Man sieht repräsentative Häuser aus Holz, sie wurden aus Norwegen importiert, prachtvolle Chalets im Schweizer Stil, verkleidet mit Stahlwellblech, um das Gebäude vor dem rauen Wetter zu schützen. Villen für eine kleine wohlhabende Oberschicht. Dazu Verwaltungsgebäude aus Stein und eine expressionistische Kirche aus Beton, die wie eine Rakete in den nordischen Himmel schießt. Seit den 20er-Jahren hat die Beton-Moderne das Land fest im Griff:
"Der Fotograf ist ein politischer Mensch, der mit sehr viel Zynismus und Ironie die Geschicke seines Landes verfolgt, seit über 40 Jahren. Er ist kein Architekturfachmann, er ist ein Fotoreporter, und man muss ihm auch nicht sagen: 'Schau zu, dass Du Menschen ins Bild kriegst', das ist für ihn selbstverständlich. Er macht Reportage."
Gudmundur Ingólfsson hat auch ganz neue Gebäude fotografiert. Es sollten die Glaspaläste der Finanzindustrie werden, nun stehen sie als graue Investitionsruinen mitten in Reykjavík. Hier wurde gezockt, und die Architekten im Land haben ganz ohne Skrupel mitgezockt. Kurator Peter Cachola Schmal:
"Die Architekten sind immer schon die Huren gewesen, und da war das ganz, ganz große Geld. Und natürlich hat diese Hochhäuser vielleicht das große dänische Superbüro Schmidt/Hammer/Lassen gemacht, aber irgendjemand hat es vor Ort umgesetzt, also auch ein lokales Büro. Natürlich waren sie immer beteiligt und sind abgestürzt und haben jetzt vielleicht kein Büro mehr. Studio Granda, das berühmteste Büro der Insel, hatte 25 Mitarbeiter und hat jetzt nur noch einen Halbtagsmenschen, und die Chefs sagen: Ehrlich gesagt, wir wurden gewaltsam entschleunigt, und es tut uns sehr gut."
Die Architekten waren willfährige Erfüllungsgehilfen am Neuen Markt. Doch die Hybris fand ein jähes Ende. Bauruinen, geschlossene Museen und neue Armut sind die dramatischen Folgen. Die Fotos sprechen eine klare Sprache, sie bebildern nicht nur die Krise, sie erzählen auch vom Mut der isländischen Bevölkerung. Auf einem Foto der Bauherr von Heydalur. Der Mann sitzt in einen kleinen Bagger und schaufelt Steine in einen kleinen Fluss. Er braucht den Übergang, für die Touristen, von denen er in Zukunft leben will. Auf einem anderen Bild ist nur ein winziger Holzsteg zu sehen, nur ein paar Bretter, die zwei kleine Wasserbecken verbinden.
"Die waren immer arm, arme Menschen. Die waren bis 1970 arm, in einem Land ohne Bodenschätze. Aber sie waren tapfere Kämpfer und konnten aus wenig etwas machen. Es hat sie das große Schicksal erreicht, aber es wird sie nicht verschlucken, sie werden weitermachen können, und die kleinen Methoden, die sie in Jahrhunderten kultiviert haben, werden ihnen bald wieder helfen. Das Neureiche wird abfallen, die Zeiten, als jeder wie ein Russe, als jeder Isländer wie ein Russe umherlief und eurostrotzend alles kaufte, sind vorbei."
Island stellt sich nun die Frage, wie man ein normales Leben mit normalen Maßstäben wieder hinbekommt. Ein größeres Bauprojekt ist 2008 doch noch fertig geworden, das Árni Magússon Institut für isländische Studien. In dem futuristischen Bau, der halb im Wasser steht, werden die isländischen Sagen bewahrt und erforscht. Und vielleicht wird hier auch einmal die Geschichte von einer kleinen Insel erzählt, die mit ganz viel Geld hoch hinaus wollte und dann bitter lernen musste, sich auf alte Tugenden zu besinnen. Es ist das uralte Märchen vom Fischer und seiner Frau.
Service:
Die Ausstellung "Island und Architektur?" ist bis 13.11.2011 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen.
Katalog:
Peter Cachola Schmal (Herausgeber): "Island und Architektur?", Jovis Verlag, Berlin 2011