"Welches Genre spielen wir eigentlich?"

Thomas Laue im Gespräch mit Gabi Wuttke · 06.01.2011
Der Kapitän, ältere Herren mit wiedererwachtem Machtinstinkt und der aufstrebende Generalsekretär sind nur einige Figuren des FDP-Dreikönigstreffens, sagt Thomas Laue. Mit Spannung erwartet der Chefdramaturg des Schauspielhauses Bochum vor allem das Verhalten der "Nebenfiguren".
Gabi Wuttke: Die FDP macht Theater. Ausgerechnet im Staatstheater Stuttgart wird heute die Inszenierung "Dreikönigstreffen 2011" gegeben. In der Hauptrolle: Guido Westerwelle. Seine Auftritte haben die Liberalen unter die Fünf-Prozent-Hürde gedrückt, aber, so der Parteichef, er verlasse das Deck nicht, wenn es stürmt. Am Telefon ist jetzt Thomas Laue, der Chefdramaturg des Schauspielhauses Bochum. Guten Morgen, Herr Laue!

Thomas Laue: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Wie würden Sie denn die Bühne heute für Guido Westerwelle und die FDP einrichten?

Laue: Ich bin ja ein großer Fan dieser Anreihung von Menschen, die so hintereinandersitzen und immer peinlich darauf bedacht sind, dass sie in Kameras gucken und dass man ja nicht sieht, was sie über den denken, der gerade direkt vor ihnen sitzt und spricht. Ich glaube, ich würde gar nicht so viel ändern. Es ist eine Frage des Lichtes: Wen holen Sie wie raus, wem verleihen Sie Glanz und wen lassen Sie vielleicht besser im Schaden verschwinden.

Wuttke: Das heißt, Sie belassen es dann oben auf der Bühne bei der netten Blumendekoration?

Laue: Ja, die ist doch wunderbar, weil sie sofort alles freiräumt für das Wort, das da ja so gewaltig geschwungen werden soll heute, worauf ja auch alle warten. Und ich glaube, dass man gar nicht viel Dekoration mehr braucht, sondern dass es eher darum geht, wer ist wann mit wem im Bild – das wird eine spannende Frage sein. Wer verrät durch ein leises Zucken mit der Augenbraue, dass er gerade gegen das, was dort vorne gesagt wird, oder wer wird gezwungen zu klatschen, wenn er gar nicht klatschen will. Also das sind die Dinge, die ich immer wahnsinnig spannend finde, wenn ich diese inszenierten Parteitage oder Dreikönigstreffen sehe.

Wuttke: Das heißt, für Sie steht Guido Westerwelle gar nicht im Mittelpunkt?

Laue: Na ja, natürlich steht er im Mittelpunkt, aber spannend sind ja die vielen Nebenfiguren. Spannend ist ja, wer traut sich, wer traut sich etwas zu sagen oder wer ist, wie Jörg-Uwe Hahn, der hessische Landesvorsitzende es gesagt hat, der sagt, ich setze mich auf die Zuschauertribüne. Ist das überhaupt möglich. Das bedeutet, alle müssen unbedingt vorne auf der Bühne sein, es ist eine Inszenierung, in der alle, wie wir immer sagen, alle gleichzeitig da sein müssen und keiner ins Off verschwinden kann, um dann im richtigen Moment aufzutreten.

Wuttke: Aber Sie glauben allen Ernstes, es wird jemand aufstehen und tatsächlich was zu sagen haben?

Laue: Nein, ich glaube nicht, dass jemand aufsteht. Das ist ja auch ein bisschen die Frage: Ist die FDP in ihrem jetzigen Zustand eigentlich tragödientauglich? Also die Frage, die man heute stellen muss, ist ja, welches Genre spielen wir eigentlich. Spielen wir die Tragödie, spielen wir ...

Wuttke: Oder die Tragikomödie.

Laue: Oder spielen wir die Komödie oder spielen wir die Farce, oder ist das Ganze eine satirische Veranstaltung.

Wuttke: Aha!

Laue: Wenn man sich die Nebenfiguren anguckt, ist das ja nicht so ganz klar. Also da haben wir den älteren Herren, der sich es lieber bei einem Glas Wein gemütlich macht, aber trotzdem noch mal so was wie einen Machtinstinkt in sich entdeckt.

Wuttke: Ich mutmaße, Sie meinen Rainer Brüderle?

Laue: Ganz genau. Wir haben den jungen, aufstrebenden Generalsekretär, für den diese ganze Situation einfach ein paar Jahre zu früh kommt, der also unglaublich aufpassen muss, wann geht er aus der Deckung, wann ist der richtige Zeitpunkt, sich zurückzuziehen – und bei dem wird es sehr genau zu beobachten sein, wie guckt er und was verrät sein Minenspiel.

Wuttke: Bleibt noch Philipp Rösler.

Laue: Ja, Philipp Rösler ist ja so ein bisschen derjenige, der in Deckung gegangen ist, wahrscheinlich auch, weil er mit den eigenen Problemen genug zu tun hat. Ich glaube, dass es eher spannend sein wird, wie verhalten sich die Nebendarsteller in den zweiten Reihen, also was tut Birgit Homberger, was tut eigentlich Dirk Niebel, den gibt es ja auch noch.

Wuttke: Ach ja, richtig.

Laue: Oder wetzt die FDP Geheimwaffen – es wird ja immer gemunkelt, dass es irgendwo noch den großen Unbekannten geben soll, der sich kurzfristig oder mittelfristig in Position setzt.

Wuttke: Ach, das ist der mit dem Dolch im Gewande, ja?

Laue: Der mit dem Dolch im Gewande, vielleicht ist es auch eine Frau. Wann haben wir das letzte Mal was von Silvana Koch-Mehrin gehört, die in Brüssel sitzt und sich dort um Europapolitik und Kindererziehung kümmert?

Wuttke: Da wurde sie wohl selten gesehen.

Laue: Ja eben, eben.

Wuttke: Verstehe. Also Sie mutmaßen, da geht irgendwann vielleicht doch noch der dunkle Vorhang auf. Aber ich habe mir ja eigentlich gedacht, Sie würden die Bühne als großes Schiff ausstatten, eingedenk des Satzes, dass Guido Westerwelle über sich selbst gesagt hat, er verlasse das Deck nicht, wenn es stürmt, und sich die Frage gestellt hat, ob er – ob er es nun will oder nicht – eher als Fliegender Holländer oder Captain Ahab durchgeht.

Laue: Na ja, oder vielleicht ist das Ganze auch die Titanic, wir wissen es nicht genau. Also die Frage wird ja sein: Kann irgendjemand Guido Westerwelle stürzen, ohne gleich das ganze Schiff zu versenken, und wer ist der große Gegenspieler? Der ist ja im Moment nicht in Sicht. Also wer übernimmt das Ruder in einem Schiff, das ja in relativ flotter Fahrt unterwegs ist? Also das muss man dem Kapitän ja zugestehen, dass er es schon geschafft hat, dieses Schiff mächtig in Schwung zu versetzen und dass genau das jetzt das Problem ist, weil sie leider vergessen haben beim ganzen Fahrtaufnehmen, wohin eigentlich das ganze Ding genau gesteuert werden soll. Und das, glaube ich, kann so eindeutig im Moment niemand sagen, und es könnte gut sein, dass die ganzen Diskussion um den Kurs so lange dauern, bis das Schiff längst auf den Eisberg aufgeprallt ist.

Wuttke: Um jetzt noch mal beim Bild zu bleiben, wenn auch mit dem falschen Beispiel: Genau deshalb meinen Sie, gibt es keine Meuterei auf der Bounty?

Laue: Ich glaube nicht, dass es eine Meuterei auf der Bounty gibt, dazu ist die Mannschaft untereinander zu sehr jeweils mit den eigenen Problemen beschäftigt beziehungsweise wird sie sich nicht einigen können, wer denn eigentlich das Machtvakuum dann ausfüllen soll, wenn der Kapitän über Bord gestoßen wird. Eine weitere Figur könnte aber interessant sein, die ja irgendwo noch in den Kajüten zwischengelagert wird oder sich dort zurückgezogen hat: Was ist eigentlich mit dem früheren Kapitän? Was ist mit dem Paten? Was ist mit Hans-Dietrich Genscher? Was wird er sagen? Wie wird er gucken heute? Ist er überhaupt da, wird er sich zu Wort melden oder hat er längst mit allen einmal telefoniert und ihnen gesagt, was sie eigentlich sagen sollen.

Wuttke: Vielleicht ist er der Beleuchter?

Laue: Ja, oder der Autor. Wer schreibt eigentlich das Skript für heute? Wer schreibt eigentlich die Reden von Guido Westerwelle? Macht er das selbst? Das wird die große Frage sein.

Wuttke: Das Dreikönigstreffen der FDP, es findet heute im Theater statt. Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur haben wir das Thema mit Thomas Laue ventiliert, dem Chefdramaturgen des Schauspielhauses Bochum. Dafür danke ich Ihnen recht herzlich und wünsche einen schönen Tag!

Laue: Ebenso, vielen Dank!