Weite Welt

Immer unterwegs

Von Carolin Fischer  · 20.11.2013
Gäbe es den Beruf des Reisenden, Marko Martin wäre sein Phänotyp. Sein neues Buch ist eine Liebeserklärung an das Leben, die Neugier, das Reisen und an die Literatur. Die Literatur ist omnipräsent: als Motti, die dem Buch oder einzelnen Geschichten vorangestellt sind.
Am Ende des "Fahrtenbuchs" von Marko Martin möchte man fast meinen, dass es sich vor allem um eine Liebeserklärung handelt, als ob zu beweisen wäre, dass selbst ungezügelte Promiskuität der grundsätzlichen Treue zum Lebenspartner nicht widerspricht. Das mag überraschen, denn eine sehr freie, intensiv gelebte Sexualität, die zwei oder mehrere Menschen, hier: Männer, für meist nur wenige Stunden zusammenführt, findet sich in eigentlich jeder der Geschichten, die Daniel in erster oder dritter Person erzählt, die er aber, so die Fiktion, quer über die Kontinente alle selbst erlebt hat.
Doch geht es - wenn auch nicht unbedingt zwischen den handelnden Personen - um sehr viel mehr als "nur" Sex in den Erzählungen, in denen schließlich auch Florent auftritt, dessen enge Verbindung zu David anfänglich vor allem in Diskussionen zwischen beiden über verschiedenste Themen zum Ausdruck kommt, bevor sie am Ende zu dem "Was wirklich bleibt" stilisiert wird.
Das Buch also eine Liebeserklärung? Ja, an das Leben, die Neugier, das Reisen und, ganz wesentlich, an die Literatur. Denn die Literatur ist omnipräsent: als Motti, die dem Buch oder einzelnen Geschichten vorangestellt sind, oder als Referenz an den Ort des Geschehens. So ist in "Beidhändig Iquitos" immer wieder von dem hier spielenden Roman Vargas Llosas "Der Hauptmann und sein Frauenbataillon" die Rede, wie auch von den "Black Diaries" Sir Roger Casements oder Keyserlings "Südamerikanischen Meditationen", ebenso wie von Klaus Kinski und "Fitzcarraldo", den Werner Herzog in Iquitos gedreht hatte.
Geschichte im Dialog
Marko Martin verknüpft also "eigenes" Erleben seiner Erzählerfigur - oder Figuren, denn hier "wächst" die Geschichte im Dialog zwischen David und Florent, die diese Reise gemeinsam unternommen haben - mit dem, was an dem jeweiligen Ort in der literarischen Fiktion oder tatsächlich geschehen ist, und schafft damit eine ganz persönliche Form der literarischen Weltaneignung und -beschreibung. So liefert die Liebesnacht mit einem tumben Erasmus-Studenten in einem Danziger Hotel mit Blick auf die "Speicherstadt" reichlich Gelegenheit, Solidarnosc und die politischen Umwälzungen in Erinnerung zu rufen, die dort ihren Anfang genommen haben - das ganze außerdem auf der Folie von Pawel Huelles Erzählungen.
Während sich der Ich-Erzähler hier über seinen sehr viel jüngeren und auch deshalb unwissenden Gespielen einer Nacht erhebt, muss er sich später im Text vom "schwarzen Diego" in Chile ebenso die Leviten lesen lassen wie von einem arabischen Israeli in Tel Aviv, dem Gefährten zweier Sommer: Denn trotz aller Reisen um die weite Welt, trotz aller politischen und literarischen Bildung, trotz aller erklärten Vorlieben für diejenigen, die nicht im Mainstream mitschwimmen ist auch Daniel in Vorurteilen befangen und sein klarer Blick mitunter getrübt.
Doch gerade diese kritische Perspektive auf die eigenen Figur, gepaart mit verschiedensten Formen des Erzählens, machen aus diesem Buch ein wahre Liebeserklärung: an das Leben und an die Freiheit.

Marko Martin: Die Nacht von San Salvador. Ein Fahrtenbuch
Berlin, Die andere Bibliothek,
504 Seiten, 38 Euro

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