"Weitaus strengere Regeln als in der Politik"

Doktorarbeiten sind immer auch ein Aushängeschild für die jeweilige Universität. Um sicher zu gehen, dass sich die Doktoranden an die Spielregeln halten und keine Plagiate produzieren, hat die Uni Linz ein System aus ergänzenden Lehrveranstaltungen und Kolloquien entwickelt.
Katrin Heise: Wie verhindert man Plagiate in der Wissenschaft? Das möchte ich von Gerhard Fröhlich wissen, er ist Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Linz, selber immer wieder Doktorvater und auch Gutachter, der auch schon mal Titel aberkannt hat. Herr Fröhlich, ich grüße Sie!

Gerhard Fröhlich: Hallo!

Heise: Herr Fröhlich, wie versucht die Universität Linz, Plagiate zu verhindern, bevor sie entstehen?

Fröhlich: Ja, die Pointe ist, dass das alles gar nicht geplant war, behaupte ich. Weil, wir glauben ja jetzt furchtbar an Planung, auch in der Wissenschaft. Sondern die Kulturinstitutionen von Linz wollten eine große Veranstaltungsserie über Echt-Falsch, über Fälschungen in allen Gebieten, veranstalten. Daraufhin kam der Rektor auf mich zu und sagte, du musst was für die Uni machen. Und so kam ich zum Thema "Betrug, Fälschung, Plagiat". Ich habe mir das nicht freiwillig ausgesucht.

Unser Institut hat einen Nachteil: Wir haben ja keine Hauptfachphilosophen in Linz, wir müssen uns daher ganz demütig den Fächern an unserer Fakultät, den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften widmen. Und daher wurden wir beauftragt, sowohl im Doktoratsstudium als inzwischen, weil das so erfolgreich war, auch im Bachelorstudium eine ELV (Ergänzende Lehrveranstaltung, die Red.) einzurichten, die verpflichtend ist, und die zwar Wissenschaftliches Arbeiten heißt, aber wo auch Ethik, wo Techniken, wie kann man Plagiate leicht finden? Ja, das ist ja schon abschreckend, wenn man weiß, wie leicht das zum Teil zu machen ist. Also, wir wurden damit beauftragt und fühlen uns eigentlich da ganz erfolgreich.

Heise: Wissen, wie es handwerklich geht, also wie man tatsächlich richtig zitiert, und wissen, was verboten ist und die Konsequenzen, das ist sicherlich wichtig, das haben Sie ja eben gesagt, wie das gemacht wird, wie ihnen das beigebracht wird, den Studierenden, aber auch den Doktoranden. Aber wie lässt sich der moralische Hintergrund eigentlich an Studierende vermitteln, warum nicht abgekupfert, sondern eben unter Anerkennung und Anwendung der Sekundärliteratur selbst entwickelt werden soll?

Fröhlich: Ja, bei den berufstätigen Doktoranden und Doktorandinnen haben wir das Problem, dass sie in der Wirtschaft oder der Politik groß werden oder geworden sind und dort ganz andere Spielregeln herrschen. Und daher komme ich als Erstes mit Pierre Bourdieu: Es gibt verschiedene Felder in unserer Gesellschaft, und in der Wissenschaft herrschen weitaus strengere Regeln als in der Politik, als in der Wissenschaft. Zum Beispiel Ghostwriting, dass jemand anderer meine Reden schreibt und vorbereitet und so, das ist bei uns verboten. Und diese Botschaft ist ganz wichtig. Solange die Wirtschafts- und Politikvertreter quasi glauben, sie können das, was sie in ihrem Hauptberuf machen, auch in der Wissenschaft treiben, müssen ganz schlimme Doktorarbeiten dabei herauskommen.

Heise: Sie haben eben gesagt, dass Sie in diesem einen, ich denke, so eine Art Proseminar über das wissenschaftliche Verfassen von Arbeiten, auch sagen, wie man plagiiert und wie schnell das zu finden ist. Es wird aber dadurch nicht irgendwie angeregt, überhaupt zu plagiieren, auf die Idee zu kommen?

Fröhlich: Na ja, es gibt schon eine amerikanische Studie, da wurde ein Kurs in Wissenschaftsethik evaluiert und es kam dabei heraus, ich nenne das den Beichtspiegeleffekt, weil, auch bei den Katholiken wird dann ja vorgelegt, welche Sünden man begangen haben könnte, dass die Studierenden überhaupt auf den Geschmack gekommen sind. Das heißt, ich mache mir keine Illusionen, dass es irgendeine dauerhafte Lösung gibt mit 100-Prozent-Erfolgsrate, das gibt es nicht.

Heise: Verpflichtend sind diese Seminare aber bei Ihren Studierenden?

Fröhlich: Ja.

Heise: Plagiate verhindern, aber wie? Ich spreche mit Gerhard Fröhlich von der Universität Linz. Herr Fröhlich, Sie sind ja auch Doktorvater. Wie arbeiten Sie als Doktorvater, also, wie verstehen Sie Ihre Aufgabe? Sind Sie diskutierender, sage ich mal jetzt, Sparringspartner bei der Entwicklung einer These? Oder sind Sie misstrauischer Prüfer?

Fröhlich: Ja, ich gehe mit Sir Karl Popper und auch mit Pierre Bourdieu aus, dass Kritik und kritische Überprüfung das A und O von Wissenschaft ist. Ohne Kritik ist etwas keine Wissenschaft. Und daher ist Vertrauen in der Wissenschaft eine unangebrachte Verhaltensweise, das muss man ganz böse sagen. Das hat nichts mit persönlichem Misstrauen zu tun, sondern das ist einfach die professionelle Einstellung, dass jeder sich irren kann und jeder auch versucht sein kann, bei Nacht- und Nebelaktionen – viele sind ja Leute, die schieben alles auf und dann arbeiten sie ein paar Wochenenden und Nächte durch, da kann man in Trance sehr viel Schlimmes begehen, nicht einmal absichtlich –, und da muss klar sein: Andere müssen das kritisch überprüfen. Und wir haben hier in Linz das Prinzip des "Mindestens sechs Augen"-Prinzips.

Es gab ja einen großen Skandal in Holland, ein Sozialpsychologe namens Stapel hat alle Daten frei erfunden und seinen Doktorandinnen zum Analysieren gegeben als Geschenk. Und da hat hinterher die Untersuchungskommission gesagt: Es darf nicht sein, dass eine Person den gesamten Prozess einer Doktorarbeit betreut und beobachtet und niemand anderer ihn kritisiert, und dass Kritik, das Fehlen von Kritik der größte Fehler bei diesem Großskandal war. Das heißt, wir haben die Situationskolloquien mit drei Dozenten, die sich gegenseitig in gewisser kollegialer Eifersucht kritisieren und ihre Kandidaten, und wenn andere Gutachter noch involviert sind, sollen die eigentlich auch zu dieser Sitzung, wenn ihr Kandidat vorspricht, kommen. Das heißt …

Heise: Das ist aber – Entschuldigung, wenn ich unterbreche –, das ist erst, wenn der Kandidat vorspricht, nicht schon im Entstehungsprozess der Doktorarbeit.

Fröhlich: Ja.

Heise: Denn sonst könnte man ja an den Gedanken teilnehmen, am Entstehen der Gedanken teilnehmen, könnte den Weg quasi dessen, was da später auf dem Papier steht, ja nachverfolgen und kriegt dann vielleicht auch mit, denkt der eigentlich selbst oder fasst der immer nur Sekundärliteratur zusammen?

Fröhlich: Das ist ja unser Prinzip: Wir haben drei Kolloquien und er muss ja schon am Anfang, oder sie, ihr Werk einmal vorstellen. Wir haben begleitende Doktoratsseminare, das heißt, wir haben ein ziemlich Doktoratsstudium mit quantitativen und qualitativen Methoden, und viele verfluchen uns, das muss ich auch sagen! Aber wir haben da wirklich die Schraube etwas stärker angezogen.

Heise: Auch jetzt nach den veröffentlichten oder öffentlich gewordenen Plagiatsfällen. Das heißt, Sie sind jetzt auch misstrauischer geworden?

Fröhlich: Nein, nein. Also, erstens einmal suche ich mir meine und Kandidaten und Kandidatinnen ja handverlesen aus, es gibt ja ein Überangebot von Studierenden, Doktoratsstudierenden, die händeringend eine Gutachterin, einen Gutachter suchen. Dann nehme ich nur Personen, die mir mündlich und schriftlich schon bekannt sind. Der muss in einem ordentlichen Seminar ein glorreiches Referat schriftlich und mündlich fabriziert haben. Und dann lasse ich mir natürlich zwischendurch auch Probekapitel und auch die Endfassung vor der Abgabe zeigen. Das ist ein zusätzlicher Service, dazu wäre ich ja nicht verpflichtet. Das heißt, ich will gar nicht öffentlich kundtun, wie man, wie frau Plagiate erkennen kann, aber das geht zum Teil ganz leicht! Ich glaube nicht, dass mir ein Plagiat untergeschoben werden könnte. Aber bitte, das wäre ein sportlicher Wettbewerb!

Heise: Aber dass man zum Beispiel verschiedenen Stil, den Schreibstil irgendwie erkennt, oder wie?

Fröhlich: Zum Beispiel. Aber es wird viel zu sehr auf den Text gesehen und geachtet und das Kopieren des Textes, sondern die Fußnoten und die Strukturen und die Parallelitäten sind viel wichtiger. Also, wenn ein Kapitel gespickt ist mit Fußnoten und das nächste inhaltlich eigentlich dasselbe, nur andere Regionen, ohne Fußnoten, dann muss eines von beiden von jemand anders stammen. Es gibt nicht Personen, die laufend ihren Stil wechseln.

Heise: Kommen wir mal zu den übergeordneten Institutionen oder Hierarchien eigentlich: Ich habe den Druck erwähnt, der auf Universitäten lastet, die sich eben über die Anzahl der Promotionen im Ranking voran arbeiten sozusagen. Ebenso lastet der Druck natürlich auf den Studierenden, auf den Wissenschaftlern, einen Titel zu haben, viele Veröffentlichungen zu haben. Da muss ja Qualität – also, denke ich jedenfalls – leiden! Ist das nicht zu verändern an und für sich, wenn man Plagiaten vorbeugen oder sie eben, ja, nicht haben will?

Fröhlich: Ja, selbstverständlich lehne ich die, wie soll ich sagen, die Jagd und die Gutmenschverurteilung von enttarnten Fälschern oder Plagiatorinnen ab. Da versucht man, das Sündenbockritual zu begehen. Sondern selbstverständlich ist das eine Systemfrage. Wenn wir belohnt werden, wenn wir möglichst viel Doktoranden produzieren, in Österreich auch finanziell, wenn wir bestraft werden, wenn wir Drop-out haben, und im Drop-out stecken die enttarnten Plagiatoren auch. In Linz haben wir etliche Leuten enttarnt, die brechen dann ihr Studium ab. Dann sehe ich das als Erfolg und nicht als ein Scheitern.

Heise: Dann ist die Doktorarbeit ja noch nicht verfasst, sondern im Laufe dessen schon enttarnt worden.

Fröhlich: Genau, genau. Also, es tut sich viel mehr, als man durch den Medienrummel hinterher erkennen kann. Und es haben keineswegs alle Universitäten, alle Institute versagt. Aber in ihren Leistungsbilanzen schlägt sich das nicht positiv, sondern negativ nieder. Die Ministerialbürokraten und die Rankingproduzenten da von "Times" bis Shanghai sind eigentlich relativ beschränkte Menschen.

Heise: Welche Verantwortung sehen Sie eigentlich bei Verlagen und Bibliotheken, was Plagiate angeht?

Fröhlich: Ja, die Verlage rechtfertigen ihre horrenden Preise gerade bei Journalen ja mit der Qualitätskontrolle, von der ich nicht sehr viel merke und sehe. Und sie gehen auch nicht in die Verantwortung. Also, wenn ich der Verleger der Guttenberg-Diss. wäre, hätte ich jeden Käufer – der wurde ja düpiert – zumindest den Einkaufspreis, den Verkaufspreis rückerstattet oder einen Fonds gegründet für Plagiatsrecherchen, in das ich das einzahle. Das heißt, selbstverständlich sind alle Akteure in der Verantwortung und können sich nicht auf einige wenige angeblich böse Personen mit krimineller Energie, also die enttarnten Plagiatoren ausreden.

Heise: Sagt Gerhard Fröhlich. Er ist Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Linz, er ist Doktorvater und auch Gutachter, hat auch Doktortitel aberkannt. Herr Fröhlich, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!

Fröhlich: Tschüss!

Heise: Tschüss!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema