Weit weg und doch ganz nah

Von Dirk Asendorpf |
Wer sich eine Geschäftsreise sparen will, schickt einfach - per Internet - den acht Kilo schweren Roboter "Jazz" als Ersatz los. Vom heimischen Computer aus lässt er sich durch die Büros des Geschäftspartners steuern und sendet dabei seine Bild- und Tonaufnahmen online.
Gerade habe ich mich neben den Schreibtisch von Benoit Pothier gestellt. Der junge Mann ist Entwicklungschef des kleinen französischen Robotikunternehmens Gostai. Er wendet mir den Kopf zu und erklärt, was er gerade macht.

Wir sehen uns an und sprechen direkt miteinander – und doch liegen viele Hundert Kilometer zwischen uns. Ich bin an meinem Arbeitsplatz in Bremen, vor mir Tastatur und Maus. Benoit Pothier sitzt in seinem Büro in Paris, 13. Arrondissement, Rue Jean-Baptiste Berlier. Durch das Fenster kann ich den Dauerstau auf der Périphérique, dem Pariser Autobahnring, sehen.

Ein Roboter namens Jazz bringt uns zusammen. Das kleine Team von Gostai hat ihn erfunden und bis zur Marktreife entwickelt. Er wiegt acht Kilo, ist einen Meter hoch, rollt auf drei Rädern, hat einen Lasersensor, Lautsprecher, Mikrophon und einen schwenkbaren Kopf mit Kamera und Display. Darauf sieht Benoit Pothier jetzt mein Gesicht, ich sehe seines auf dem Computerbildschirm vor mir.

Das Bild ist recht scharf, die Tonqualität lässt noch deutlich zu wünschen übrig. "Wir arbeiten dran", erklärt mir der Entwicklungschef. Eine neue Software soll verhindern, dass das Mikrofon des kleinen Roboters auch das aufnimmt, was ich durch seinen Lautsprecher sage. Dann werden der lästige Hall und das gelegentliche Quietschen der akustischen Rückkopplung verschwinden.

Julien Seret ist bei Gostai für den Vertrieb zuständig. Mit ihm kann ich, das fällt mir dann doch etwas leichter, Englisch sprechen. Auf der Computermesse Cebit in Hannover haben wir uns kennengelernt. Jetzt begegnen wir uns zum zweiten Mal – diesmal vermittelt durch den kleinen Jazz.

"Er sieht aus wie ein Roboter, doch eigentlich ist es ein Telepräsenz-Gerät. Es kann irgendwo, zum Beispiel in einer Fabrik in Südeuropa, stehen und man selber ist gerade in Nordamerika. Als Produktionsmanager kann ich mich dann zum Beispiel in der weit entfernten Fabrik umsehen oder die Lagerhallen kontrollieren. Und das Beste ist: Man kann dabei durch den Roboter sprechen und die Leute hören einen. Das ist wie eine Videokonferenz auf Rädern. Es spart einem Zeit und Geld für Reisen. Der Roboter ist dein mobiler Avatar an einem entfernten Ort."

Julien Seret will mir jetzt zeigen, wie leicht das ist. Ich soll ihm einfach folgen. Wie das geht, hat er mir nicht erklärt. Trotzdem finde ich schnell heraus, wie ich den kleinen Roboter mit den vier Pfeiltasten auf meiner Tastatur steuern kann. Oder ich klicke wie bei Google Streetview einfach auf eine Stelle des Videobildes – und schon rollt Jazz dort hin.

Durch die Bürotür geht es hinaus in den Flur und um eine Ecke weiter ins Büro einer benachbarten Firma. Dort kann ich mich nach Belieben umsehen. Verbunden bin ich mit meinem rollenden Avatar über das Internet und ein Drahtlosnetz. Am Ende des Nachbarbüros wird es langsam schwach, das Videobild flackert und der Ton setzt aus. Ein Mausklick auf die mit "Basisstation" beschriftete Taste auf meinem Bildschirm – und Jazz rollt vorsichtig durch den Flur zurück. Rückwärts nähert er sich seiner Ladestation.

Doch dann fährt er plötzlich wieder vorwärts und dreht sich mehrmals im Kreis. Ein heruntergefallenes Netzteil hat ihm den Weg versperrt. Ohne Arme und Hände kann es der kleine Geselle nicht aufheben. Immerhin kann ich durch seinen Lautsprecher um Hilfe rufen. Julien Seret macht mir den Weg frei und jetzt meldet der Roboter das erfolgreiche Andocken.

Die virtuelle Teilnahme an Besprechungen, Überwachung und Sicherung von Gebäuden oder das Erregen von Aufmerksamkeit auf Veranstaltungen und Messen – je nach gewünschtem Einsatzgebiet gibt es den ferngesteuerten Roboter in drei verschiedenen Ausstattungsvarianten. Auch zwei Farben sind im Angebot.

"Man kann ihn ab sofort kaufen. Der Preis liegt bei 8000 Euro für die Telepräsenz-Version. Die Bedienung ist wirklich plug-and-play. Man bekommt ihn ins Büro geliefert, schaltet ihn an und verbindet ihn mit dem Drahtlosnetz. Dann kann man sich über das Internet mit jedem beliebigen Computer in den Roboter einloggen, und los geht’s."

8000 Euro um an Treffen in Paris teilnehmen zu können ohne hinzureisen? Für so manch gestressten Manager mag das ein verlockendes Angebot sein. Ich werde, anstatt einen Avatar zu schicken, beim nächsten Mal doch lieber wieder persönlich an die Seine kommen. Dann könnte ich Benoit Poithier zum Abschied nicht nur in die Augen schauen, sondern mich beim Entwicklungschef auch mit einem kräftigen Händedruck für den interessanten Einblick in die Zukunft der Robotik bedanken.
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