Weit mehr als nur Bücher

Von Susanne Schrammar · 23.10.2009
Vom 16. bis 25. Oktober ist die Unistadt Göttingen im Lesefieber. Die Symptome sind klar, die Heilung in Aussicht. Leon de Winter ist dabei. Der Schauspieler Armin Rohde stellt sein erstes Buch vor und Klaus Wagenbach bringt die Anthologie "100 Gedichte aus der DDR" mit.
Aber bei diesem wichtigen Deutschen Lesefestival zählen nicht nur bekannte Namen. In Schulen, Bibliotheken, im Theater und an anderen fürs Lesen geeigneten Orten wird der Literatur ein Platz geboten.

"Guten Abend, meine Damen und Herren. Danke für’s Warten. Es passiert uns nicht oft, unser Autor ist im Stau stecken geblieben, aber jetzt ist er hier."

Christoph Reisner kann so schnell nichts erschüttern. Seit 18 Jahren organisiert er den Göttinger Literaturherbst, hat das Lese-Festival aus der Taufe gehoben. Wenn sich, wie in diesem Fall, der Schauspieler Armin Rohde zu seiner Lesung verspätet oder eine andere Panne passiert, dann bleibt der 44-Jährige ganz cool.

"Im Laufe der Jahre stellt sich da eine gewisse Ruhe ein."

Dabei gilt der Kulturmanager eigentlich als Perfektionist. Sein winziges Büro in der Göttinger Altstadt ist penibel aufgeräumt, auf dem fast leeren Schreibtisch finden sich nur Flachbildschirm und Tastatur, kein einziger Zettel fliegt herum, die wenigen Akten sind vorbildlich sortiert. Nur auf eines kann Christoph Reisner in diesen Tagen nicht verzichten: Seinen 25-seitigen engbeschriebenen Ablaufplan. 50 Veranstaltungen mit 100 Autoren aus sieben Ländern wollen in zehn Tagen Göttinger Literaturherbst perfekt organisiert sein.

"Mit Flugzeiten und Reservationcodes und irgendwo kommt der Fahrdienst und so weiter und so fort. Das ist also schon was Uhrmacherisches, so was dann einfach in einer gewissen Präzision auch hinzubekommen."

Literatur sei schon immer sein Steckenpferd gewesen, sagt Reisner, der mal angefangen hat, Jura zu studieren und später für ein Stadtmagazin und eine Werbeagentur gearbeitet hat. Doch da habe er sich einfach gelangweilt, beschreibt der bekennende Thomas-Mann-Fan die Anfänge des Göttinger Literaturherbstes zu Beginn der 90er. Mit Hilfe eines Freundes, der damals als Praktikant bei einem Verlag arbeitet, knüpft er erste Kontakte und kann ein Versicherungsunternehmen und ein Möbelhaus davon überzeugen, die Kosten für ein solches Festival zu übernehmen. Die Idee, Schriftsteller, Wissenschaftler und Schauspieler vor Publikum lesen zu lassen, zu einer Zeit, als solche Veranstaltungen noch nicht überall geboten wurden, sei in der Universitätsstadt von Anfang an ein Erfolg gewesen.

"Also das erste Festival hatte dann ein Budget von umgerechnet 10.000 Euro und hatte 700 Besucher und hat im Ballsaal einer denkmalgeschützten Dorfkneipe stattgefunden, aber es sind alle gekommen, die ich eingeladen habe: Doris Dörrie und Max Goldt und Joseph von Westphalen und Eckhard Henscheid, das war alles ausverkauft und es war alles sehr lustig und hat mir viel Spaß gemacht und es war auch etwas, das mir gefehlt hat."

Inzwischen findet der Göttinger Literaturherbst jedes Jahr im Oktober statt, es kommen im Schnitt 6000 Besucher und das Budget, das nur zu einem Fünftel aus öffentlichen Mitteln bestritten wird, liegt bei rund 150.000 Euro. Die Kosten werden die überwiegend von Sponsoren getragen – vor allem von einem örtlichen Biotechnologieunternehmen. 30 Prozent werden aus den Eintrittsgeldern bestritten. Die Liste der Schriftsteller, die in Göttingen gelesen haben, wird immer länger: Manfred Krug, Richard Dawkins, Antje Ravic Strubel, Nicole Krauss, T.C. Boyle, Günter Grass, Stephan Fry und und und. Bei vielen hat Reisner ein gutes Näschen bewiesen: Douglas Adams etwa hat seine erste deutsche Lesung beim Literaturherbst gehalten. Frank Schätzing hat Reisner schon vor dessen großem Erfolg buchen können.

"Also, wir bilden schon sehr stark ab, was im Verlagswesen passiert. Also, wir sind ein Buchfestival. Wir kommen vom Buch, wir wollen zum Buch, wir wollen mit diesem Festival auch Bücher verkaufen. Wir wollen was für die Lesefähigkeit tun. Wir wollen was für das Kulturgut Buch tun – also schön ist es natürlich, wenn man intuitiv gut gesetzt hat und ich buche eigentlich das, wofür ich mich interessiere, und wenn solche Dinge passieren, das sind Erfolge, die sich nicht programmieren lassen. Da hat man einen guten Griff für – oder auch nicht."

Schauspieler Armin Rohde dürfte als Publikumserfolg kalkulierbar gewesen sein. Den Stau hat er inzwischen hinter sich gelassen, sitzt auf der Bühne des Deutschen Theaters. "Größenwahn und Lampenfieber" – so der Titel seines Buches. "Die Wahrheit über Schauspieler" verspricht Rohde, muss sich von den Göttinger Zuhörern gleich zu Beginn sagen lassen, er lese viel zu schnell und gibt daraufhin den Künstler zum Anfassen.

Rohde: "Als ich bei den 'Räubern' des skuril-genialischen Regisseurs Alfred Kirchner mitspielte, ließ er ein Huhn auf der Bühnenrampe auf- und ablaufen. Nur – der beste Schauspieler der Welt hat keine Chance mit seiner Leistung wahrgenommen zu werden, wenn zugleich ein Huhn an der Bühnenrampe langeiert, seine typischen Hühnerkopfbewegungen macht und dabei auch noch kackt. Und genau das passierte natürlich während der Aufführung. Es hätten Klaus Kinski und Robert de Niro gleichzeitig die Bühne betreten können, nackt und auf den Händen laufend – die Leute hätten ihnen kaum Beachtung geschenkt."

Armer Armin Rohde.

Über mangelnde Beachtung kann sich Heidi Bodmann hingegen nicht beschweren. Wenn die zierliche Frau mit den grauen Strähnchen mit einer Plastikkiste voller Bücher einen Kindergarten betritt, ist ihr die Aufmerksamkeit sicher.

Kind: "Hallo, wer seid Ihr?"

Bodmann: "Wir sind von der Stadtbücherei. Ich bin die Bücherbotin und bringe neue Bücher."

Kindergärten, Horte und Schulen können bei der Göttinger Stadtbibliothek sogenannte Bücherkisten ausleihen, die die Bücherbotin dann ins Haus liefert. Ein Ehrenamt, das die 48-jährige Diplomkauffrau erst seit wenigen Wochen ausübt, doch den Service gibt es schon seit mehr als zehn Jahren. Die Kisten enthalten immer etwa 20 Bücher zu einem Thema. Von Ägypten über Kartoffeln und Sexualität bis hin zum Zirkus – die Auswahl ist groß. Bei Bedarf stellt das Team der Göttinger Stadtbibliothek auch individuelle Kisten zusammen. Für den Jona-Kindergarten im Stadtteil Grone hat Heidi Bodmann heute jede Menge Bilderbücher zum Thema "Gefühle" dabei.

Bodmann: "Was haben wir hier? 'Richtig streiten ist nicht schwer' (Lacht.) Ein guter Tipp für die Kindergartenkinder. Dann gibt es hier 'Freunde halten zusammen' und 'Alles mutig' vom kleinen Raben. Also, es ist eine bunte Mischung und entsprechend sind halt die Bücher zusammengestellt."

Niklas: "Hier ist ein Hund, hier sind Gänse, da ist ein Schwein und hier sind die ganzen Schäfchens und da sind die Kühe."

Der sechsjährige Niklas hat sich das Tierlexikon in den vergangenen Wochen offenbar gründlich angesehen. Im Moment schmökert er auf dem Fußboden in der Kuschelecke darin. Das Buch gehört in die Natur-Kiste, die Heidi Bodmann heute aus dem Jona-Kindergarten wieder mit in die Bibliothek nimmt. Für Erzieherin Sonja Förstermann ist der Bring- und Abholdienst der Stadtbücherei eine große Hilfe beim pädagogischen Förderprogramm.

"Also, es ist sehr gut, weil wir haben natürlich auch nicht so viele Bücher hier im Kindergarten zur Verfügung und es ist ein toller Service. Wir können uns nach Themen orientieren. Und wenn wir ein bestimmtes Thema haben, können wir anrufen, können es bestellen und wir kriegen es geliefert. Wir müssen nicht selber hinfahren, wir haben ja auch nicht so viel Zeit für solche Dinge und von daher nutzen wir es sehr gerne."

Ein Drittel aller Göttinger Kinder besitzt einen Leihausweis der Stadtbibliothek, erzählt stolz die Leiterin Brigitte Krompholz-Roehl. Überhaupt kann sich die Statistik sehen lassen. Mehr als 1.115.000 ausgeliehene Medien pro Jahr allein in dieser Bibliothek ist für eine Stadt mit knapp 130.000 Einwohnern gar nicht schlecht. Die Göttinger seien sehr lesefreudig, sagt Krompholz-Roehl. Keine Frage, durch die Universität befinden sich in der Stadt viele Menschen, die sich täglich mit Büchern umgeben, doch auch aus dem Umland habe die Bücherei einen großen Zulauf. Das liegt, vermutet die Bibliothekarin, auch an der großen literarischen Umtriebigkeit der Stadt: Mehr als ein Dutzend teilweise sehr renommierter Verlage wie Steidl und Wallenstein haben hier ihren Sitz, es gibt eine Reihe von Traditionsbuchhandlungen, und auch Institutionen wie das Literarische Zentrum oder die Literarische Gesellschaft bieten Leseratten viele Möglichkeiten, die Leidenschaft für Bücher auszuleben.

Krumpholz-Roehl: "Diese Lebendigkeit, die durch Veranstaltungen unterschiedlichster Art stattfinden – und Lesungen gibt es hier in der Stadt immer wieder – das macht es hier eben auch schon aus, dass die Leute starke Anregungen kriegen und das eben auch gut nutzen. Ich glaub, da ist Göttingen einfach ein gutes Pflaster. Natürlich sehen wir zu, dass solche Aktivitäten unseren Nutzern auch zugute kommen. Und dass wir das begleiten, in dem wir die Bücher anschaffen, darauf hinweisen und versuchen, das, was an literarischer Szene oder Literatur hier ist, irgendwie zu begleiten."

Auch die Bücher, die derzeit beim Göttinger Literaturherbst vorgestellt werden, hat Krumpholz-Roehl angeschafft und prominent in den Auslagen der Lesesäle positioniert. Mit Erfolg. Fast alle sind ausgeliehen, auch das Sachbuch "Angst" von Klaus-Jürgen Grün. Der Frankfurter Philosophieprofessor plädiert darin für die Anerkennung der Angst nicht als Gefährdung, sondern als Voraussetzung eines erfolgreichen Lebens. Beim Göttinger Literaturherbst diskutiert Grün diese These mit seinem Herausgeber Michel Friedman.

Friedman: "Dieser Trick und ich finde das exemplarisch, hat ja auch eben was mit Angst zu tun."

Grün: ""Ja."

Friedman: "Und deswegen wollte ich einfach mal demonstrieren, wie jemand, der über Angst schreibt, Ihnen gute Ratschläge gibt, von Angst getrieben ist, wenn er nämlich genau das tut, wovor er Angst hat. Nämlich, dass Leute ihn 'missverstehen', dabei missverstehen sie ihn gar nicht, sondern sie verstehen genau, was er sagt, aber da sie ihn nicht verstehen wollen, was er sagt und weil es sie kränkt, sind sie sauer auf ihn und davor hat er Angst."

Grün: "Ja, sehr richtig. So gehe ich mit meiner Angst um."

Sachbücher und vor allem wissenschaftliche Themen nehmen fast die Hälfte des Göttinger Literaturherbstes ein. Dieser Schwerpunkt, sagt Organisator Christoph Reisner, gebe dem Bücherfestival ein eigenes Profil. In diesem Jahr stehen unter anderem Lesungen über das männliche Gehirn, Roboter oder die Architektur der Renaissance auf dem Programm. Als Sohn einer englischen Mutter hilft ihm dabei auch, dass er zweisprachig aufgewachsen ist und eng mit dem Göttinger Max-Planck-Institut, dem Deutschen Primatenzentrum und dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt zusammen arbeitet. So kann er international anerkannte Wissenschaftler exklusiv in die Leinestadt holen. Zum Beispiel den mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Historiker Martin J. Sherwin.

Sherwin: "Einer seiner Freunde hat mir einmal erzählt, dass er im Herbst des entsprechenden Jahres an Oppenheimers Tür kam und von drinnen ein Stöhnen und Klagen hörte. Als er die Tür öffnete, fand er Robert zusammengerollt wie ein Baby. Auf dem Fußboden hin- und herrutschend und jammernd. Er war ein menschliches Wrack zu der Zeit und es schien nicht so, als ob Robert Oppenheimer bereit wäre für große Taten." (übersetzt)

Martin Sherwins Vortrag über das Leben des Physikers Robert Oppenheimer wurde in die Göttinger Paulinerkirche gelegt. Die ehemalige Klosterkirche mit der gotischen Halle dient heute der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek als Veranstaltungsort. Der Literaturherbst, sagt Christoph Reisner, findet bewusst in historischen Räumlichkeiten wie zum Beispiel auch dem prunkvollen Alten Rathaus statt, damit auch der Bezug zur traditionsreichen Universitätsstadt hergestellt wird. Er habe schon häufiger Angebote ausgeschlagen, den Literaturherbst auch in anderen Städten zu präsentieren, erzählt der jugendlich wirkende Mann. Doch die Veranstaltung gehöre fest zu Göttingen.

"Die Stadt hat in gewisser Weise das Festival geboren. Das, was hier seit 250 Jahren gemacht wird in dieser Stadt seit Gründung der Universität, das soll sich auch wiederfinden in dem Festival. Das ist einmal ästhetisch sehr befriedigend, weil ich natürlich auch lieber in schönen Räumen veranstalte als in hässlichen Mehrzweckhallen und es ist inhaltlich sehr befriedigend. Es ist einfach eine sehr schöne Sache, dass man weiß, dass man eine wichtige und starke Tradition perpetuiert."

Die starke Tradition ist auch in der Göttinger Paulinerkirche zu spüren: Hohe Regale voller kostbarer Bücher aus dem 18. Jahrhundert. Meterhoch gestapelte Ledereinbände. Der Duft von Pergament liegt in der Luft. Anders als im trubeligen Glas-Neubau der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek auf dem Campus herrscht im älteren Teil der Bibliothek andächtige Stille. Doch die historischen Bücher werden hier nicht nur aufbewahrt. Sie werden auch für viele Leser erst zugänglich gemacht.

Im Digitalisierungszentrum der Göttinger Universität, das im Erdgeschoss der Paulinerkirche untergebracht ist, stehen gleich mehrere Großscanner. Aus Urheberrechtsgründen werden nur Bücher digitalisiert, die älter als 90 Jahre sind. Während eine spezielle Kamera die Seiten in Sekundenschnelle komplett abfotografiert, liegt in der Regel eine Glasscheibe auf den Seiten. So werden Verzerrungen vermieden. Bei empfindlichen Büchern kommt ein Spezialgerät zum Einsatz.

Liebetruth: "Wir haben jetzt hier einen Scan-Roboter, die Besonderheit ist hier, dass wir hier einen Öffnungswinkel haben, der deutlich unter 90 Grad ist. Wir schonen also sehr den Buchrücken und das Band selber. Und das, was einen Roboter auszeichnet, ist hier, das er automatisch Seiten umblättert und automatisch scannt und dass unser Bedienpersonal letztlich für die Kontrolle da ist."

Göttingen ist neben München das zweite große universitäre Digitalisierungszentrum in Deutschland. Die Fachleute hier fungieren als Ansprechpartner für andere Bibliotheken, erzählt Abteilungsleiter Martin Liebetruth. Vor zwölf Jahren eingerichtet, wurden seitdem etwa 1000 Bücher pro Jahr digitalisiert. Sie sind im Online-Katalog der Unibibliothek weltweit von jedem Computer aus abruf- und einsehbar. 12.000 Bücher seien sehr wenig, wenn man sie etwa mit dem Google-Digitalisierungsprojekt vergleiche, räumt Liebetruth ein. Doch in Göttingen legten die Experten eben großen Wert auf die Qualität des digitalen Faksimiles. Noch einmal sollen die empfindlichen Bücher nicht einer solchen Prozedur ausgesetzt werden.

Liebetruth: "Also, wir sind jetzt hier auf der Webseite gutenbergdigital.de. Wir gehen hier in die Bücher der Bibel hinein und wir sehen hier gleich eine wunderbare Prachtseite, das ist die erste Seite des Alten Testamentes der Genesis. Hier steht also gleich auf Lateinisch: In principio creavit Deus caelum – Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde - et terram steht hier noch in der zweiten Zeile."

Die Computerkopie der Göttinger Gutenbergbibel ist das Prunkstück der digitalen Sammlung. Das Original ist mindestens 550 Jahre alt und eine von nur vier weltweit noch komplett erhaltenen Exemplaren, die Gutenberg auf Pergament gedruckt hat. Die 1282 Seiten starke Bibel ist von unschätzbarem Wert und wird - von einigen wenigen Ausstellungen abgesehen - gut klimatisiert vor öffentlichen Blicken geschützt. Dank des Göttinger Digitalisierungszentrums ist sie im World Wide Web seit neun Jahren für jedermann zugänglich. Jeder Buchstabe, jede Blumenranke wird am Bildschirm genauso abgebildet wie im Original.

Liebetruth: "Im Internet kann man die Bibel von vorne bis hinten durchblättern und kann sich sogar besonders schöne illuminierte Seiten in einer wunderbaren Vergrößerung ansehen, um so sehr starke Details betrachten zu können. Da kommt man der Bibel näher als in der Ausstellung."

Der Etat für die Digitalisierung ist begrenzt, noch warten Tausende Bücher in den Göttinger Magazinen darauf, von den Scannern abfotografiert zu werden. Die Universität hat sich deshalb das Projekt Wunsch-Digi-Buch ausgedacht, erzählt Silke Glitsch, Sprecherin der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek.

Glitsch: "Digi-Wunschbuch ist ein Angebot an unsere Nutzer, Buchpatenschaften für die Digitalisierung von Werken zu übernehmen. Das heißt also zum Beispiel ein Nutzer stellt fest, es gibt also dieses oder jenes Buch, das urheberrechtsfrei ist, gemeinfrei ist und er hätte das gerne als digitalisiertes Buch und möchte es zugleich nicht nur für sich, sondern eben auch den Nutzern in seiner Umgebung oder weltweit, wie auch immer, zur Verfügung stellen. Dann kann er eine Buchpatenschaft für dieses Buch übernehmen."

Ein Angebot, das gerne angenommen wird. Schon mehrere Hundert Paten haben sich bereit erklärt, die Kosten mitzutragen. 25 Cent pro Seite kostet die Digitalisierung für einen Bücherpaten.

Zurück beim Göttinger Literaturherbst, zurück auf der Bühne im Deutschen Theater. Katharina Hackers Buch "Alix, Anton und die anderen" kommt nicht in digitaler Form daher. Das Leseexemplar, das die Autorin am Tisch in den Händen hält, ist druckfrisch, aber die gesamte Auflage noch gar nicht erschienen. Für die Zuhörer, die es sich in den roten Samtsesseln gemütlich gemacht haben und gespannt auf den Nachfolger von Hackers Erstling "Die Habenichtse" warten, also eine echte Premiere.

Hacker: "Den ganzen Sommer über habe ich auf den Herbst gewartet. Ich saß auf einem Stuhl nahe der Tür meines Buchladens, die ich offen stehen ließ, hielt nach Kunden Ausschau und dachte an den Herbst. An den ersten Nebel. An die langen Abende. Ich dachte: Spätestens nach dem Kürbisfest, das sie hier immer feiern, als wäre Berlin-Schöneberg voller Gärten und Gärtnereien, spätestens nach dem Kürbisfest werden wieder mehr Bücher verkauft werden. Als aber der Oktober mit einigen neuen Regentagen begann, wurde ich schwermütig."

Von Schwermut ist bei Christoph Reisner in diesen Tagen nichts zu spüren. Vor dem Geschäftsführer des Göttinger Literaturherbstes liegen die letzten drei Abende des Festivals. Er kann zufrieden sein. Das ausgeweitete Jugendprogramm wird angenommen und die Göttinger erweisen sich als treue Herbstbesucher:

"Ich gehe jedes Jahr zum Literaturherbst und meistens so zu zwei bis vier Lesungen und da sind schon manchmal echte Highlights dabei. Es kommen tolle Leute, vor allem viele, die man nicht so kennt."

"Das ist meine dritte Veranstaltung, mich interessiert das. Ich will mich etwas bilden."

"Also, ich freue mich jedes Jahr über den Literaturherbst, einfach dadurch, dass man jedes Jahr auch interessante englischsprachige Autoren sehen kann."

"Also, ich finde es auch gut, dass es Schwerpunkte gibt, aber dass es auch weit gefächert gibt, dass man viel mitnehmen kann in Bereichen, die man sonst vielleicht nicht auf dem Schirm hat."

"Prinzipiell sind wir Literaturherbstfans und sind jetzt auch schon im dritten oder vierten Jahr mit dabei. Und eben einfach auch die schön, die Autoren auch mal in einem etwas lockeren Kontext zu sehen, danach Fragen stellen zu können und einfach auch noch mal einen anderen Zugang zu den Büchern zu kriegen."

Mit Ulrich Blumenbach, der sechs Jahre lang an seiner akribischen Übersetzung des Buches "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace gearbeitet hat, ist morgen Abend vermutlich noch ein Höhepunkt im Göttinger Literaturherbst zu erwarten. Auch die Lesung von Donna Woolfolk Cross, Autorin von "Die Päpstin", dürfte am Sonntag ein Publikumsrenner werden. Veranstalter Christoph Reisner freut sich persönlich vor allem auf Juli Zeh. Die Leipzigerin wird zum Abschluss des Festivals ein Live-Hörspiel ihres Werkes "Corpus Delicti" präsentieren.

Reisner: "Das Buch hat mich, wenn ich ehrlich bin, nicht umgehauen. Das Projekt finde ich aber interessant. Das Ganze mit einer Rockband und multimedialen Effekten zu machen. Musik und Literatur versuchen eigentlich, seit ich mich mit Literatur beschäftige, sehe ich immer mal aus einem Augenwinkel, wie diese Genres versuchen, sich zu paaren und zu einander zu finden, und das ist einfach spannend zuzusehen."

Und wenn das letzte Wort verklungen ist, kehrt Reisner wieder zurück in sein aufgeräumtes Büro. Um das Festival 2010 vorzuplanen.

Für ihn ist eigentlich zu jeder Jahreszeit Göttinger Literaturherbst.