Weinbau und Klimawandel

Merlot und Chardonnay vom Rhein

30:34 Minuten
Sonnenstrahlen scheinen durch reife Rieslingtrauben.
Warm und trocken - so mögen Weintrauben den Sommer. © Picture Alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Lutz Reidt · 08.06.2021
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Klimawandel muss nicht nur schlecht sein: Im Rheingau etwa sorgt er dafür, dass Rebsorten gedeihen, die man bisher nur aus dem Süden kannte. Riesling & Co. allerdings leiden. Und auch Extremwetter wie Starkregen macht den Winzern das Leben schwer.
Mit flinken Handgriffen öffnet Stefan Seyffardt den blau lackierten Wasserhahn. Aus den Tiefen des Rauenthaler Weinberges quillt kühles Grundwasser in schwarze Schläuche, die sich - mit Drähten fixiert - in rund 20 Zentimetern Höhe an kräftigen, alten Rebstöcken zu Tal hangeln.
Die Gluthitze an diesem Nachmittag im Juli 2003 ist schier erdrückend, der Jahrhundertsommer sorgt für Rekordtemperaturen in Deutschland, um die 40 Grad. So heiß und so trocken und das über Wochen – das hat Stefan Seyffardt noch nicht erlebt. In Strömen rinnt ihm der Schweiß von der Stirn. Dennoch ist der Betriebsleiter der Hessischen Staatsdomäne Rauenthal bester Dinge:
"Wir haben sensationelle Werte! Vor allen Dingen die Sonnenschein-Stunden sind sensationell. Wir haben also fast kalifornische Verhältnisse oder auch Verhältnisse wie in Südfrankreich oder in Italien. Die Weinernte wird, so wie es aussieht, beim Müller-Thurgau, bei Frühsorten Ende August beginnen. Und beim Riesling, der normalerweise so um den 10. Oktober anfängt, wird sie wahrscheinlich Mitte September beginnen."

Ein Hauch von Kalifornien am Rhein

Ein Hauch von Kalifornien wabert durch die Rebhänge im Rheingau oberhalb von Eltville bei Wiesbaden. Im Sekundentakt perlen glitzernde Tropfen aus den Düsen der Bewässerungsanlage und plumpsen auf den staubtrockenen Boden. Langsam breitet sich die Nässe zwiebelförmig im Wurzelraum aus – wohldosiert, für einen großen Jahrgang 2003 aus dem Rheingau, der regelmäßig einige der besten und teuersten Riesling-Weine der Welt hervorbringt:
"Wenn uns dieses Jahr nichts mehr dazwischenkommt, dass es also nicht zu trocken ist oder es zu viel Regen noch mal zwischendurch gibt, dann könnte es sein, dass es einen Jahrhundert-Jahrgang gibt. Wir liegen schon mit den Sonnenschein-Stunden ein Drittel höher als 1976."
1976 – für deutsche Winzer bis heute ein magischer Jahrhundertjahrgang, der letzte wirklich große vor der Jahrtausendwende. Doch damals, so erinnert sich Seyffardt, hat es zumindest hin und wieder mal geregnet.
Der Betriebsleiter blickt hinunter ins Tal, wo das Wasser des Rheins in der Sonne glänzt und im Süden die Dächer von Mainz schemenhaft durch den Dunst dringen. Heute, an diesem drückend-heißen Julitag kann der Betriebsleiter noch nicht genau abschätzen, wie sich der Spätsommer entwickelt und ob wirklich wieder ein Jahrhundertjahrgang im Rheingau heranreift.
Mediterranes Flair in den Weinbergen des Rheingaus. Auch anderswo in Deutschland ermutigen steigende Temperaturen viele Winzer, neue Wege zu beschreiten. Rebsorten, die eher ein Mittelmeerklima voraussetzen, gedeihen mittlerweile auch hierzulande prächtig.
Französische Trauben aus der Region um Bordeaux zählen dazu. Merlot vor allem, aber auch Cabernet Sauvignon. Die Winzer bereiten sich auf eine Zukunft vor, die ganz im Zeichen des Klimawandels stehen wird:
"Wir sind da am Anfang einer ganz erheblichen Veränderung, die aber für Deutschland und für deutsche Weinanbaugebiete in den nächsten Jahrzehnten auch erst einmal Chancen bietet", sagt Manfred Stock vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Der Wissenschaftler hat 2004 ein Klimaszenario für den Weinbau in Deutschland vorgestellt, das bis ins Jahr 2050 reicht. Seine Prognosen: Die Durchschnittstemperatur steigt um zwei Grad, im Sommer ist häufig mit mediterranen Verhältnissen zu rechnen. Für den Riesling hat das ganz praktische Auswirkungen: Die Erntereife dürfte zwei bis drei Wochen früher einsetzen.
Die Winzer sollten sich darauf einstellen, argumentiert Manfred Stock, zumal die Entwicklung anscheinend noch schneller voranschreitet als erwartet:
"Wir haben ja verschiedene Möglichkeiten, wie die Zukunft sich entwickeln kann. Das ist keine Einbahnstraße, da sind Weichenstellungen möglich, und viele dieser Weichenstellungen können wir selber vornehmen. Dazu brauchen wir natürlich auch eine Ahnung, was auf uns zukommt. Also sozusagen den Gurt anzulegen, falls wir in eine gefährliche Situation kommen, oder eine andere Strecke wählen. Und so was kann man beim Wein schon in der Vergangenheit beobachten, dass die Winzer sich angepasst haben an Veränderungen, wo es denn möglich war. Und wir wollen eigentlich ableiten: Welche Anpassungsmöglichkeiten gibt es im Weinbau an die uns bevorstehende und jetzt schon sehr heftige Veränderung des Klimas?"
In einem Weinberg sind kreisförmig CO2-Düsen aufgestellt.
Die Weinforscher der Hochschule Geisenheim testen mittels einer Versuchsanlage, wie sich die Reben unter den angenommenen Klimabedingungen des Jahres 2050 verhalten.© Hochschule Geisenheim
Einen Vorgeschmack auf die künftige Entwicklung hat bereits der Jahrhundertsommer 2003 geliefert, mit kalifornischen Verhältnissen im Rheingau.
Auf Schloss Johannisberg zum Beispiel begann vor 120 Jahren die Riesling-Lese noch Ende Oktober, im Jahrhundertsommer 2003 bereits am 22. September – also fünf Wochen früher. Und das wärmere Klima verändert nicht nur den Lesebeginn, sondern auch die Qualität am Rebstock.
"Das, was also früher die sauren Lagen waren, die man also höchstens für die Essigproduktion nehmen konnte, das sind dann diejenigen, die sich jetzt dann ganz interessant entwickeln, wo man also bei einem guten, reifen Wein noch eine entsprechende fruchtige Note erhält, während in den heißen Lagen unter Umständen nur ein hoher Alkoholgehalt, aber ein langweiliger Wein herauskommt. Und das ist ja nun nicht etwas, was sich der Käufer wünscht."

Grand Cru von der Havel?

Der Trend ist unverkennbar: Der Weinanbau wandert Richtung Norden. In Südengland etwa hat sich die wirtschaftlich genutzte Anbaufläche für Wein in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Sogar auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland hat ein unverdrossener Winzer Rebflächen angelegt, und auch in Deutschland ist die Region um Saale und Unstrut in Sachsen-Anhalt längst nicht mehr das nördlichste Anbaugebiet:
"Also, wir haben ja hier in Brandenburg Weinanbau", sagt Manfred Stock. "Ich stand vor Kurzem in einem Weinberg in Mecklenburg-Vorpommern, habe also auch den Mecklenburger Landwein getrunken – muss sagen, war gar nicht so übel. Also, man konnte da durchaus sagen: Okay, da ist ein Potenzial. Und das ist ein Landwein. Das nördlichste Anbaugebiet für Qualitätswein ist nach wie vor hier bei uns in der Gegend um Potsdam: "Werderaner Wachtelberg". Das ist auch eine nette Gegend. Liegt auch klimatisch sehr günstig in so einer Flussschleife der Havel, und das macht natürlich viel aus."
Ein Grand Cru von der Havel bei Potsdam? Abwarten, meint Manfred Stock. Und verweist auf Anbauversuche mit Chardonnay und Cabernet Sauvignon auf der Insel Usedom an der deutschen Ostseeküste.
Neu ist dies nicht. Während der Warmphase des Mittelalters waren die Mönche im Kloster von Bad Doberan bei Rostock weithin bekannt für den Tropfen, der in ihren Kellern reifte.
"Wir hatten damals vergleichsweise warme Bedingungen, Weinanbau war bis an die Ostsee bei den Mönchen möglich. Die Qualität natürlich können wir nicht nachvollziehen, also wir wissen nicht, wie gut oder wie sauer der Wein war. Da war ja auch die Anbaufläche dreimal so groß wie heute. Das lag auch daran, dass man sich vom Wassertrinken leicht was holen konnte und der Wein da eben sehr viel gesünder war, selbst wenn er vielleicht sauer gewesen sein mag."

Rebstöcke im Feldversuch

Wie der Wein aus dem Rheingau im Jahr 2050 schmecken könnte, wollen Forscher der Hochschule Geisenheim bereits heute herausfinden. Auf dem Testgelände am westlichen Ende des Campus stehen Hunderte Rebstöcke Spalier.
Etliche von ihnen sind bereits in der fernen Zukunft angekommen: Die Umgebungsluft hier enthält so viel Kohlendioxid, wie es ein Szenario des Weltklimarates IPCC für das Jahr 2050 voraussagt - ungefähr zwanzig Prozent mehr als heute.
Die Klimaforscherin Claudia Kammann steht inmitten der fast mannshohen Rebstöcke und zeigt nach oben: Das zusätzliche Treibhausgas CO2 entweicht in rund zwei Metern Höhe aus einem weitläufigen, kreisförmigen Konstrukt mit einem Durchmesser von zwölf Metern. Oben am Rondell befestigt: kleine Düsen unter dunkelgrünen Plastikkappen.
"Was wir hier hören, sind die Ventile, die auf- und zugehen und CO2 freisetzen", erklärt Kammann. "Und je häufiger das zischt, desto häufiger geht es auf und desto mehr CO2 wird freigesetzt. Und dann hören wir immer noch vom Rauschen dabei. Und es sind die Ventilatoren. Das heißt, jedes Ventil sitzt unter einem Ventilator, und der verwirbelt dann das freigesetzte CO2, sodass es hier in den Rebbestand getragen wird."
Claudia Kammann ist Professorin für Klimafolgenforschung an Sonderkulturen. Sie will wissen: Wie wirken sich deutlich höhere CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre auf Gemüse und eben auch auf den Wein aus?
Die dafür entwickelte Anlage für die CO2-Anreicherung im Freiland ist weltweit einzigartig im Weinbau – und auch stabil genug konstruiert, sagt Önologe Rainer Schultz. Der Professor für Weinbau ist Präsident der Hochschule Geisenheim:
"Diese Begasungseinheiten müssen so gebaut sein, dass sie auch einem Sturm, der wirklich dann in die Zeile hineinprallt, gewachsen sind. Deswegen stehen die alle auf Streben, um wenig Widerstand zu bieten. Und dann ist die Intention, dass die Begasung von oben kommt und nach unten geht und dann passiv mit dem Wind sozusagen in diese Kreise hineingeschoben wird. Und das ist die Herausforderung, das möglichst homogen zu halten, bei diesen unterschiedlichen Windrichtungen, eben auch bei dieser unterschiedlichen Reihenkultur."
Professor Rainer Schultz, Präsident der Hochschule Geisenheim steht an der CO2-Messanlage neben Weinstöcken.
Hochschulpräsident Rainer Schultz zeigt die Anlage zur CO2-Anreicherung, die die mutmaßliche CO2-Belastung des Jahres 2050 simuliert.© Lutz Reidt
Just in diesem Moment dreht der Wind. Sofort wechselt der Takt, mit dem einzelne Düsen die Luft innerhalb des Ringes mit Kohlendioxid anreichern:
"Es ist so, dass das immer mit dem Wind hier rüber getragen wird", sagt Claudia Kammann. "Das heißt, wir haben immer die dem Wind zugewandte Hälfte von dem Ring, die freisetzt. Wechselt die Windrichtung, dann ist es ein anderer Teil dieses Kreises, der dann die Freisetzung macht, nämlich der, der dann dem Wind zugewandt ist."
Insgesamt stehen in den Rebflächen sechs Begasungsringe mit einem Durchmesser von jeweils zwölf Metern. Drei davon pusten CO2 nach unten, sodass innerhalb dieses Kreises die Treibhausgas-Konzentration so hoch ist wie für 2050 angenommen. Drei weitere Ringe mit gleichem Aufbau gehören zu einer Kontrollgruppe. Aus ihnen entweicht nur Umgebungsluft – immer im gleichen Takt, den die Windrichtung vorgibt.

Nachts ist die CO2-Konzentration höher

Die Forscher in Geisenheim wissen: Sie arbeiten nicht unter kontrollierten Bedingungen in einer geschlossenen Klimakammer, sondern sind den Launen des Freilandes ausgesetzt. Die künstlich erhöhte CO2-Konzentration kann somit keiner konstanten Linie folgen:
"Aber was wir ganz gut hinkriegen, ist eben diese Anreicherung im Tagesgang, weil das CO2 im Tagesgang auch nicht immer dieselbe Konzentration ist. Wir haben nachts häufig eine stabile Schichtung bodennah, dann baut sich eine höhere CO2-Konzentration auf – einfach, weil der Boden ja immer nur CO2 abgibt und keine Fotosynthese stattfindet. Geht morgens die Sonne auf, wird dieses CO2 auch wieder aufgenommen und die Konzentration sinkt. Und dieser Bewegung, die das quasi macht, der folgen wir mit unserer Anreicherung. Das heißt, morgens, wenn es höher ist, dann sind unsere zwanzig Prozent obendrauf und dann haben wir auch morgens bei Start eine höhere Konzentration. Also, wir fahren, wie wir sagen, den Tagesgang nach."
Und diesem Tagesgang sind auf den kreisrunden Versuchsfeldern 70 Rebstöcke pro 12-Meter-Radius ausgesetzt. Die Hälfte davon edle Weißweintrauben, die andere Hälfte ein guter Roter:
"Also, wir haben Riesling, klar, als deutsche Leitsorte", sagt Önologe Rainer Schultz. Und wir haben Cabernet Sauvignon, und Cabernet Sauvignon eigentlich deswegen – nicht weil wir denken, dass das unbedingt die Zukunftssorte für den Rotwein in Deutschland ist, aber wir wollen in dieser einmaligen Infrastruktur halt eben auch Wissenschaftler aus anderen Ländern herholen, und dort ist halt eben Cabernet Sauvignon die Sorte."

Dickere Trauben sind nicht unbedingt von Vorteil

Ob diese Weine des virtuellen Jahrgangs 2050 anders schmecken, lässt sich zwar noch nicht sagen. Doch erste Resultate liegen bereits vor: Sowohl Riesling als auch Cabernet Sauvignon wachsen in den Kreisen mit höherem Kohlendioxid-Gehalt besser als in den Kontrollgruppen. Sie nehmen durch die Fotosynthese mehr CO2 auf und bilden dadurch mehr Biomasse. Zum einen mehr Blätter und Triebe, zum anderen auch dickere Trauben – was nicht unbedingt ein Vorteil sein muss:
"Wir lesen nicht mehr Erntegut, weil wir mehr Trauben haben, sondern die Beerchen in der Traube werden größer", erklärt Claudia Kammann. "Und es werden auch mehr, jedenfalls beim Riesling, und das kann ein Problem werden. Der Riesling ist eine sehr kompakte Traube. Wenn die Beerchen größer werden, dann können die sich gegenseitig jetzt, wenn dann mal ein starker Niederschlag kommt, in der Reifephase können die sich abquetschen, dann haben wir möglicherweise leichte Botrytis drin. Das haben wir aber jetzt noch nicht gesehen, weil bislang die letzten Jahre, wie Sie ja wissen, im Spätsommer relativ warm und trocken gewesen sind."
Botrytis ist eine Pilzerkrankung, die – wenn sie vor der Weinreife eintritt – große Schäden verursachen kann. Im Spätsommer 2015 zum Beispiel führten heftige Niederschläge nach einem sehr trockenen ersten Halbjahr zu starkem Pilzbefall in den Rebhängen des Rheingaus. Auch im Folgejahr gab es Probleme, als viel Regen im Mai und Juni den Pilzbefall begünstigte.
Bei trocken-warmem Wetter dagegen haben Pilzerkrankungen kaum eine Chance – so wie im Jahrhundertsommer 2003.
Der Winzer Stefan Seyffardt mit seinen Chardonnay-Rebstöcken.
Winzer Stefan Seyffardt am Chardonnay in der Lage Rauenthal oberhalb von Eltville im Rheingau.© Lutz Reidt
Den Griff zum blau lackierten Wasserhahn kann sich Stefan Seyffardt heute sparen. Der Sommer in diesem Jahr ist zwar in den Rebhängen des Rheingaus wieder sehr warm, bei Weitem aber nicht so trocken wie 2003.
Die Rebstöcke in der Rauenthaler Lage stehen im gleißenden Sonnenlicht Spalier. Der Riesling reift bestens. Von Pilzerkrankungen keine Spur. Der Betriebsleiter bei den Hessischen Staatsweingütern ist zufrieden – wenn auch nicht ganz so euphorisch wie damals.
"2003, wenn ich jetzt so zurückschaue, war das der erste Jahrgang, wo man gemerkt hat: Der Klimawandel kommt so nach und nach richtig hart auf uns zu. Der Wein hat sich sehr, sehr gut präsentiert. Die Trauben hatten sehr hohe Zuckerwerte, es gab Weine mit viel, viel Alkohol, teilweise zu viel. Wir haben sogar einen Spätburgunder geerntet mit 17 Volumenprozent Alkohol, den mussten wir aber dann verschneiden, das war ein Test, aber das war in diesem Jahr möglich, weil einfach die Reife und die Sonnenstrahlung so gut waren, dass es also auch viel Zucker gab."
Zucker ist aber nicht alles, um einen Klasse-Riesling im Keller reifen zu lassen. In manchen Lagen konnte 2003 die Edeltraube ihre charakteristische Melange aus Frucht und Säure nicht entfalten, bedauert der Betriebsleiter:
"Das war abhängig davon, wo der Weinberg steht. In Bereichen, wo also mehr Wasser war, da war auch das Säurespiel in Ordnung. Aber es gab Bereiche, wo also das Wasser wirklich ein Problem war, und die Weinrebe hat unter Stress gestanden, dort hatten wir dann wirklich Probleme mit der Säure und es konnten also UTA-Töne entstehen, diese 'Untypischen Alterungstöne'."

Rieslingtrauben mögen keine Hitze

Die Winzer fürchten die Veränderung im Geschmack. Vor allem Aromasorten wie Müller-Thurgau und Riesling altern zu schnell. Der Wein hat dann eine blasse, wasserhelle Farbe und ihm fehlt die sortentypische Frucht und Frische. Er riecht stumpf und muffig nach nassem Pappkarton, Sackleinen oder gar Mottenpulver und schmeckt dabei dumpf und bitter.
Die Ursachen sind noch nicht eindeutig erforscht, doch dürften Wasser- und Nährstoffmangel sowie mangelnde Reife der Trauben die Hauptgründe sein.
Vor allem der Riesling zählt zu jenen Weißweinsorten, die empfindlich auf lang anhaltende Hitze reagieren. Deswegen haben die Winzer in Mittelmeerländern kein Interesse an dieser Edeltraube, die im vergleichsweise kühlen Deutschland traditionell die besten Weine hervorbringt.
Wenn es nun aber insgesamt wärmer wird, stellt sich auch für Stefan Seyffardt die Frage: Wie soll es weitergehen? Sein Plädoyer: Den Riesling bevorzugt in höheren Lagen anpflanzen, wo es etwas kühler ist.
"Ja, das ist richtig, also so vor zwanzig Jahren ... Auf höheren Lagen, so bei zweihundert Meter, hat man früher gesagt, da darf man keinen Riesling pflanzen, da mussten wir dann Müller-Thurgau oder Scheurebe und so weiter pflanzen. Riesling war damals nicht erlaubt. Heute ist es halt ganz anders. Auch dort kann man jetzt überall Riesling pflanzen, das ist auch richtig. Die werden dann halt in den höheren Lagen weiterhin sehr typisch sein, feinfruchtig, feingliedrig, das will man ja beim Riesling und deshalb kann man da definitiv weiter in die Höhe gehen."

Ein Merlot aus dem Rheingau – warum nicht?

Der Riesling soll also weiter die Paradetraube der Hessischen Staatsweingüter bleiben. Aber in den Tal-Lagen gehen die Winzer im Rheingau allmählich dazu über, auch französische Edeltrauben zu kultivieren.
Unter den Weißen sind Sauvignon Blanc und Chardonnay inzwischen etabliert. Und bei den Roten ergänzt Stefan Seyffardt sein Portfolio durch Sorten aus der Region um Bordeaux. Merlot zum Beispiel, aber auch andere Edeltrauben aus dem Bordelais:
"Wir haben auch in Rüdesheim vor zehn Jahren angefangen, mal eine Versuchsreihe mit Cabernet Franc anzupflanzen. Das hätte man früher nie gedacht, dass so was hier überhaupt reif wird, weil wenn so ein Cabernet Franc oder Cabernet Sauvignon nicht richtig reif ist, dann schmeckt der nach grünem Paprika, und das ist sehr negativ. Aber die werden hier richtig reif. Das ist unglaublich! Und wir haben da mittlerweile einen Bombenwein, der auch in Holzfässern ausgebaut wird und mittlerweile auch sehr anerkannt ist."
Diese roten Klassiker sind angewiesen auf sehr viel Sonne und überstehen auch trockene Perioden gut – vor allem dann, wenn ihre meterlangen Wurzeln tief in den Boden vordringen. So können sie auch extremen Dürreperioden besser trotzen:
"Ganz extrem gemerkt, dass es jetzt noch mal eine Stufe erhöht hat in der Veränderung, haben wir es mit dem Jahrgang 2018. Also so was Trockenes habe ich hier noch nicht erlebt. Ich habe ja beim letzten Mal von kalifornischen Verhältnissen geredet, und es ist wirklich so, wir haben also sehr, sehr heiße Tage, Tagestemperaturen, vor allen Dingen ganz trockenen Wind, der die Böden sehr stark austrocknet, und nachts ist es relativ kalt!"

Starkregen als Problem

Die Winzer lieben kühle Nächte, die im Wechsel mit sonnig-heißen Tagen auf die Trauben einwirken. Diese Temperaturreize legen die Grundlage für besonders aromatische Weine.
"Auf der einen Seite sind die Winzer Gewinner, weil einfach die Trauben eine tolle Finesse haben, sehr harmonisch sind, sehr viel Frucht, sehr viel Aroma haben, auch nicht ganz so viel Säure haben. Auf der anderen Seite hat man aber auch zu kämpfen mit starken Regenfällen, die dann zwischendurch mal einfach auftreten, die dann auch sehr viel Erde abschwemmen, Erosion verursachen. Das ist so ein bisschen der Nachteil."
Stefan Seyffardt musste zuletzt mit ansehen, wie innerhalb einer halben Stunde 60 Liter Regen auf den Quadratmeter prasselten, und zwar in einer Steillage bei Assmannshausen. Dort wächst ein weithin geschätzter Spätburgunder. Die Folge dieses Gewitterregens war ein Erdrutsch, bei dem rund 200 Tonnen Erde ins Tal donnerten.
Nicht nur eitel Sonnenschein also über den Rebhängen im Rheingau. Und auch Klimaforscher Manfred Stock aus Potsdam muss etwas Wasser in den Wein schütten. Extremwetter mit Starkregen und Hagel, wie sie die Winzer gehäuft beobachten, findet er auch in seinen Klimamodellen für die kommenden Jahrzehnte wieder.
Auch der Befall durch Schädlinge dürfte zunehmen, wenn es wärmer wird. Und selbst die Gefahr durch Frosteinbrüche schwindet nicht. Denn was nutzen sommerwarme Frühlingstage bereits im März und April, wenn die frisch aufgeplatzten Knospen während der Eisheiligen buchstäblich kalt erwischt werden?
"Was uns ein bisschen zu denken gibt bei unseren Analysen: Mit Hilfe der Klimamodelle stellen wir fest, dass die Zeitpunkte für Austrieb, für Blüte immer früher im Frühjahr stattfinden, dass aber die Spätfröste durchaus noch zu den Zeiten wie früher kommen können. Und das heißt, dass also die Wahrscheinlichkeit, dass uns dann die Blüten erfrieren oder die Knospen, dass die also unter Umständen steigt."

Sonnenbrand gibt es auch bei Reben

Vor solchen Launen der Natur sind auch die Spitzenwinzer in Frankreich nicht gefeit. Spätfrost im Frühjahr hat zum Beispiel den Bordeaux-Jahrgang 1992 ruiniert. Auch deutsche Winzer waren jüngst betroffen. Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts ließen im Frühjahr 2017 in fast allen westdeutschen Anbaugebieten viele Blüten an den Rebstöcken erfrieren. Am schwersten betroffen waren Winzer an der Mosel.
Die Launen des wechselhaften Wetters mit seinen Extremen – sie sind auch Thema für die Forscher an der Hochschule Geisenheim im Rheingau. Auf ihrem Testgelände wabert die Kohlendioxid-Konzentration des Jahres 2050 durch das Versuchsfeld.
Trauben im Versuchsanbau der Hochschule Geisenheim zeigen Sonnenbrand. 
Der Klimawandel im Weinbau setzt manchen Trauben zu, zum Beispiel indem diese Sonnenbrand bekommen.© picture alliance/Andreas Arnold/dpa
Dort sind Riesling- und Cabernet-Sauvignon-Trauben bereits in der fernen Zukunft angekommen und müssen dennoch immer wieder die Witterungskapriolen der Gegenwart aushalten, sagt Klimafolgen-Forscherin Claudia Kammann.
Besonders markant war zuletzt die extrem trockene Hitze im Sommer vergangenen Jahres, als an zwei Tagen die Temperaturen über die 40-Grad-Schwelle kletterten:
"Die Extremata sind ein großes Problem, das heißt, manchmal reichen ja zwei besonders heiße Tage und ein heftiger Sonnenbrand bei vielleicht einer empfindlichen Rebsorte. 2019 in der Steillage: Bacchus, sehr empfindlich! Selbst der Riesling hatte hier oder in Steillagen an der Mosel wirklich heftigst Sonnenbrand, also am Bremmer Calmont habe ich Rieslingfelder gesehen, da würde ich sagen: Da war achtzig Prozent Ertragsausfall – und das waren zwei Tage im Juli letzten Jahres, die besonders heiß waren. Das reicht dann oft für den Schaden."

Starker Wind trocknet den Boden aus

Für die Geisenheimer Forscher waren diese extremen Sommerhalbjahre 2018 und 2019 gewissermaßen der Probelauf für den Endpunkt ihres Szenarios: Die Sommerperioden Mitte dieses Jahrhunderts könnten ähnlich heiß und trocken werden, nur wäre es dann nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.
"Für Reben ist die Durchschnittstemperatur zwischen April und Oktober wichtig", erklärt der Önologe Rainer Schultz. "Früher haben wir irgendwo so zwischen 15 und 15,5 Grad, wenn's gut war, gelegen. 2018 waren es 18 Grad im Durchschnitt. 18 Grad, das ist eine abstrakte Zahl, aber das ist ungefähr der Durchschnitt, den wir im Weinbaugebiet der Adelaide Hills in Australien haben oder in Santiago de Chile. Mit dem kleinen Unterschied, dass die beiden Regionen irgendwo zwischen dem 34. und 36. Breitengrad liegen, und wir sind hier am 50! Und das bedeutet, wir haben im Sommer noch zusätzlich zwei Stunden länger Tageslicht."
Die Gunst der Sonne in einem wärmeren Klima eröffnet den Winzern zwar neue Möglichkeiten, keine Frage. Sie müssen aber auch viele Probleme meistern – wobei ihnen jedes Jahr eine andere Kapriole bescheren könnte.
Zu den Extremereignissen, die den aktuellen Jahrgang begleiten, dürften extrem trockene Winde zählen. Wieder eine neue Facette, sagt Rainer Schultz. An einigen Tagen im Frühjahr, wenn der Professor für Weinbau morgens mit dem Fahrrad zum Institut radelte, hatte er mit einem heftigen Ostwind zu kämpfen:
"Wir hatten eben bereits im April an vier Tagen extreme Ostwindwetterlagen mit sehr, sehr trockener Luft. Und hatten dann teilweise Verdunstungsraten, potenzielle Verdunstungsraten von achteinhalb Liter pro Quadratmeter gemessen. Normal an einen heißen Tag im Sommer haben wir vielleicht drei oder dreieinhalb Liter! Das zieht sich wie so ein roter Faden ein bisschen durch dieses Jahr, dass eben immer wieder Perioden mit relativ starken Windeinflüssen kommen, die natürlich dann auch dazu beitragen, dass der Boden viel schneller austrocknet."

Es braucht punktgenaue Bewässerung

Die Prognosen der Klimaforscher gehen in die gleiche Richtung: Die Trockenheit wird zunehmen – ob im Rheingau oder anderswo in Deutschland. Doch die Lösung dieses Problems ist nicht so einfach, wie es scheint. Denn es ist nicht damit getan, von Dürre bedrohte Rebhänge ausgiebig zu bewässern.
"Im Gegensatz zu Kalifornien oder Australien, wo Sie relativ stabile Witterungslagen haben im Sommer, weil's einfach nicht regnet, müssen wir ja ein System fahren, was darauf abgestimmt ist, dass es durchaus mal in drei Tagen ein Gewitter gibt. Das heißt, man muss viel genauer steuern, weil, wenn wir zu viel Wasser bringen, einmal über die Bewässerung, aber auch drei Tage später über ein Gewitter, dann hat es negative Folgen."
Qualitätswinzer wollen keine durch üppiges Wässern aufgedunsenen Tafeltrauben ernten, sondern kleine Beeren, in denen sich der Zucker und die Aromastoffe der jeweiligen Sorte konzentrieren. Es braucht also eine wohldosierte Wassergabe, eher etwas weniger als zu viel – und das zur rechten Zeit am rechten Ort:
"Die einzige richtige Möglichkeit, die Sie haben, es wirklich punktgenau zu steuern: Sie müssen quasi die Pflanze befragen: Was ist dein Stress? Und dafür muss man früh aufstehen, weil es muss vor Sonnenaufgang gemacht werden: Messungen am Blatt, und dann gibt es einen Indikator, wo man dann auch weiß: Okay, so und so ist das Stresslevel der Rebe und jetzt muss ich reagieren oder ich muss eben nicht reagieren. Und zwar differenziert! Eben nicht: Alle kriegen was, sondern nur dort, wo wirklich dann auch Bedarf ist."
Diesen aufwendigen Ansatz in der Praxis zu etablieren sei schwierig, aber unabdingbar, sagt Rainer Schultz. In Geisenheim wurden Simulationsmodelle entwickelt, die den Wasserhaushalt einzelner Parzellen in den Weinbergen berechnen sollen. Ziel ist es, diesen Ansatz in eine App zu überführen. Winzer können so online verfolgen, wie groß der Wasserbedarf ihrer Reben in den jeweiligen Lagen wirklich ist.

Heute werden die Reben für den Wein von 2050 gepflanzt

Dann – davon ist Rainer Schultz überzeugt – wären die Winzer in Deutschland gut gerüstet für die Zukunft.
"Die Winzer reagieren ja schon. Also, wenn ich heute eine Rebe pflanze, dann ist sie mindestens mal 25 bis 30 Jahre in dem Boden, also müssen sie sich heute eigentlich schon überlegen – da kommen wir schon fast nah ran ans Jahr 2050 –, was wähle ich aus? Die große Chance, die wir haben in den nördlichen Weinbauregionen: Wir haben natürlich noch Luft nach oben. Wir können auch auf Sorten umsteigen, die aus südlichen Regionen kommen, obwohl das in dem Maße eigentlich bisher nicht erforderlich ist, weil wir sehen, dass auch Sorten wie der Riesling ganz gut damit zurechtkommen."
Das eine tun, ohne das andere zu lassen – das ist die Maxime von Stefan Seyffardt von den Hessischen Staatsweingütern. Der Riesling bleibt die Paradetraube im Rheingau. Gleichwohl ist er offen für Neues. Dazu zählen auch jene Rebstöcke, die in der Rauenthaler Lage hoch über dem Rhein oberhalb von Eltville längs zum Hang wachsen.
Der Winzer beugt sich an einem Rebstock hinab, nimmt eine kompakte Traube in die Hand und schaut sich die goldgelben Beeren genauer an. Er nickt zufrieden. Auch dieser Chardonnay reift bestens in der Sonne des Rheingaus:
"Das sind kleinbeerige Trauben, also viel, viel kleiner als die Trauben, die man im Supermarkt zum Essen kaufen kann. Sie haben eine goldgelbe Farbe, gerade in Sommern wie dieses Jahr, und vor allen Dingen das Aroma ist unvergleichlich. Das ist also nicht so zum Beispiel wie eine Tafeltraube. Weintrauben haben ein viel besseres Aroma: Pfirsich und teilweise auch tropische Früchte schmeckt man, wenn man diese Trauben probiert."
Der Chardonnay stammt aus der Champagne und ist dort wichtiger Bestandteil des berühmten Schaumweines. Auch ein hochwertiger Weißwein lässt sich daraus keltern. Die französische Edeltraube bevorzugt ein warm-trockenes Klima, und im Rheingau gedeiht diese Rebsorte daher bestens – unter einer Sonne, die manchmal einen Hauch von Kalifornien durch die Weinberge wabern lässt.

Die Erstausstrahlung der Features war am 8. September 2020.

Autor: Lutz Reidt
Sprecher und Sprecherin: Timo Weisschnur und Larissa Koch
Regie: Roman Neumann
Technik: Jan Fraune
Redaktion: Martin Mair

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