Weimarer Theaterprojekt "KULA - nach Europa"

Kein "Transit Europa" für afghanische Schauspieler?

Das Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Nationaltheater in Weimar (Thüringen)
Das Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Nationaltheater in Weimar (Thüringen) © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Henry Bernhard · 04.07.2016
Eigentlich sollten am Weimarer Theaterprojekt "KULA - nach Europa" auch afghanische Schauspieler des Ensembles "Azdar" teilnehmen. Doch das Auswärtige Amt will ohne Bürgschaften für die Kostenübernahme im Fall eines Asylantrags keine Visa erteilen.
Am 1. September ist in Weimar Premiere: "KULA – nach Europa" ist ein Theaterprojekt des Regisseurs Robert Schuster, der deutsche, französische und afghanische Schauspieler gemeinsam auf die Bühne bringen will, damit diese im Spiel nationale Traditionen und Spielweisen von einem zum nächsten Spieler weitergeben. Es geht um europäische Werte, um Diversität, um die Frage nach Bereicherung.

Das Auswärtige Amt befürchtet Asylanträge der Afghanen

Nach Weimar sollte die Produktion auch an fünf anderen kooperierenden Theatern in Deutschland, Frankreich und der Schweiz zu sehen sein. Aber die afghanischen Schauspieler des Ensembles AZDAR dürfen nicht einreisen. Das Auswärtige Amt verweigert ihnen bislang die nötigen Visa, da die Möglichkeit bestünde, dass die Afghanen nicht wieder ausreisten, zumal sie in von den Taliban bedroht werden und schon einmal in Deutschland um Hilfe gebeten haben. Christian Holtzhauer, Künstlerischer Leiter des Weimarer Kunstfests, protestiert:
"Man kann sich so ganz des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Schwierigkeiten, die wir gerade im Zusammenhang mit diesem afghanischen Ensemble erleben, so was wie die Kehrseite dieses 'Wir schaffen das!' aus dem Herbst vergangenen Jahres ist, wo wir gesagt haben, 'Nein, Deutschland macht seine Grenzen nicht dicht; Menschen, die in Not sind, können hier Zuflucht finden.' Man hat das Gefühl, das trifft im Moment nur auf ganz bestimmte Flüchtende zu. Ich finde es schwierig, wenn der internationale Kulturaustausch und die kulturelle Begegnung gerade mit Angehörigen von Kulturen, zu denen wir im Moment ein sehr ambivalentes Verhältnis haben – Stichwort Islam, Islamismus –, wenn das zur Privatsache wird und keine öffentliche Angelegenheit."

Kritik seitens des Theaters

Privatsache deshalb, weil das Auswärtige Amt Verpflichtungserklärungen für die Afghanen fordert, in denen Deutsche die Bürgschaft für alle anfallenden Kosten übernehmen, die entstünden, wenn die afghanischen Künstler einen Asylantrag stellten. Dies, obwohl die afghanischen Schauspieler Arbeitsverträge für acht Monate mit den europäischen Theatern haben. Das Deutsche Nationaltheater in Weimar kommt aus rechtlichen Gründen nicht in Frage. Holtzhauer hält weder eine individuelle noch eine institutionelle Bürgschaft eines Theaters angemessen:
"Weil wir finden, dass das Ganze, was wir hier betreiben, auch eine öffentliche Angelegenheit ist, insofern haben wir ohnehin unsere Schwierigkeiten mit diesen Verpflichtungserklärungen, die ja private Bürgschaften sind für ein Projekt, das kein privates Projekt ist. Es gibt Unterstützung von der Kulturstiftung des Bundes und vom Goetheinstitut und von weiteren Förderinstitutionen. Für uns ist das eine öffentliche Angelegenheit, und deswegen hatten wir das Gefühl, haben diese privaten Verpflichtungserklärungen da eigentlich nichts zu suchen."

"Diese Verantwortung kann nur der Staat übernehmen"

Aus dem Auswärtigen Amt heißt es nun: "Wir setzen uns weiterhin dafür ein, eine Visumerteilung zu ermöglichen." Wenn noch Visa erteilt würden, wäre das zwar für die Weimarer Premiere zu spät, der Regisseur Robert Schuster aber denkt ohnehin weiter ins nächste Jahr. Wenn das Projekt in Deutschland nicht möglich wäre, dann müsse man eben ein anderes Land finden, um sich zu treffen. Noch aber geht es ihm um die grundlegende Frage, wie Kulturaustausch jenseits des Schengen-Raums überhaupt noch stattfinden kann.
(Robert Schuster:) "Es wurde also immer sichtbarer, dass, wenn wir über Kulturaustausch in Deutschland reden aus prekären Situationen heraus, also Kriegsgebiete, Krisengebiete, dann ist das nur noch möglich, wenn man reiche russische Oligarchen findet, die dann Deutschland diesen Kulturaustausch noch bezahlen. Ich meine, wenn ich jetzt eine Verpflichtungserklärung unterschreibe, dann kann ich nicht wissen, was in acht Monaten – die wären acht Monate in Deutschland angestellt gewesen –, wenn die Situation in Afghanistan sich in acht Monaten so zuspitzt, soll ich dann sagen, 'Ich habe jetzt für dich unterschrieben; ich bitte dich jetzt, ins Kriegsgebiet zu gehen!' Also, das ist eine Verantwortung, die kann nur ein Staat übernehmen!"

"Das erinnert an die Ausreisepraxis der DDR"

Ursprünglich war geplant, dass die fünf afghanischen Schauspieler mit Familien nach Deutschland kommen, die an den Produktionen mitwirken sollten. Dieser Plan hatte sich schon vorher zerschlagen, da dem Auswärtigen Amt das Risiko eines Asylantrages dann noch größer gewesen ist. Für Christian Holtzhauer eine zynische Herangehensweise.
"Dass die Frauen und Kinder also in Afghanistan bleiben, quasi so ein bißchen als Pfand, damit die Männer doch eine Einreisegenehmigung kriegen. Wer wie wir aus dem Osten kommt, den erinnert das an die Ausreisepraxis der DDR. Ich kann mir nicht verkneifen, das zu sagen, aber es hat leider was davon."
Am 1. September wird beim Kunstfest Weimar das Stück "KULA – nach Europa" aufgeführt werden, aber wohl doch ganz anders als gedacht. Vielleicht hat das Auswärtige Amt bis dahin aber zumindest eine Entscheidung in der Visa-Frage getroffen.
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