100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Antidemokratische Stimmungsmache auf dem Land

05:28 Minuten
Historische schwarz-weiss Aufnahme des deutschen Politikers Gustav Roesicke, 1919.
Als erster Präsident des Reichslandbundes vertrat Gustav Roesicke, der für die Deutschnationale Volkspartei im Reichstag sitzt, die Interessen der Gutsbesitzer. © Getty Images / ullstein bild / Hermann Noack
Von Elke Kimmel · 01.06.2022
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In den ländlichen Gebieten hat der Reichslandbund großen Einfluss auf die politische Stimmung der Weimarer Republik. Diese Interessensvertretung preußischer Großgrundbesitzer kämpft gegen die Demokratie – auch mit antisemitischen Parolen.
Am 1. Juni 1922 berichtet die „Karlsruher Zeitung“ von einer Tagung des Landwirtschaftsrates. Hauptsächlich habe man über das Getreideumlageverfahren diskutiert, das Abgabemengen für die Landwirte im Deutschen Reich festlege.
Das soll sicherstellen, dass sich die Stadtbevölkerung zu vertretbaren Preisen mit Lebensmitteln versorgen kann. Der Reichsernährungsminister Anton Fehr stellt fest:

„Die Hauptgefahr für die Brotversorgung müsse darin gesehen werden, daß eine scharfe Getreidespekulation einsetzen werde.“

Die Getreideumlage ruft den 1921 gegründeten Reichslandbund auf den Plan. Der ist wie sein Vorgänger, der Bund der Landwirte, eine mächtige Interessenvertretung der preußischen Großgrundbesitzer.

Die Macht der preußischen Großgrundbesitzer

Diese haben schon im Ersten Weltkrieg gegen die Zwangsbewirtschaftung von landwirtschaftlichen Produkten zur Sicherstellung der Lebensmittelversorgung agitiert. Nun ist der Krieg vorbei, die Lebensmittelversorgung aber noch nicht gesichert, und der Reichslandbund kämpft dagegen, dass ein Teil der Getreideernte zu festgelegten Preisen verkauft werden soll.

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe von Deutschlandfunk Kultur in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung
Von Elke Kimmel

Gutsbesitzer Gustav Roesicke, der für die Deutschnationale Volkspartei im Reichstag sitzt, stellt für den Reichslandbund einen polemischen Vergleich an:

„(Er) erklärte das Einverständnis der Landwirtschaft mit dem Umlageverfahren für den Augenblick, wo die Arbeiter bereit wären, im Interesse der Volkswirtschaft den Achtstundentag aufzugeben.“

Der Reichslandbund hat in den ländlichen Gebieten des Reiches großen Einfluss auf die politische Stimmung. Seine Presse – allen voran die wirkungsmächtige „Deutsche Tageszeitung“ – übt Druck auf die deutsche Politik aus.

Parolen gegen die Republik

Mit vaterländischer Rhetorik werden Interessen der Großgrundbesitzer verteidigt, gepaart mit republikfeindlichen und antisemitischen Parolen. Im „Reichslandarbeiterbund“ ist 1926 zu lesen:

„Betrachten wir die Zahl der Juden in Deutschland im Verhältnis zur Einwohnerzahl, so muß man sich wundern, welche Sonderstellung, ja sogar bevorzugte Stellung dies auserwählte Volk einnimmt. (…)

Wodurch erlangten die Juden nun diesen Einfluß? In erster Linie durch das Geld, welches sie dem Volke durch Zinswucher und dergl. entzogen hatten. Dieses Geld, in den Banken aufgestapelt, war der Schlüssel, der ihnen so manche Tür öffnete. Dann nicht zuletzt durch die Presse. (…)

Mit Hilfe dieser Presse wurde nun das deutsche Volk bearbeitet. Wurde der Arbeiter gegen den Unternehmer ausgespielt und der Klassenkampf geschürt. Führer in dieser klassenkämpferischen Arbeiterbewegung war wieder der Jude.“

Gegen den Klassenkampf beschwört der Reichslandbund die konfliktfreie Dorfgemeinschaft, in der es keine widerstrebenden Interessen gebe. Die ländliche Gesellschaft sei Grundlage eines ebenfalls harmonischen Staatsgefüges, das die Landwirtschaft anstrebe.
Diesem vormodernen Weltbild widerspricht die Demokratie, die auf gleichen Rechten für alle beruht und die Welt nicht in Stände einteilt, in denen die einen herrschen und die anderen der Herrschaft zu dienen haben.

Antisemitische Propaganda

In der Propaganda des Reichslandbundes kann eine Staatsführung nicht einfach Leuten überlassen werden, die vom Volk in ein Amt gewählt werden.

„Dazu bedarf es ererbten Staats- und Führungsgefühls, dazu bedarf es einer durch die Jahrhunderte gepflegten Tradition. Beides ist uns in die Wiege gelegt, von beiden machen wir größtenteils keinen Gebrauch, weil unsere Pflicht-, weil unser Verantwortungsgefühl gegen die Allgemeinheit durch die entsetzlichen, jüdisch-nationalistischen Strömungen der Zeit aus den Angeln gehoben ist. Wir stehen am Abgrund.“

Das steht in einem Aufruf des Landbundes in Mecklenburg 1926. Die Verantwortung für die „katastrophale“ Lage liege – in der Logik des Reichslandbundes – bei „den“ Juden. Die Zentrale aller deutschfeindlichen Kräfte sei Berlin, das der Landbund als „Neues Jerusalem“ bezeichnet.

Dort befinde sich…

"… der Sitz der jüdisch dominierten Produkten- und Devisenbörsen, der Nahrungsmittelkonzerne und der Großmühlen, der jüdischen Presse, der Parlamente, Parteien, Gewerkschaften (…) und (das) Zentrum der in Judenhand befindlichen Großbanken."

Mit diesen antidemokratischen und antisemitischen Stereotypen arbeitet der Reichslandbund von Anfang an gegen die Republik und beeinflusst die Stimmung auf dem Lande.

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