"Weil wir 'ne Heimat brauchen"

30.03.2013
Thomas Oberender arbeitet als Dramaturg, Stückeschreiber, Autor und Kritiker. Seit einem Jahr ist er Intendant der Berliner Festspiele. Sein kulturelles Schlüsselerlebnis fand allerdings nicht im Theater, sondern im elterlichen Wohnzimmer statt.
"Was Kultur ist? Kultur ist alles. Kultur ist so 'ne Begriffsnutte, weil sie muss für alles herhalten, die Kultur."

Musik: Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, ich bin doch zu schade für einen allein. Ja soll etwas so Schönes nur einem gehören?

"Kultur ist ja alles, man kann die Frage gar nicht stellen. Das ist so wie ,Wozu Luft?' - man entkommt der Kultur nicht, weil alles Kultur ist, von der Körperpflege bis zur Form der Kleidung.

Und wozu Kultur? – Die Antwort ist. Weil wir 'ne Heimat brauchen, weil der Mensch irgend 'ne Form von Bindung sucht. Und Bindungen werden durch Kultur hergestellt, Bindungen an Räume, an Zeiten, an ein Verständnis von Gegenwart, das aus Geschichte kommt.

Ich kann mich daran erinnern, wie ich vermutlich als zwölfjähriger Schüler in dieser herrlichen Morgenspanne, wo die Eltern schon aus dem Haus sind und man selber noch nicht in der Schule, an einem dunklen Wintertag, die Stereoanlage meines Vaters anschaltete und da lief Pink Floyd.

Das war im Radio, das war im West-Radio. Das war in Jena. Und das war für mich etwas, da hat's Bumm gemacht.

Dass das Musik sein kann, hab' ich noch nie gehört. Und das hat mich so beschäftigt. Ich hab' da selber noch nie drüber nachgedacht, aber jetzt, wenn ich gefragt werde, würde ich sagen: Ja, da hab' ich gemerkt, ja es gibt etwas, das ist anders als die Realität, in der ich lebe. Und das ist noch mal wie 'ne zweite Landschaft, in die man rübergehen kann und wo andere Gesetze gelten, 'ne andere Form von Schönheit ist, wo Abenteuer ist – das hat mir gefallen. Ich hab' die Schule verpasst darüber, weil ich einfach weiter gehört hab', bis das Lied vorbei war.

Ich hab' gemerkt, das bin ich. Kultur. Darin erkennt man was und sagt: 'Der sagt, wie ich bin.' Also Kultur nimmt einem etwas ab. Das ist immer das treffendere Ich, was einem zur Verfügung gestellt wird durch die Hervorbringungen anderer, die so durch die Zeit auf einen zukommen."