"Weil Mythen natürlich auch sehr viel leichter erzählt als widerlegt sind"
Auch wenn seit Jahrzehnten klar sei, dass der Wehmachtsoldat Josef Schulz 1941 nicht wegen Befehlsverweigerung erschossen wurde, halte sich sein Mythos in Serbien bis heute, erzählt der Journalist Michael Martens: Legenden seien eben oft viel attraktiver, als die trockene und komplizierte Wahrheit.
Katrin Heise: Michael Martens hat ein Buch über die Frage geschrieben, wie politische Legenden entstehen und was sie bewirken. Ausgangspunkt ist eine Partisanenerschießung im von der Wehrmacht besetzten Serbien am 20. Juli 1941. Die Deutschen haben schon angelegt, da wirft ein Soldat sein Gewehr fort und sagt: Ich schieße nicht! Die Männer sind unschuldig! Auf Befehl eines Offiziers wird er daraufhin gemeinsam mit dem Partisanen erschossen. So wird der deutsche Befehlsverweigerer Josef Schulz in Jugoslawien ein Volksheld, der gute Deutsche, der Feind mit dem menschlichen Antlitz. Man widmet ihm Gedichte, Filme, seine Tat wird Schulstoff und es gibt auch ein Denkmal.
Als Michael Martens, der sieben Jahre lang für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in Belgrad Korrespondent war, eines Tages dieses Denkmal gezeigt bekommt, wird er stutzig über die geschilderten Umstände. Er begibt sich auf eine detailreiche Spurensuche um die Frage: Wer war denn dieser Soldat Josef Schulz? Und hat es das Ereignis tatsächlich so gegeben? Sein daraus entstandenes Buch liest sich fast wie eine Detektivgeschichte. Ich grüße sie, Herr Martens!
Michael Martens: Guten Tag!
Heise: Das Ganze hat Sie ja über vier Jahre begleitet, mal intensiver und mal weniger intensiv, sie haben zahlreiche Menschen befragt, sind immer tiefer eingestiegen. Warum war Ihnen das eigentlich so wichtig, rauszubekommen, ob es gerade diesen guten Deutschen gegeben hat?
Martens: Weil ich am Anfang der Geschichte, als ich erstmals davon hörte, meinte, auf eine historische Sensation gestoßen zu sein. Denn wenn die Geschichte des deutschen Befehlsverweigerers Josef Schulz, so, wie sie in Serbien erzählt wird, und so, wie man sich bis heute dort an sie erinnert, gestimmt hätte, dann hätte ja die Galerie des deutschen Widerstands gegen Hitler um eine wichtige und interessante Figur erweitert werden müssen. Nämlich um diesen Josef Schulz.
Heise: Sie sind dann im Laufe der ganzen Befragung, die sie gemacht haben – Sie haben sich die Örtlichkeiten immer wieder angeguckt –, darauf gestoßen, dass diese Erschießung des Josef Schulz aus verschiedenen Gründen so nicht stattgefunden hat?
Martens: Das ist richtig, es war ein langwieriger Prozess der Recherche, wo dann irgendwann deutlich und schließlich immer deutlicher wurde, dass die Geschichte sich so, wie sie erzählt wird, nicht abgespielt haben kann?
Heise: Wie trug sie sich zu?
Martens: Es gab tatsächlich einen in Serbien stationierten Wehrmachtssoldaten namens Josef Schulz, geboren 1909 in Dortmund, und dieser Josef Schulz ist auch tatsächlich in Serbien erschossen worden, aber nicht bei der Partisanenerschießung, wo er angeblich ums Leben kam, sondern einen Tag vorher in einem ganz normalen – soweit man das sagen kann – Gefecht mit Partisanen, da ist er einfach erschossen worden.
Und das lässt sich mit vielerlei Belegen beweisen. Der wichtigste und unumstößlichste ist sicherlich, dass die Todesmeldung des Gefreiten Schulz in Deutschland in Berlin von einem Tag vor seiner angeblichen Erschießung zusammen mit den jugoslawischen Partisanen einging.
Heise: Trotzdem konnte sich die Legende ja halten. Sie sagen ja, man erzählt sie sich eigentlich heute noch. Wie konnte sie sich so verselbstständigen? Denn es war ja jetzt nicht eine Person, die sie in Umlauf gebracht hat, sondern – man kann das in Ihrem Buch nachlesen – die unterschiedlichsten Akteure waren beteiligt!
Martens: Nun bin ich vor die schwierige Aufgabe gestellt, ein 400-Seiten-Buch in wenigen Sätzen zusammenzufassen, denn just darum geht es ja in dem Buch, um die Frage: Nachdem das also nicht stimmt, wieso ist das dann so wirkungsmächtig, wieso glaubt man bis heute daran, wieso gibt es in Serbien Filme dafür, wieso war das Schulstoff, wieso gibt es Gedichte darüber, wieso sind Straßen nach Josef Schulz benannt worden? Und die Erklärung, um es jetzt ganz grob zu sagen, ist eine Mischung aus vielen Faktoren: Zum einen hat sicherlich geholfen, dass sehr viele Menschen an diese Geschichte vom guten Deutschen glauben wollten, weil diese Geschichte das Geschehene damals – denn die Erschießung von Partisanen hat es natürlich tatsächlich gegeben – es lässt sich dadurch etwas leichter verarbeiten. Und hinzu kommt ein Konglomerat an Faktoren.
Es waren zum Teil Journalisten, die ungenau gearbeitet haben, und die das, was so vom Hörensagen kolportiert wurde, in Reportagen und Analysen aufgenommen haben, und dass es dann quasi mit den höheren Weihen eines angeblich gut recherchierten journalistischen Berichtes ausgestattet wurde. Dann kam ein Politiker hinzu, ein Hinterbänkler der SPD, der sich damit ein wenig großtun wollte, obwohl er in Wirklichkeit auch selber nur sehr schlampig recherchiert hatte.
Dann gab es Fotos der Partisanenerschießung, und auf einem dieser Fotos ist ein deutscher Soldat – jedenfalls ein Mann in deutscher Uniform – zu sehen, der etwas näher an den zu Erschießenden steht. Und aus diesem Foto – aus dem streng genommen überhaupt nichts ersichtlich ist – wurde auch diese Legende konstruiert. Und so gab es verschiedene Teilnehmer, die sozusagen diese Legende beflügelt haben.
Heise: Sie haben im Zuge Ihrer Recherche ja ganz unterschiedliche Leute getroffen, vom einfachen Bauern, von einer ganz einsamen, kranken Dichterin bis hin zu Stadträten oder Museumsdirektoren – irgendwie scheint ja auch jeder was dort in Serbien mit dem Namen Schulz anfangen zu können. Welche Bedeutung hat dieser deutsche Soldat für die Menschen?
Martens: Der Höhepunkt der Schulz-Manie sozusagen, der war wohl in den 60er-, 70er-Jahren. Man kennt ihn bis heute, vielleicht nicht die jüngere Generation, aber ältere. Und ich glaube, die Bedeutung von Schulz ist auch wiederum – etwas vereinfacht gesagt – zweierlei. Zum einen müssen natürlich geschichtliche Ereignisse immer auch an Personen aufgehängt werden, um erzählbar zu bleiben. Es ging also den Leuten darum, der Geschichte ein Gesicht zu geben. Und in diesem Fall ist es ja auch nicht so, dass durch die Geschichte des guten Deutschen die Untaten, die dort von der Wehrmacht begangen worden, relativiert würden, sondern im Gegenteil: Das Schreckliche gewinnt eigentlich noch mehr an Kontur dadurch ...
Heise: ... dass sich einer widersetzt hat!
Martens: Genau – den Fall eines sieht, der nein gesagt hat.
Heise: Der Journalist Michael Martens im Deutschlandradio Kultur. Er begab sich auf Heldensuche und stieß auf einen Mythos. Herr Martens, in Deutschland wird Schulz ja eigentlich nicht als Held verehrt, man weiß eigentlich kaum was von ihm, obwohl einmal die Illustrierte "Quick" nach Zeugen gesucht hat, dieses Vorfalls. Sie haben den SPD-Politiker erwähnt, das militärhistorische Forschungsamt in Freiburg hat recherchiert, und auch die Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg hat sich eingehend mit dem Fall beschäftigt. Was hätte es eigentlich bedeutet, wenn die Geschichte so gestimmt hätte?
Martens: Das war ja eigentlich das Interessanteste an diesem Fall Schulz. Und das war der Grund, warum die von Ihnen erwähnte Zentrale Stelle in Ludwigsburg ... als die in den 60er-Jahren durch Reportagen deutschen Illustrierten von dem Fall erfuhren – und damals glaubten die, der Fall sei wahr –, haben die, kann man fast sagen, Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, was damals wirklich geschah.
Das hatte einen ganz einfachen Grund: Wenn der Fall Josef Schulz tatsächlich sich abgespielt hätte, dann wäre der sogenannte Befehlsnotstand, also die Behauptung, ein deutscher Soldat oder SS-Mann, oder wie auch immer, hätte ein Verbrechen begehen müssen, weil er sonst seines eigenen Lebens nicht mehr sicher gewesen wäre, dann hätte also diese Erzählung vom Befehlsnotstand einen Beweis gehabt. Und dann wäre es sehr schwierig gewesen, in Deutschland überhaupt noch NS-Verbrechen zu führen, weil sich eben jeder auf den Befehlsnotstand hätte berufen können unter Beweis auf den Fall Schulz in Jugoslawien.
In Wirklichkeit wissen wir, dass bis heute – das hat auch im Jahr 95 die Wehrmachtsausstellung, auch die überarbeitete zweite nachweisen können –, dass bis heute kein einziger Fall belegt ist, in dem ein deutscher Soldat für die Weigerung, an einer Erschießung teilzunehmen, selbst erschossen worden wäre. Man kann vielleicht nicht sagen, es gab es nicht, aber es ist sehr unwahrscheinlich, denn es gibt keinen einzigen belegten Fall dazu.
Heise: Man kann sich vorstellen, warum man in Deutschland den Mythos vom guten Deutschen gerne aufrecht erhält. Sie haben versucht, zu erklären, warum auch in Serbien im ehemaligen Jugoslawien, warum auch dort diese Legende immer weiter fortlebt, eben um das Grauen eigentlich zu personalisieren, und da überhaupt erzählbar, erfahrbar zu machen. Kann man das verallgemeinern, sind Mythen auch aus diesem Grund mächtiger als die Wahrheit?
Martens: Ich habe das Gefühl, dass es sehr oft so ist, weil Mythen natürlich auch sehr viel leichter erzählt als widerlegt sind. Im Fall des sogenannten guten Soldaten Schulz war es so, dass schon in den 70er-Jahren eine Studie des Freiburger Militärarchivs klipp und klar nachgewiesen hat, dass dieser Fall sich so nicht ereignet haben kann, eben unter anderem unter Verweis auf das Todesdokument, das einen Tag früher schon in Berlin einging, also vor der angeblichen Erschießung von Josef Schulz.
Nur ist das Erstaunliche, dass dieser Beleg eigentlich nie wirklich zur Kenntnis genommen wurde, obwohl er durchaus auch Redaktionen zugeschickt wurde, obwohl durchaus auch die Zentrale Stelle immer wieder versucht hat, aufmerksam zu machen darauf, dass das nicht stimmt. Aber das wollten die Leute eigentlich gar nicht so gerne glauben. Denn die Geschichte, so, wie sie in der Legende vorkommt, ist natürlich viel attraktiver, als die trockene, etwas komplizierte und verästelte Wahrheit in diesem Fall, und ich vermute, dass das in sehr vielen Fällen so ist.
Heise: Spannende Legenden oder Mythen von guten Menschen sind ja doch sehr haltbar. Michael Martens, Journalist und Autor des Buches "Heldensuche". Danke schön für dieses Gespräch, Herr Martens!
Martens: Vielen Dank auch Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Service: "Heldensuche: Die Geschichte des Soldaten, der nicht töten wollte" von Michael Martens ist im Paul Zsolnay Verlag erschienen.
Als Michael Martens, der sieben Jahre lang für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in Belgrad Korrespondent war, eines Tages dieses Denkmal gezeigt bekommt, wird er stutzig über die geschilderten Umstände. Er begibt sich auf eine detailreiche Spurensuche um die Frage: Wer war denn dieser Soldat Josef Schulz? Und hat es das Ereignis tatsächlich so gegeben? Sein daraus entstandenes Buch liest sich fast wie eine Detektivgeschichte. Ich grüße sie, Herr Martens!
Michael Martens: Guten Tag!
Heise: Das Ganze hat Sie ja über vier Jahre begleitet, mal intensiver und mal weniger intensiv, sie haben zahlreiche Menschen befragt, sind immer tiefer eingestiegen. Warum war Ihnen das eigentlich so wichtig, rauszubekommen, ob es gerade diesen guten Deutschen gegeben hat?
Martens: Weil ich am Anfang der Geschichte, als ich erstmals davon hörte, meinte, auf eine historische Sensation gestoßen zu sein. Denn wenn die Geschichte des deutschen Befehlsverweigerers Josef Schulz, so, wie sie in Serbien erzählt wird, und so, wie man sich bis heute dort an sie erinnert, gestimmt hätte, dann hätte ja die Galerie des deutschen Widerstands gegen Hitler um eine wichtige und interessante Figur erweitert werden müssen. Nämlich um diesen Josef Schulz.
Heise: Sie sind dann im Laufe der ganzen Befragung, die sie gemacht haben – Sie haben sich die Örtlichkeiten immer wieder angeguckt –, darauf gestoßen, dass diese Erschießung des Josef Schulz aus verschiedenen Gründen so nicht stattgefunden hat?
Martens: Das ist richtig, es war ein langwieriger Prozess der Recherche, wo dann irgendwann deutlich und schließlich immer deutlicher wurde, dass die Geschichte sich so, wie sie erzählt wird, nicht abgespielt haben kann?
Heise: Wie trug sie sich zu?
Martens: Es gab tatsächlich einen in Serbien stationierten Wehrmachtssoldaten namens Josef Schulz, geboren 1909 in Dortmund, und dieser Josef Schulz ist auch tatsächlich in Serbien erschossen worden, aber nicht bei der Partisanenerschießung, wo er angeblich ums Leben kam, sondern einen Tag vorher in einem ganz normalen – soweit man das sagen kann – Gefecht mit Partisanen, da ist er einfach erschossen worden.
Und das lässt sich mit vielerlei Belegen beweisen. Der wichtigste und unumstößlichste ist sicherlich, dass die Todesmeldung des Gefreiten Schulz in Deutschland in Berlin von einem Tag vor seiner angeblichen Erschießung zusammen mit den jugoslawischen Partisanen einging.
Heise: Trotzdem konnte sich die Legende ja halten. Sie sagen ja, man erzählt sie sich eigentlich heute noch. Wie konnte sie sich so verselbstständigen? Denn es war ja jetzt nicht eine Person, die sie in Umlauf gebracht hat, sondern – man kann das in Ihrem Buch nachlesen – die unterschiedlichsten Akteure waren beteiligt!
Martens: Nun bin ich vor die schwierige Aufgabe gestellt, ein 400-Seiten-Buch in wenigen Sätzen zusammenzufassen, denn just darum geht es ja in dem Buch, um die Frage: Nachdem das also nicht stimmt, wieso ist das dann so wirkungsmächtig, wieso glaubt man bis heute daran, wieso gibt es in Serbien Filme dafür, wieso war das Schulstoff, wieso gibt es Gedichte darüber, wieso sind Straßen nach Josef Schulz benannt worden? Und die Erklärung, um es jetzt ganz grob zu sagen, ist eine Mischung aus vielen Faktoren: Zum einen hat sicherlich geholfen, dass sehr viele Menschen an diese Geschichte vom guten Deutschen glauben wollten, weil diese Geschichte das Geschehene damals – denn die Erschießung von Partisanen hat es natürlich tatsächlich gegeben – es lässt sich dadurch etwas leichter verarbeiten. Und hinzu kommt ein Konglomerat an Faktoren.
Es waren zum Teil Journalisten, die ungenau gearbeitet haben, und die das, was so vom Hörensagen kolportiert wurde, in Reportagen und Analysen aufgenommen haben, und dass es dann quasi mit den höheren Weihen eines angeblich gut recherchierten journalistischen Berichtes ausgestattet wurde. Dann kam ein Politiker hinzu, ein Hinterbänkler der SPD, der sich damit ein wenig großtun wollte, obwohl er in Wirklichkeit auch selber nur sehr schlampig recherchiert hatte.
Dann gab es Fotos der Partisanenerschießung, und auf einem dieser Fotos ist ein deutscher Soldat – jedenfalls ein Mann in deutscher Uniform – zu sehen, der etwas näher an den zu Erschießenden steht. Und aus diesem Foto – aus dem streng genommen überhaupt nichts ersichtlich ist – wurde auch diese Legende konstruiert. Und so gab es verschiedene Teilnehmer, die sozusagen diese Legende beflügelt haben.
Heise: Sie haben im Zuge Ihrer Recherche ja ganz unterschiedliche Leute getroffen, vom einfachen Bauern, von einer ganz einsamen, kranken Dichterin bis hin zu Stadträten oder Museumsdirektoren – irgendwie scheint ja auch jeder was dort in Serbien mit dem Namen Schulz anfangen zu können. Welche Bedeutung hat dieser deutsche Soldat für die Menschen?
Martens: Der Höhepunkt der Schulz-Manie sozusagen, der war wohl in den 60er-, 70er-Jahren. Man kennt ihn bis heute, vielleicht nicht die jüngere Generation, aber ältere. Und ich glaube, die Bedeutung von Schulz ist auch wiederum – etwas vereinfacht gesagt – zweierlei. Zum einen müssen natürlich geschichtliche Ereignisse immer auch an Personen aufgehängt werden, um erzählbar zu bleiben. Es ging also den Leuten darum, der Geschichte ein Gesicht zu geben. Und in diesem Fall ist es ja auch nicht so, dass durch die Geschichte des guten Deutschen die Untaten, die dort von der Wehrmacht begangen worden, relativiert würden, sondern im Gegenteil: Das Schreckliche gewinnt eigentlich noch mehr an Kontur dadurch ...
Heise: ... dass sich einer widersetzt hat!
Martens: Genau – den Fall eines sieht, der nein gesagt hat.
Heise: Der Journalist Michael Martens im Deutschlandradio Kultur. Er begab sich auf Heldensuche und stieß auf einen Mythos. Herr Martens, in Deutschland wird Schulz ja eigentlich nicht als Held verehrt, man weiß eigentlich kaum was von ihm, obwohl einmal die Illustrierte "Quick" nach Zeugen gesucht hat, dieses Vorfalls. Sie haben den SPD-Politiker erwähnt, das militärhistorische Forschungsamt in Freiburg hat recherchiert, und auch die Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg hat sich eingehend mit dem Fall beschäftigt. Was hätte es eigentlich bedeutet, wenn die Geschichte so gestimmt hätte?
Martens: Das war ja eigentlich das Interessanteste an diesem Fall Schulz. Und das war der Grund, warum die von Ihnen erwähnte Zentrale Stelle in Ludwigsburg ... als die in den 60er-Jahren durch Reportagen deutschen Illustrierten von dem Fall erfuhren – und damals glaubten die, der Fall sei wahr –, haben die, kann man fast sagen, Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, was damals wirklich geschah.
Das hatte einen ganz einfachen Grund: Wenn der Fall Josef Schulz tatsächlich sich abgespielt hätte, dann wäre der sogenannte Befehlsnotstand, also die Behauptung, ein deutscher Soldat oder SS-Mann, oder wie auch immer, hätte ein Verbrechen begehen müssen, weil er sonst seines eigenen Lebens nicht mehr sicher gewesen wäre, dann hätte also diese Erzählung vom Befehlsnotstand einen Beweis gehabt. Und dann wäre es sehr schwierig gewesen, in Deutschland überhaupt noch NS-Verbrechen zu führen, weil sich eben jeder auf den Befehlsnotstand hätte berufen können unter Beweis auf den Fall Schulz in Jugoslawien.
In Wirklichkeit wissen wir, dass bis heute – das hat auch im Jahr 95 die Wehrmachtsausstellung, auch die überarbeitete zweite nachweisen können –, dass bis heute kein einziger Fall belegt ist, in dem ein deutscher Soldat für die Weigerung, an einer Erschießung teilzunehmen, selbst erschossen worden wäre. Man kann vielleicht nicht sagen, es gab es nicht, aber es ist sehr unwahrscheinlich, denn es gibt keinen einzigen belegten Fall dazu.
Heise: Man kann sich vorstellen, warum man in Deutschland den Mythos vom guten Deutschen gerne aufrecht erhält. Sie haben versucht, zu erklären, warum auch in Serbien im ehemaligen Jugoslawien, warum auch dort diese Legende immer weiter fortlebt, eben um das Grauen eigentlich zu personalisieren, und da überhaupt erzählbar, erfahrbar zu machen. Kann man das verallgemeinern, sind Mythen auch aus diesem Grund mächtiger als die Wahrheit?
Martens: Ich habe das Gefühl, dass es sehr oft so ist, weil Mythen natürlich auch sehr viel leichter erzählt als widerlegt sind. Im Fall des sogenannten guten Soldaten Schulz war es so, dass schon in den 70er-Jahren eine Studie des Freiburger Militärarchivs klipp und klar nachgewiesen hat, dass dieser Fall sich so nicht ereignet haben kann, eben unter anderem unter Verweis auf das Todesdokument, das einen Tag früher schon in Berlin einging, also vor der angeblichen Erschießung von Josef Schulz.
Nur ist das Erstaunliche, dass dieser Beleg eigentlich nie wirklich zur Kenntnis genommen wurde, obwohl er durchaus auch Redaktionen zugeschickt wurde, obwohl durchaus auch die Zentrale Stelle immer wieder versucht hat, aufmerksam zu machen darauf, dass das nicht stimmt. Aber das wollten die Leute eigentlich gar nicht so gerne glauben. Denn die Geschichte, so, wie sie in der Legende vorkommt, ist natürlich viel attraktiver, als die trockene, etwas komplizierte und verästelte Wahrheit in diesem Fall, und ich vermute, dass das in sehr vielen Fällen so ist.
Heise: Spannende Legenden oder Mythen von guten Menschen sind ja doch sehr haltbar. Michael Martens, Journalist und Autor des Buches "Heldensuche". Danke schön für dieses Gespräch, Herr Martens!
Martens: Vielen Dank auch Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Service: "Heldensuche: Die Geschichte des Soldaten, der nicht töten wollte" von Michael Martens ist im Paul Zsolnay Verlag erschienen.