Weihnachten: Zeit für saure Gurken

Von Udo Pollmer · 19.12.2010
Zu viel Zucker, zu viel Fett, zu viel Alkohol - in der Weihnachtszeit erheben viele Ernährungsfachleute mahnend ihre Finger. Sie warnen die potenziellen Esssünder vor Völlerei und Unterkühlung.
Alle Jahre wieder kommen pünktlich zu Weihnachten die Warnungen der Experten. Erinnern Sie sich noch an das Acrylamid in Lebkuchen? Oder an das Cumarin in Zimtplätzchen, nicht zu vergessen den Alkohol im Punsch? Gefahren lauern an jeder Bude: Der NDR entdeckte an Glühweinständen sogar Keime auf den Mehrweg-Tassen. Im letzten Jahr wurden die Besucher von Weihnachtsmärkten sogar noch vor einer typischen Schweinekrankheit gewarnt: der Schweinegrippe.

Wer glaubt, dies ließe sich nicht mehr toppen, der hat nicht mit den Ernährungsexperten gerechnet: Die Weihnachtszeit sei zwar wundervoll, so lese ich, aber "leider ist dies auch die Zeit vieler süßer Naschereien, Plätzchen, Lebkuchen und ... Weihnachtsessen". Wie schrecklich – zum Glück gibt’s Experten, die uns vor den größten Gefahren beschützen, die im Dunkel der Adventsnächte lauern.

Ein Beispiel gefällig? Wie wär's mit einem "Kalorien-Rundgang" über dem Weihnachtsmarkt? Eine Ernährungswissenschaftlerin verriet einer Tageszeitung, dass Backfisch kalorienmäßig "ganz übel" ist? Mit ihren Röntgenaugen hat die Expertin sofort den Fettgehalt der Fischmahlzeit auf dem Weihnachtsmarkt in Oberhausen ermittelt: Präzise 30 Gramm. Eine Gewürzgurke sei da schon besser, so der gute Tipp der Expertin. Ihre Kolleginnen warnen hingegen vor Süßem. Fisch sei da schon besser: Vor allem der fette Fisch würde nämlich obergesunde Omega-Sonstwas-Fettsäuren enthalten. Mit soviel Gesundheit kann die saure Gurke aus Oberhausen natürlich nicht mehr mithalten.

Krankenkassen, Verbraucherzentralen und Gesundheitsmedien bieten hier ein Stelldichein des absurden Theaters. Titel des Dramas "Kalorienfalle Weihnachtsmarkt". Damit niemand in diese Falle tappt, mangelt es im Advent nicht an präzisen Nährwertangaben - manchmal bis in den Milligramm-Bereich genau. Zwar ist ohne chemische Analyse eine halbwegs vertrauenswürdige Aussage unmöglich. Aber darum geht es offenbar gar nicht. Egal was Sie essen und trinken, es ist immer das Falsche.

Zucker und Alkohol sind bekanntlich "ungesund" – beide liefern Kalorien. Die Verbraucherzentrale Sachsen warnt nun ausdrücklich vor dem Konsum von Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Denn der heiße, süße, alkoholhaltige Glühwein bewirke, ich zitiere, "Lücken in der Energieversorgung des Körpers". Das führe dazu, dass der Trinker stärker friere. Und was sollte er denn essen oder trinken, wenn er friert, wenn er unter Energiemangel leidet? Nein, ja keinen Backfisch mit Remoulade, auch keinen zweiten Becher Glühwein! Die Experten der Verbraucherzentrale Sachsen empfehlen ein Glas heißer Zitrone. Deshalb an dieser Stelle ein kleiner Tipp nach Leipzig: Zucker ist Hirnnahrung – nicht heißes Wasser - sonst gibt’s noch Lücken in der Energieversorgung des Oberstübchens.

Dabei sollen wir den Weihnachtsmarkt auch wirklich genießen – lese ich in den einschlägigen Fachbeiträgen - solange wir nicht in Versuchung geraten. Die vorweihnachtlichen Genüsse sind leider nur fürs Auge. Bitte nichts anfassen! Das Magazin Stern ermahnt die Leser auf seiner Homepage eindringlich, am Glühweinstand das Busengrapschen zu unterlassen; wer weiß, auch wegen der kalten Finger – Sie wissen schon durch den Alkohol im sächsischen Glühwein ...

Wer trotz der guten Tipps den Verlockungen nicht widerstehen kann, dem rät die Fachwelt, das Objekt der Begierde mit Anderen zu teilen. Wer die Rumkugeln oder süßen Mandeln auch seiner Begleitung anböte, der würde dadurch seine eigene Kalorienbilanz entlasten. Also Vorsicht, wenn Sie jemand füttern will. Revanchieren Sie sich umgehend mit anderen Leckereien. Dann kann nichts mehr schiefgehen. Denn gemeinsamer Genuss ist nicht nur an Weihnachten doppelter Genuss. In diesem Sinne Frohes Fest und Mahlzeit!

Literatur:
Ein kleiner Streifzug durch die einschlägigen Beiträge von Presse, Funk & Fernsehen sowie von Verbraucherzentralen und Krankenkassen. Alle genannten Beiträge waren im Dezember 2010 im Internet verfügbar. Hier eine (fast) beliebige Auswahl:
Ide V: Ekelerreger am Glühweinstand. NDR Fernsehen.
Bonneau E: Kein Busengrabschen am Glühweinstand. Stern-Online.
Jakob S: Mit der Ernährungsberaterin über den Weihnachtsmarkt. Mainzer Rhein-Zeitung.
Micke A: Kalorien-Rundgang über Oberhausens Weihnachtsmarkt. Der Westen.
Müller SD, Köster A: Gefährlicher Glühwein: Schweinegrippe bedroht.
Land T: Kalorienarm über den Weihnachtsmarkt. SWR4.
DAK: Weihnachtsmarkt: Kleine Sünden im Test.
Luther J: Frierend auf dem Weihnachtsmarkt. Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Sachsen.
Anon: Kalorienfalle Weihnachtsmarkt. Freundin.