Weihnachten

Wenn Muslime ein Christenfest feiern

Vier rote Kerzen schmücken einen Adventskranz.
Adventskranz zu Weihnachten © picture alliance / dpa / Monika Skolimowska
Von Hatice Akyün · 23.12.2015
Für den Verrückten sei jeder Tag ein Fest, zitiert die Berliner Schriftstellerin Hatice Akyün ihren Vater, der als Muslim mit Familie und Nachbarn Weihnachten feiert. Ein Christenfest, das ihren Eltern im Grunde nur wenig bedeutet.
Mein Koffer ist gepackt, die Reisetasche gefüllt, jetzt noch den Rucksack, die größte Handtasche und drei volle Jutebeutel mit der Reiseverpflegung. Ich schließe mich der Karawane derer an, die über Weihnachten die Stadt verlassen. Eine Woche werde ich in meine türkische Parallelwelt abtauchen. Ich fahre an den Feiertagen dorthin zurück, von wo ich einst aufgebrochen bin.
Aber keine Sorge, ich tauche zwar in meine muslimische Parallelwelt ab, aber so ganz und gar weihnachtsfrei ist die leider auch nicht mehr. Weihnachten hat uns Muslime schon längst erfasst, auch wenn dieses Fest ja nicht so ganz unseres ist. Aber das passiert eben, wenn Politiker ständig "Integration" und "Leitkultur" schreien.
Weihnachtstrauma eines Gastarbeiterkindes
Zum Glück machen sich meine Eltern so rein gar nichts aus Weihnachten. Manchmal beneide ich sie ein wenig darum. Mein Weihnachtstrauma fing bei mir schon sehr früh an. Als Kind von türkischen Gastarbeitern musste ich erst jahrelang darauf verzichten und als ich es dann endlich haben konnte, hatte ich eine millimetergenaue Vorstellung davon, wie Weihnachten sein musste.
Meine Geschwister und ich können es nicht lassen, jedes Jahr aufs Neue Weihnachtsrituale in unser Multikulti-Leben einzubauen. Vor einigen Jahren fing es ganz harmlos an, mit kleinen Geschenken für die Neffen und Nichten. Aus einem bisher nicht näher bekannten Grund wuchsen diese Geschenke jedes Jahr um das Doppelte an, wobei die Anzahl der Beschenkten ebenfalls merklich zunahm.
Neujahrsgeschenke zu Heiligabend
Und ich meine, dass es meine drittjüngste Schwester war, die urplötzlich mit der Idee ankam, dass es doch auch schön wäre, unseren Eltern etwas zu schenken. Mein Einwand, dass wir gläubige muslimische Eltern hätten, wurde nicht nur weggebügelt, ich wurde zudem noch mit monatelanger Missachtung bestraft, als hätte ich vorgeschlagen, unsere Eltern ins Altenheim zu bringen.
Wir dürften die Geschenke nicht als Weihnachtsgeschenke bezeichnen, so der geniale Einfall meiner Geschwister. So wurden aus den Weihnachtsgeschenken für meine Eltern Neujahrsgeschenke unter Muslimen, die aber trotzdem, weil es alle anderen in der Nachbarschaft auch so machten, am 24. Dezember übergeben wurden.
Und weil mittlerweile auch in der Türkei überall Weihnachtsschmuck hängt und die Tannenbäume schon längst dazu gehören, ja und weil meine Eltern auch an Weihnachten viel Besuch von den deutschen Nachbarn bekommen, und mein Vater großen Wert auf Gastlichkeit legt, gibt es bei den Akyüns nun auch einen Weihnachtsbaum mit allem Pipapo.
Tannenbaum, Gans und Weihnachtslieder
Um es noch einmal verständlich für Sie zusammenzufassen: Meine muslimische Familie feiert Weihnachten mit Neujahrsgeschenken zu Heiligabend, mit einer koscheren Weihnachtsgans vom türkischen Metzger, einem Weihnachtsbaum, der für die Nachbarskinder aufgestellt wird, mit Kerzen daran, weil es so viel schöner leuchtet und mit Weihnachtsliedern, die meine Nichten, Neffen und meine Tochter meinem Vater vortragen, um zu zeigen, was sie im Kindergarten gelernt haben.
Aber eigentlich feiern wir gar kein Weihnachten, wirklich nicht, wir machen uns überhaupt nichts daraus. Als ich meinen Vater letztes Weihnachten darauf aufmerksam machte, dass Weihnachten ein christliches Fest sei, biss er genüsslich in seine Entenkeule und sagte: "Deliye her gün bayram" – für den Verrückten ist jeder Tag ein Fest.
Hatice Akyün, Journalistin und Schriftstellerin, zog 1972 im Alter von drei Jahren mit ihrer Familie aus dem zentralanatolischen Dorf Akpınar Köyü nach Duisburg. 2005 veröffentlichte sie ihr erstes Buch "Einmal Hans mit scharfer Soße. Leben in zwei Welten", in dem sie über ihr Leben in zwei Welten, der türkischen und deutschen schrieb. 2008 folgte die Fortsetzung "Ali zum Dessert". Hatice Akyün lebt in Berlin.



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