Weichen oder eindeichen

Von Barbara Roth |
Immer wenn die Donau oberhalb von Ingolstadt über die Ufer tritt, heißt es im Örtchen Moos Land unter. Der kleine Flecken im bayerischen Landkreis Neuburg-Schrobenhausen liegt in einer flachen Mulde und läuft bei Hochwasser voll wie eine Badewanne. So auch im August, als das Wasser wieder meterhoch in den Häusern stand.
Es existieren bereits Pläne, wie Moos vor Hochwasser geschützt werden kann. Man könnte rings um die Ortschaft einen bis zu zweieinhalb Meter hohen Deich bauen. Der Deich, ein Pumpwerk und eine neue Zufahrtsstraße würden knapp 15 Millionen Euro kosten. Viel Geld für ein Dörfchen mit nur 42 Anwesen und nicht mal 120 Einwohnern. Die Alternative wäre billiger: Moos soll dem Wasser weichen. Doch die Bewohner wollen nicht gehen.

Das Wasser kam in der Nacht auf den 24. August. Ein paar Kilometer oberhalb von Moos waren Donau und Lech über die Ufer getreten. Die Flüsse machten sich ungehindert in der Auenlandschaft breit.

Johannes Weidner: "Da unten ist ein kleiner Keller, der war bis oben voll Wasser. Na ja, zwei Meter waren das schon. Die neuen Ziegel, die saugen sich voll wie ein Schwamm. Und das geht halt ewig nicht mehr raus. Da muss man ein paar Jahre warten. Wenn man da jetzt drüber streicht, das bringt überhaupt nichts. Das platzt immer wieder auf. Im schlimmsten Fall fällt dann der Putz auch noch weg. "

Im Haus von Johannes Weidner lief der Keller voll. Die ganze Nacht durch dröhnten die Pumpen. Zwei Zentimeter mehr und das Wasser wäre auch in der Wohnung gestanden. Im Erdgeschoss wurden die Schäden erst Tage später sichtbar. Weidner zeigt auf die Wand im Wohnzimmer, die 30 Zentimeter über dem Boden noch immer feucht ist. Auch im Hausflur ziehen sich hässliche gelbe Wasserflecken der Wand entlang. In der Küche platzt stellenweise der Putz ab. Und hinter den Betten im Gästezimmer wuchert der Schimmel.

Johannes Weidner: "Vor fünf Jahren haben wir ja das letzte große Hochwasser gehabt, und jetzt war es einigermaßen trocken. Letztes Jahr haben wir es dann endgültig saniert. Also Putz ausgebessert und gestrichen. Und jetzt sieht man halt wieder diese Flecken. Und das ist halt das, was speziell meine Frau und die Frauen im Dorf natürlich ärgert, und dann leidet man doch drunter, wenn man das immer wieder hat. "

1999, 2002, 2005 – innerhalb von sechs Jahren kämpften die Weidners drei Mal gegen das Wasser der Donau an. Pfingsten 1999 traf es sie am schlimmsten. Einen halben Meter hoch stand die Brühe damals im Haus. In der Küche war das Holz der Möbel bis auf Kniehöhe aufgequollen. Im August 2002 und dieses Jahr im August lief zwar nur der Keller voll. Die Feuchte aber bleibt. Es dauert Jahre, bis die Mauern wieder trocken sind.

Etwa 400 Jahre ist das staatliche Anwesen alt, durch das Weidner den Besucher führt. Es war früher einmal eine Getreidemühle. Im Dorf wird er noch heute der Moosmüller genannt. Der Mann genießt Respekt. Er ist der Ortsprecher. Ein kleiner Bach fließt gemächlich am Grundstück vorbei. Die Kleine Paar speist in der ehemaligen Mühle eine Turbine; sie liefert der Familie Strom. In der Nacht zum 24. August schwoll der Bach auf bedrohliche 2,60 Meter an. Die Donau hat uns früher nie solche Probleme gemacht, erzählt der 58-Jährige. Auch seine Mutter, sie ist fast 90 Jahre alt und lebt bei Sohn und Schwiegertochter, könne sich nicht daran erinnern, dass das Wasser je ins Haus eingedrungen war.

Johannes Weidner: "Hier am Scheunentor sieht man es noch ganz genau, da waren 60, 70 Zentimeter Wasser im Hof. Nach zwei Tagen war wieder alles weg. Also Mittwoch Mitternacht war Höchststand und am Freitag war der Hof wieder abgespritzt und einigermaßen sauber. Es geht eigentlich immer nur um den letzten halben Meter, der macht eigentlich die Schäden. Und das ist unsere große Sorge: Die Jugend ist nicht mehr bereit, hier etwas aufzubauen. Und dann sind wir ein sterbendes Dorf, wenn wir keine Hilfe bekommen von außen. "

120 Einwohner zählt das Dorf und die hoffen seit Jahren auf einen Deich, doch passiert ist bis heute nichts.

Drei Straßen ziehen sich durch das malerische Dorf aus dem 13. Jahrhundert. Die 42 Anwesen kleben nicht aufeinander, parkähnliche Gärten grenzen die Häuser großzügig vom Nachbarn ab. Dem Bach entlang stehen hoch gewachsene Weiden. Pferde grasen auf einer Wiese mitten im Dorf. Eine Bank umrahmt von blühenden Rosen lädt zum Verweilen ein. Es ist eine über Generationen gewachsene Dorfgemeinschaft, um die sich Weidner sorgt. Sein Sohn soll das Anwesen später übernehmen. Der Vater schaut auf den Boden als er leise sagt, er wisse nicht, ob der Sohn hier noch leben will.

Johannes Weidner: "Jetzt eben diese Häufigkeit, die macht uns mürb. Und jetzt ist die Angst da, jetzt sind die Nerven angespannt. Jetzt gibt es Tränen. Schlimm. Aber es ist so schön hier, nicht um verrecken wollen wir hier weg. "

Ein Jahrhunderthochwasser wie an Pfingsten 1999 gibt es statistisch gesehen nur alle 190 Jahre. Damit könnten die Menschen in Moos leben. Nicht aber mit vollen Kellern im Drei-Jahres-Rhythmus. Die 120 Einwohner baten im Wasserwirtschaftsamt Ingolstadt um Hochwasserschutz.

Karl Deindl: "Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten. Zum einen ein technischer Schutz über einen Ringdeich um die Ortschaft. Und eine andere Möglichkeit ist, die Ortschaft, zumindest Teile der Ortschaft, umzusiedeln aus dem hochwassergefährdeten Bereich heraus in einen hochwassersicheren Bereich. "

Amtsleiter Karl Deindl bleibt betont sachlich. Bei einer Informationsveranstaltung in Moos ließ er die Häuser per Mausklick einfach von der Landkarte verschwinden. In diesem Moment gab es Tränen.

Der Behördenleiter kramt Pläne hervor, in denen der Deich mit grüner Farbe eingezeichnet ist. Stellenweise wäre er zweieinhalb Meter hoch. Das Bauwerk würde das Dorf auf einer Länge von 2,3 Kilometern eng umschließen. Moos wäre bei Hochwasser weit und breit der einzige trockene Flecken und nur über eine Straße erreichbar, die um anderthalb Meter angehoben werden müsste. Der Bau wäre aufwendig und würde mit Pumpanlage und Zusatzmaßnahmen knapp 15 Millionen Euro kosten. Die Gemeinde Burgheim, zu der Moos gehört, protestierte. Sie müsste sich mit dem Freistaat Bayern die Kosten teilen. Unmöglich, klagt Bürgermeister Albin Kaufmann.

Albin Kaufmann: "Wir können uns das nicht leisten. Rund 7,5 Millionen, das muss man ganz deutlich sagen, ist unmöglich für uns zu finanzieren, da wäre die nächsten 20 Jahre die Wirtschaftlichkeit der Gemeinde nicht mehr gegeben. "

Seitdem prüfen die Behörden die kostengünstigere Alternative: die Umsiedlung. Die Menschen in Moos drohen Haus und Hof zu verlieren – gegen eine staatliche Entschädigung. Das bayerische Umweltministerium schickte einen Gutachter, um die Anwesen zu schätzen. Das dauerte. Derweil ist es streng verboten, in Moos zu bauen. Die Bewohner fürchten um ihre Heimat und ihre Existenz. Und schlimmer noch: Sie befürchten, Moos mit seinen 120 Menschen sei den Behörden nichts wert. Ihre Wut zeigt sich auf großen Protest-Tafeln, die überall im Dorf aufgestellt sind:

Johannes Weidner: "Wir zahlen für die Flut, den Unterliegern tut das gut. 1999, 2002, 2005. Das Thema ist immer hoch aktuell. Man kommt kaum noch weg davon, jetzt aufgefrischt durch das jüngste Hochwasser. Dann kommt halt Angst, dass eben nichts passiert. Dass wir schutzlos weiter mit dem Hochwasser leben. Und das wäre der Oberhammer, dass gar nichts passiert. "

Der Protest zeigt erste Wirkung. Eine Umsiedlung der kompletten Ortschaft ist vom Tisch. Verkündete vergangener Freitag das bayerische Umweltministerium. 13 der 42 Anwesen aber bleiben im Visier der Behörden. Es sind die Häuser, die die Donau beim Jahrhunderthochwasser 1999 flutete. Für sie könnten sich die Beamten sowohl eine Teil-Absiedlung als auch die klassische Eindeichung vorstellen. Letztere aber nur in einer abgespeckten Version.

Martin Grambow: "Die Menschen hier in Moos sind uns nicht weniger wert als andere. Es ist lediglich eine Frage der Effizienz und der Machbarkeit, da sind wir bis zu einem gewissen Grad gebunden. "

Rechtfertigt sich Karl Grambow, Leiter des Referats Wasserbau im bayerischen Umweltministerium. Statt der ursprünglich veranschlagten 14,5 Millionen Euro ist der Deich – allerdings ohne neue Zufahrtsstraße - nun unter acht Millionen Euro zu haben. Die 13 Höfe aufzukaufen, käme dem Steuerzahler ungefähr gleich teuer.

Martin Grambow: "Sie wissen, wir haben das Programm 2020, in dem wir zum Jahr 2020 ungefähr 300.000 Einwohner zusätzlich schützen wollen. Wenn sie die Kosten des Programms nehmen, das sind 2,3 Milliarden, die durch die 300.000 Einwohner ganz einfach teilen, dann kommen sie darauf, dass man so ganz grob durchschnittlich etwas unter 8.000 Euro pro Einwohner im Mittel aufwendet. Und sie dann, dass wir hier sehr schwierigen Lagen haben, wo man in der technischen Lösung bis zum zehnfachen aufwenden müsste. Und daran erkennen sie auch, in welchen Schwierigkeiten wir in der Abwicklung stecken, weil es doch eine sehr teure Maßnahme ist. "

Zumal viele Städte und Dörfer auf Geld aus der Staatskasse warten. Freistaat stockt seine Zuschüsse sogar auf 65 Prozent auf. Den Rest der Kosten muss die Gemeinde tragen. Es wird wohl noch Monate dauern, bis endgültig entschieden ist: Eindeichen oder Umsiedelen.

Martin Grambow: "Es wird kein Mensch zu irgendwas gezwungen. Es ist lediglich ein Angebot des Freistaates Bayern hochwassergefährdeten Bürgern zu helfen. Mit anderen Worten, die möglichen Umsiedlung ist eine Alternative, die wir anbieten, die für die Gemeinde von Seiten der Kosten her charmant ist, aber die mit Sicherheit nicht mit Zwang verbunden ist. "

Peter Schmittmer diskutiert mit einem Nachbarn am Gartenzaun. Er trägt Latzhose und Gummistiefel, seine Frau eine Arbeitsschürze. Kommen Sie rein, wir leben wie die Zigeuner, lädt der alte Herr in sein Häuschen ein.

Peter Schmittmer: "Da ist der Boden schon raus, der nächste muss auch raus. Wie hoch stand ihnen das Wasser hier drin? Das ist nicht hoch gestanden, weil wir mit drei Pumpen gearbeitet haben. Die ganze Nacht haben wir uns abgewechselt bis in die Früh. Wenn wir die Pumpen nicht gehabt hätten, hätten wir es wahrscheinlich genauso gehabt wie 1999. Da hatten wir 65 Zentimeter hier drin. "

In der Nacht zum 24. August stand das Wasser in der Wohnung zwar nur zehn Zentimeter hoch. Die Böden in Küche, Diele und Bad sind trotzdem ruiniert. Das Ehepaar lebt wie auf einer Baustelle. In den Ecken klebt verkrusteter Dreck, den das Wasser ins Erdgeschoss gespült hat. Die Küche ist ausgeräumt. Das Wohnzimmer gleicht einer Rumpelkammer.

Peter Schmittmer: "Da drin ist es genauso. Klopft gegen Wand. Da fällt der Putz runter. Und den Schrank hat es natürlich auch erwischt. Da unten hat es ihn rausgedrückt. Da schauen Sie her. Die Türstöcke sind alle kaputt. Die müssen raus. Der Sachverständige hat auch gesagt, die können sie nicht drin lassen. Das schimmelt. Die ganze Tapete muss runter. Alles entfeuchtet werden, dann muss erst der Putz erst drauf. Und dann erst wieder die Tapete. "

Wie hoch die Schäden dieses Mal sind? Er weiß es noch nicht. 1999, nach dem Pfingst-Hochwasser, verschlangen die Reparaturen fast 40.000 €. Peter Schmittmer wird demnächst 80 Jahre alt. Er hatte sich auf einen ruhigen Lebensabend im malerischen Moos gefreut. Jetzt/Nun ist der Rentner mit seinen Kräften am Ende.

Peter Schmittmer: "1975 haben wir das Haus renoviert, fast alles selber gemacht. Und ich muss heute sagen, das Geld und die Arbeitszeit, die ich damals aufgebracht habe, reut mich heute jede Stunde. Sie würden nicht mehr hierher gehen? Nein. Nie mehr. Weggehen! Sofort. Weil das ist ja kein Leben mehr. Manchmal muss ich sagen, ich kann nicht mehr, ich mag nicht mehr. "

Das Ehepaar will weg. Weg aus Moos. Lieber heute als morgen. Schmittmer will die Entschädigung annehmen, die ihm der Freistaat anbieten wird. Allerdings befürchtet er, dass es nur 50.000 Euro sein werden, die er für sein Häuschen noch bekommt. Das ständige Hochwasser hat den Wert des Gebäudes extrem gemindert, die Fundamente sind schwer beschädigt. Und dann die Frage: wohin?

Peter Schmittmer: "Mit meinem Alter, ich kann nicht mehr bauen. Weil ich muss ja damit rechnen, dass ich es gar nicht mehr erlebe, dass ich einziehen kann. Mit dem muss ich rechnen. Es wäre natürlich angebracht: ein Haus, dort einziehen, hier ausziehen. Eine andere Alternative gibt es für uns nicht. "

Ein viertes Hochwasser steh ich jedenfalls nicht durch. Der alte Herr sagt diesen Satz ganz leise. Dann ringt er minutenlang um seine Fassung. Vom Deichbau hält er gar nichts.

Peter Schmittmer: "Für mich ist ein Deich sinnlos, weil wir sind vom Grundwasser betroffen. Ich habe schon zu mehreren gesagt, wie stellt ihr Euch das vor? Wenn der Deich gebaut ist und das Grundwasser steigt? Ja, da kommen ja Pumpen rein. Und dann habe ich gesagt, ihr pumpt oben raus und von unten kommt es wieder rein. Ihr werdet mit dem Pumpen ja gar nicht fertig. Das ist ja ein normaler Vorgang, wenn ein Grundwasser da ist. "

Im Dorf steht er mit seiner Meinung weitgehend alleine da. Die zwölf anderen von der Umsiedlung bedrohten Familien hoffen auf den Deich. Johannes Weidner besitzt das älteste Anwesen im Dorf. Seine historische Getreidemühle befindet sich seit fast 400 Jahren im Besitz der Familie. Er will für den Deich kämpfen.

Johannes Weidner: "Ich bin 58 Jahre alt, ich bin in diesem Ort geboren, und will nicht hier weg. Wir haben riesige Gärten, fast Parkanlagen hinterm Haus. Und ein Flusslauf daneben, der uns Freude macht, natürlich auch Sorgen. Aber man ist da aufgewachsen und schätzt das schon. "

Die Menschen in Moos müssen sich entscheiden: Deich oder Umsiedlung. Beides geht nicht. Entscheidet sich die Mehrheit für den Deich, gibt es keinen Cent Entschädigung für diejenigen, die gehen wollen. Knapp acht Millionen Euro sind für den Hochwasserschutz eingeplant. Dieses Geld, das machen die Behörden unmissverständlich klar, muss reichen. Johannes Weidner wird sich mit seiner Frau, seiner Mutter, dem Sohn und der Tochter beraten, was sie tun sollen. In den anderen Familien wird es ähnlich sein.

Johannes Weidner: "Die große Frage werden unsere Frauen entscheiden. Wenn die Frauen hier nicht mehr wohnen wollen, dann gehen die Männer freiwillig mit. Wenn meine Frau sagt, ich packe es nicht mehr, dann schaut es natürlich für mich auch ein bisschen anders aus. "