"Weiblichen festen Wollen"

Von Volkhard App · 04.12.2009
Patriarchalische Einseitigkeit aus alter Zeit kann die Künstlerin Susanne M. Winterling offenbar gar nicht leiden. Das zeigt sich auch in ihrer aktuellen Schau in Bremen. Dort löscht sie die Spuren alles Überheblich-Männlichen einfach aus - auch wenn sie dafür mitunter in die Substanz von Bauwerken eingreifen muss.
Mancher Besucher bemerkt das Windgeräusch vielleicht nicht einmal: es scheint dazuzugehören - hier an der Weser, wo ein zugiger Tunnel ins Burggemäuer und zu den Ausstellungsräumen führt. Susanne M. Winterling hatte die Idee zu dieser kleinen akustischen Installation an der Weserburg - und hat auch an anderer Stelle ins Bauwerk eingegriffen: in dem altehrwürdigen Stifter-Wappen aus Sandstein, wo bislang das "männliche feste Wollen” gepriesen wurde, kündet der Schriftzug durch Überkleben einer Silbe nun vom "weiblichen festen Wollen”. Die patriarchalische Einseitigkeit aus alter Zeit muss die junge Künstlerin mächtig provoziert haben:

""Wenn jemand mit Graffiti arbeitet, ist es vielleicht ähnlich. Ich wollte mal gucken, wie es ist, wenn man das austauscht. Man sieht es ja, dass es eher mit einer lustigen Haltung gemacht worden ist."

Eine feministische Künstlerin ist sie erklärtermaßen nicht, wie sich überhaupt ein Etikett für sie so schnell nicht finden lässt. Charakteristisch ist eher schon, dass sie sich mit ihren Ausstellungen auf die jeweilige Örtlichkeit einlässt. Der Name "Teerhof” lässt heute noch ahnen, dass an diesem Ufer einst Schiffe seetüchtig gemacht wurden. Winterling bringt Teer in einige ihrer Installationen ein, aber auch schöne Pfauenfedern. So soll gleichzeitig die Assoziation vom mittelalterlichen "Teeren und Federn" entstehen.

Und wenn sie in einem 16-Millimeter-Film die Funken von Wunderkerzen zur Schau stellt, bezieht sie sich ebenfalls auf diesen konkreten Ort: hier explodierte im 18. Jahrhundert ein Pulverturm und sorgte in Bremen für eine Feuersbrunst. Aber können Wunderkerzen eine solche Katastrophe andeuten? Und auch die Pfauenfedern stehen im Grunde für das Schöne, so dass der Schrecken in weite Ferne gerückt wird:

"Ich denke nicht, dass ich ihn entferne, er ist mit enthalten. Aber ich meine, es macht mehr Sinn, ein Bewusstsein zu schaffen als Slogans oder Messages rauszuhauen - oder zu sagen: das ist das Richtige, hier ist meine Sicht. Es kommt darauf an, die Imagination anzuregen und zu zeigen, dass eine Pfauenfeder etwas total Schönes sein kann, wenn man sie beleuchtet - und dass Teer eine wahnsinnig interessante Materialität hat, aber lange als Schamzeichen der Gesellschaft benutzt wurde."

Filme mit ratternden Projektoren, kleine Installationen und Fotos sind in dieser Schau Kostproben ihrer vielseitigen Interessen: dabei lassen sich die Fotos mit den bizarren Gegenständen nicht immer klar identifizieren und fordern so den Betrachter heraus, seine eigene Erzählung zu finden. Einige Arbeiten immerhin spielen auf Filme an, ein Bild zeigt sogar einen Turm aus zusammengerollten Zelluloidstreifen. Und die Raumeinrichtung gibt sich mit ihren perforierten Vorhängen als Hommage an dieses Medium. Auf einen Nenner bringen lässt sich das in Bremen Gezeigte dennoch nicht, die Künstlerin beschäftigt sich eben mit sehr unterschiedlichen Ideen, Formen und Medien - eine Vielfalt, die im Kammerspiel dieser Ausstellung auffällt.

Susanne Winterling möchte sich nicht festlegen und sich schon gar nicht einengen lassen. Auf einem ihrer Fotos sind mehrere Persönlichkeiten ineinander geblendet: darunter Angela Davis und der berüchtigte Dichter Jean Genet. Demnach interessiert sich die Künstlerin für sogenannte Außenseiter:

"Auch wenn es sich heute nicht so chic anhört, wo jeder Künstler Manager ist, finde ich doch, dass die Künstlerposition in der Geschichte viel mit dem Außenseitertum zu tun hat - was man positiv beurteilen kann, denn ein Außenseiter hat einen guten Blick, der sieht ganz anders als von innen."

Sie ist zweifellos eine Poetin - die sich selbst als Tagträumerin sieht. Ein von ihr geliebtes Genet-Zitat - dass das Träumen im Dunkeln gedeiht - gab dieser kleinen, anregenden Schau den Titel und erscheint in einem Raum auch als farbig angestrahlte Wandschrift.

Für Susanne Winterling ist es die erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland. In Braunschweig hatte sie bei Birgit Hein und Marina Abramovic studiert und muss sich nun auf dem erbarmungslosen Markt behaupten:

"Das sehe ich schon als ein Problem. Ich würde vielleicht mit bemalten Leinwänden ein leichteres Leben haben oder wenn ich mich anders darstellen würde als ich es für richtig halte."

Ein Anfang ist gemacht. Der Direktorin der "Gesellschaft für aktuelle Kunst” fiel Winterling auf der letzten Berlin-Biennale auf, und schon fühlte sich Janneke de Vries von diesen Werken angezogen und entschied sich für eine Präsentation in Bremen:

"Ganz wichtig finde ich, dass es in ihren Werken eine Art Grundton gibt, der sich durch die Ausstellung zieht. Jeder kann unbewusst daran anknüpfen, weil wir aus einer bestimmten Generation kommen und in einer bestimmten Zeit leben. Man kann sich durch diese Ausstellung bewegen, ohne zu wissen, warum der Teerhof so heißt - und ohne sich mit Jean Genet beschäftigt zu haben. Ihre Arbeiten funktionieren auch ohne das ganz akkurate Aufschlüsseln der Bezüge und das finde ich sehr wichtig."