Weibliche Selbstbestimmung in der Türkei
Yasmine Ghata hat einen Roman über ihre türkische Großmutter geschrieben. Dabei lässt sie die Großmutter in der ersten Person das eigene Leben erzählen - ein Leben, dessen besondere Faszination darin liegt, dass eine Frau innerhalb der klassischsten Traditionen der türkischen Kultur einen ganz individuellen Weg beschreitet. Das Wort Emanzipation ist ihr dabei allerdings völlig unbekannt.
Der Leser erfährt nicht, ob Yasmine Ghata ihre Großmutter jemals kennen gelernt hat. Möglich wäre es gewesen, denn Gatha kam 1975 in Frankreich zur Welt, als Tochter eines Türken, der allerdings im Libanon aufgewachsen war, und einer Französin.
Ihr Roman über die türkische Großmutter beginnt mit deren Tod: "Ich bin am 26. April 1986 im Alter von dreiundachtzig Jahren gestorben. Istanbul feierte das Tulpenfest in Emirgan." So lauten die beiden ersten Sätze des schmalen Romans, in dem aber nicht von einer Begegnung der kleinen Yasmine mit der alten Dame die Rede ist.
Überhaupt tritt die Autorin, die sich als Expertin für islamische Kunst bereits auf dem primären Arbeitsgebiet ihren Wurzeln genähert hat, in keiner Weise in Erscheinung. Sie lässt die Großmutter in der ersten Person das eigene Leben erzählen, ein Leben, dessen besondere Faszination darin liegt, dass eine Frau innerhalb der klassischsten Traditionen der türkischen Kultur einen ganz individuellen Weg beschreitet.
Das Wort Emanzipation ist ihr dabei völlig unbekannt und obwohl sie sich von zwei ungeliebten Ehemännern trennt, war diese Form der Befreiung keineswegs ihr eigentliches Ziel. Stattdessen erleben wir, dass der Beruf das Triebrad und letztlich die Voraussetzung für weibliche Selbstbestimmung bildet, wobei solch prosaische Aspekte wie die finanzielle Unabhängigkeit weitgehend ausgespart bleiben.
Mit ihrer Berufswahl hingegen muss die junge Rikkat sich gegen verschiedenste Schwierigkeiten durchsetzen. Zunächst, weil sie als Kalligraphin in eine Männerdomäne einbricht. Erschwerend kommt hinzu, dass sie mitten im politischen Umbruch der Reformen Kemal Atatürks aufwächst, dessen Säkularisierung des Landes die Bedeutung dieser Kunst in doppelter Hinsicht schmälerte: zum einen, da man ausschließlich religiöse Texte in Schönschrift kopiert und zum anderen, da die arabische Schrift durch lateinische Buchstaben ersetzt wurde. Doch gelingt es Rikkat, diese sowie die traditionellen häuslichen Hemmnisse dank ihres außergewöhnlichen Talents und einer inneren Berufung zu ihrer Kunst zu überwinden.
Wer nun aber meint, es hier mit einer emanzipatorischen Kampfschrift zu tun zu haben, der irrt. Erzählt wird nämlich ein Märchen, in dem es nicht an privaten Tragödien mangelt, zu denen der Zauber der Kalligraphie indes stets ein Gegengewicht bildet. Hardcore-Feministinnen wird es stören, dass Rikkat ihre erstaunliche Karriere dank "magischer" Kräfte vollbringt, dank des Schreibzeugs eines verstorbenen Meisters und seines Beistandes aus dem Jenseits, doch schafft gerade diese poetische Dimension des Buches ein gutes Gegengewicht zu Hausputz und Familienleben.
Rezensiert von Carolin Fischer
Yasmine Ghata: Die Nacht der Kalligraphin
Aus dem Französischen von Andrea Spingler.
Amman Verlag, Zürich 2007, 154 Seiten, 17,90 Euro
Ihr Roman über die türkische Großmutter beginnt mit deren Tod: "Ich bin am 26. April 1986 im Alter von dreiundachtzig Jahren gestorben. Istanbul feierte das Tulpenfest in Emirgan." So lauten die beiden ersten Sätze des schmalen Romans, in dem aber nicht von einer Begegnung der kleinen Yasmine mit der alten Dame die Rede ist.
Überhaupt tritt die Autorin, die sich als Expertin für islamische Kunst bereits auf dem primären Arbeitsgebiet ihren Wurzeln genähert hat, in keiner Weise in Erscheinung. Sie lässt die Großmutter in der ersten Person das eigene Leben erzählen, ein Leben, dessen besondere Faszination darin liegt, dass eine Frau innerhalb der klassischsten Traditionen der türkischen Kultur einen ganz individuellen Weg beschreitet.
Das Wort Emanzipation ist ihr dabei völlig unbekannt und obwohl sie sich von zwei ungeliebten Ehemännern trennt, war diese Form der Befreiung keineswegs ihr eigentliches Ziel. Stattdessen erleben wir, dass der Beruf das Triebrad und letztlich die Voraussetzung für weibliche Selbstbestimmung bildet, wobei solch prosaische Aspekte wie die finanzielle Unabhängigkeit weitgehend ausgespart bleiben.
Mit ihrer Berufswahl hingegen muss die junge Rikkat sich gegen verschiedenste Schwierigkeiten durchsetzen. Zunächst, weil sie als Kalligraphin in eine Männerdomäne einbricht. Erschwerend kommt hinzu, dass sie mitten im politischen Umbruch der Reformen Kemal Atatürks aufwächst, dessen Säkularisierung des Landes die Bedeutung dieser Kunst in doppelter Hinsicht schmälerte: zum einen, da man ausschließlich religiöse Texte in Schönschrift kopiert und zum anderen, da die arabische Schrift durch lateinische Buchstaben ersetzt wurde. Doch gelingt es Rikkat, diese sowie die traditionellen häuslichen Hemmnisse dank ihres außergewöhnlichen Talents und einer inneren Berufung zu ihrer Kunst zu überwinden.
Wer nun aber meint, es hier mit einer emanzipatorischen Kampfschrift zu tun zu haben, der irrt. Erzählt wird nämlich ein Märchen, in dem es nicht an privaten Tragödien mangelt, zu denen der Zauber der Kalligraphie indes stets ein Gegengewicht bildet. Hardcore-Feministinnen wird es stören, dass Rikkat ihre erstaunliche Karriere dank "magischer" Kräfte vollbringt, dank des Schreibzeugs eines verstorbenen Meisters und seines Beistandes aus dem Jenseits, doch schafft gerade diese poetische Dimension des Buches ein gutes Gegengewicht zu Hausputz und Familienleben.
Rezensiert von Carolin Fischer
Yasmine Ghata: Die Nacht der Kalligraphin
Aus dem Französischen von Andrea Spingler.
Amman Verlag, Zürich 2007, 154 Seiten, 17,90 Euro