Wehrlose auf dem Scheiterhaufen

02.04.2007
Die Verfolgung von "Hexen" fand in Deutschland etwa um 1750 ein Ende. Bis dahin waren unzählige Frauen, aber auch Männer und Kinder, einer Massenhysterie zum Opfer gefallen. Die Historikerin Lyndal Roper fragt in "Hexenwahn" nach den Ursachen für dieses Phänomen und forscht nach den Motiven von Staat und Kirche.
Heutzutage sind Hexen populär. Gibt man im Internet den Suchbegriff "Hexe" ein, findet man über vier Millionen Eintragungen. Noch vor 250 Jahren sah das allerdings ganz anders aus, noch um 1750 wurden Frauen in Deutschland als Hexen verbrannt. Mit diesen finsteren Zeiten beschäftigt sich das Sachbuch "Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung", geschrieben hat es Lyndal Roper, Professorin für Geschichte an der Universität Oxford.

Lyndal Roper beschäftigt sich mit der Kernzeit der Hexenpogrome zwischen 1560 und 1630, und sie untersucht ausschließlich die Hexenverfolgung in Deutschland beziehungsweise in Süddeutschland, also im heutigen Baden-Württemberg und in Bayern. Dabei konzentriert sich die Autorin schwerpunktartig vor allem auf einige Städte wie Würzburg, Nördlingen, Augsburg usw. wie auch auf kleinere Gemeinden, auf Plätze also, wo die Hexenverfolgung extreme Ausmaße annahm, - denn die Hexenverfolgung darf man sich nicht als flächendeckend in Deutschland vorstellen, meist handelte es sich um lokale Ereignisse.

Die Autorin versucht, hinter die Mechanismen zu schauen, warum in einer Stadt Hexenpanik ausbrach, in einer anderen nicht. Und sie geht den Motiven der Täter nach, die sich gerade an Wehrlosen vergriffen, also an Frauen, vor allem an alten Frauen, und auch an Kindern, die auch als Hexen verbrannt wurden.

"Hexenwahn" schildert jene Vorgehensweisen von Kirche und Staat, um die totale Kontrolle der Bevölkerung bis in deren Intimsphäre hinein durchzusetzen. Im 16. Jahrhundert, das die Autorin schildert, beginnen Kirche und Staat zum Beispiel die Grundlagen und die Form der Eheschließung zu reglementieren, - bis dahin galten das so genannte Eheversprechen des Mannes und der Vollzug durch den Geschlechtsverkehr. Nun aber wird die Hochzeit zu einer kirchlich-staatlichen Angelegenheit und nicht abgesegneter Sex zu einer Einlassung mit dem Teufel; die Kontrolle über die Sexualität der Menschen spielt die Hauptrolle bei den Hexenverfolgungen. Dazu kommen dann noch die so genannten niederen Beweggründe, also Konkurrenz, Neid, Denunziation und persönliche Bereicherung.

"Hexenwahn" wendet sich sowohl an ein populärwissenschaftliches als auch an ein wissenschaftliches Publikum. Lyndal Roper bietet eine ungeheuer akribisch-wissenschaftliche Arbeit, das heißt, die Autorin ist Dutzenden von konkreten Fallbeispielen nachgegangen, bei denen sie geradezu detektivisch-kriminalistische Fähigkeiten entwickelt hat; "Hexenwahn" spürt anhand von zahllosen Gerichtsakten den Motiven der Täter, also der Hexenverfolger nach und deckt verborgene Beziehungen und Familienverhältnisse auf.

Neben den hervorragenden Detailstudien spannt die Autorin aber auch ihren Bogen bis ins 18. Jahrhundert hinein und beschreibt das langsame Verschwinden des Hexenwahns.

Dem Spezialisten bietet dieses Buch eine unverzichtbare Materialsammlung, und der Laie wird von vielem in diesem Buch sehr überrascht sein, zum Beispiel von der Tatsache, dass auch Potestanten Hexen verbrannt haben, oder von der Tatsache, dass auch Männer als Hexer verbrannt wurden, zirka 25 Prozent der Opfer waren Männer. "Hexenwahn" geht in die Tiefe, und es gibt gleichzeitig einen großen historischen Überblick.

Rezensiert von Lutz Bunk

Lyndal Roper: Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung
Übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller
C.H. Beck Verlag 2007
470 Seiten, 26,90 Euro