Weggefährten der NSU-Täter

Von Esther Dischereit · 17.04.2013
Der Streetworker Thomas Grund arbeitet im Jugendzentrum "Hugo" in Jena. Den Club haben auch die späteren NSU-Terroristen Beate Zschäpe und Uwe Mundlos oft besucht. Ein bisschen habe Zschäpe "wie's Lieschen vom Lande" auf ihn gewirkt, erinnert sich der Sozialarbeiter.
"Es gab seit der Wende in Jena eine Gruppe schon älterer Glatzen, die Mitte der 80er-Jahre angefangen haben, Glatze zu sein, rechte Glatze auch zu sein, die ab 89, 90, 91 alles überfallen haben in Jena an Häusern, was ihnen nicht gepasst hat."

Thomas Grund arbeitet im Jugendzentrum "Hugo" in Jena-Winzerla, seit 1991. Davor arbeitete er für die Evangelische Kirche. Und davor als Glasbläser. Er hat die Arbeit mit den Jugendlichen aufgenommen, mit denen da draußen, weil er kein Schreibtisch-Typ ist, wie er sagt. Er veranstaltet gerne Konzerte, schreibt Band-Wettbewerbe aus, organisiert. Er filmte Beate Zschäpe und andere, wie sie auf einer Treppe sitzen in Winzerla, draußen, eine Flasche Bier in der Hand.

"Wenn ich an die Beate zurückdenke, Beate tauchte im Sommer 91 in dieser Gruppe auf, da hab ich dieses Interview mit ihr gemacht, ich denke, es war im Juni, sie war durch Zufall, saß auf dieser Bank, deswegen sitzt sie zwischen den zweien oder dreien, die ich ein bissl was gefragt habe, wie sie denn ihr Leben in diesem Wohngebiet gestalten, die kannte ich. Beate kannte ich fast nicht, wusste nur so, Umfeld dieser Gruppe und die Oma, wie auch immer, die sich um sie kümmert, und, wie sie da auf mich gewirkt hat - also wie´s Lieschen vom Lande. Muss ich so sagen."

Korrekter deutscher Scheitel, Springerstiefel, Bomberjacke
Grund - Spitzname: Kaktus - baut auf: Clubmannschaft, Partyraum, Spiele, Fahrten - auch nach Auschwitz -, selbstorganisierter Ausschank. Beate Zschäpe ist in der Clubmannschaft. Uwe Mundlos ist da: stets korrekter deutscher Scheitel, Springerstiefel, Bomberjacke. Die beiden werden ein Paar. Sie und zwei weitere Jugendliche brechen eines Tages in den Club ein; stehlen Geld und Equipment. Die Sozialarbeiter ziehen die Anzeige zurück, aber bestehen auf einem Opfer-Ausgleich. Zu Hause bei Mundlos sehen sie die Reichskriegsflagge im Kinderzimmer.

Ralph Wohlleben, der im Zschäpe-Prozess als Unterstützer mitangeklagt ist, lässt einen Kumpel den Party-Raum mieten und verteilt Geburtstagsflyer zur Einladung. Aufdruck: Ausschluss für Migranten. Einschlägige Symbole.

Thomas Grund wird "linke Zecke” genannt. Woche für Woche ziehen die Rechten vor dem Haus auf, bilden Spalier, wenn Jugendliche an den Konzerten teilnehmen wollen. Grund begleitet Teilnehmer, damit sie sicher nach Hause kommen. Zu diesem Zeitpunkt lässt Grund die Rechten nicht mehr ins Haus. Irgendwann hörte der Terror auf.

"Ich bin davon ausgegangen, die haben hier keine Chance, die haben sich irgendwo ins Ausland abgesetzt. Über Holland irgendwo nach Schweden, wo ja die rechte Szene noch mal einen ganz anderen Stellenwert hat und sich ganz anders entfalten kann als in Deutschland, wo man gut untertauchen kann, also davon bin ich felsenfest ausgegangen bis zu diesem Tag X, als das aufflog, dass die doch nicht untergetaucht sind."

Fahndungsfotos der Mitglieder der sog. Zwickauer Zelle: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (v.l.).
Fahndungsfotos der Mitglieder der sog. Zwickauer Zelle: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (v.l.).© picture alliance / dpa /Frank Doebert
"Warum haben die die Kurve nicht bekommen?"
Als am 11.11.2011 offenbar wird, dass das Terror-Trio gemordet und Banken ausgeraubt hat, organisiert Thomas Grund ein Treffen von "Ehemaligen”. Leute, die in der Wendezeit achtzehn, neunzehn oder zwanzig Jahre alt waren, reden darüber, wie sie die Zeit empfunden haben. Sie waren eine Zeit lang Weggefährten von mindestens zwei der späteren Täter. Die Neunziger: "Jetzt ging doch alles. Wer wollte, konnte studieren, konnte reisen, konnte dies oder das kaufen - weggehen ... was sollte das? Warum haben die die Kurve nicht bekommen?” Sagt einer.

Auf youtube können diese Gespräche angehört werden unter dem Stichwort "Krachi”. Eine andere Gruppe Jugendlicher geht mit der Videokamera zu den Eltern Böhnhardts. Am Ende weint die Interviewerin. Zu Hause der liebe Junge, sagten die Eltern.

"Also, als die Nachricht kam, dass die in Deutschland gelebt haben seit ihrem Abtauchen 98, war mir klar, das ist ohne die Hilfe von ganz wichtigen Leuten, ist das nicht machbar. Geht nicht. Mit Sicherheit auch aus höheren Stellen, von Behörden, die in der Lage sind, so einen Schleier über bestimmte Dinge zu legen, wo dann keiner was mitkriegt."

Thomas Grund begreift Soziale Arbeit als Unterstützung junger Leute bei Selbstorganisation, bei Irrtümern, bei Fehlern. Wo muss die Grenze gezogen werden? Über dem Eingang zur Jungen Gemeinde der Evangelischen Kirche in Jena ist der Satz zu lesen: "Sie kamen von hier”.

Der NSU-Prozess auf dradio.de
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