Wege ins Leben

"Die windige Stadt" schließt chronologisch an den ersten Roman "Crossing California" des amerikanischen Autors Adam Langer an. Die jüdische Community, die im Zentrum steht, wird mit lässig persiflierendem Spott behandelt. Seine Geschichten handeln selten von Gelingendem. Er erzählt von vergeblichen Anläufen und immer wieder davon, wie Liebende sich verpassen.
West Rogers Park, ein jüdisches Viertel in Chicago, ist die Heimat des 1967 geborenen Autors, Dramatikers, Theaterleiters, Journalisten und Filmproduzenten Adam Langer. West Rogers Park ist auch der Mittelpunkt seiner beiden umfangreichen Romane "Crossing California" und "The Washington Story" – keine autobiographischen Bücher, aber doch ganz und gar identisch mit den Erfahrungsräumen des Autors. Der erste kam 2005 auf Deutsch heraus – ein wenig im Schatten der erfolgreichen amerikanischen Familienromane von Jonathan Franzen oder Jeffrey Eugenides. Jetzt erscheint unter dem Titel "Die windige Stadt" Langers zweiter Roman in der Übersetzung von Grete Osterwald, und vielleicht bekommt er nun die Aufmerksamkeit, die er verdient.

Die Spuren nach Kalifornien und nach Washington, die Langers Titel legen, sind falsch. Einmal handelt es sich um eine breite Avenue in West Rogers Park, im anderen Fall um den ersten schwarzen Bürgermeister Chicagos, Harold Washington. Sein Amtsantritt 1982 und sein plötzlicher Tod 1987 legen den zeitlichen Rahmen und den politischen Hintergrund fest. Aber der Blick weitet sich rasch und bekommt mit dem Auftauchen des Haleyschen Kometen, dem amerikanischen Raumfahrtprogramm und Ronald Reagans "Krieg der Sterne" geradezu kosmische Dimensionen.

"Die windige Stadt" schließt chronologisch an "Crossing California" an, und auch das Personal ist aus dem ersten Roman bekannt: die beiden Schwestern Jill und Michelle aus der jüdischen Familie Wasserstrom, der schwarze Muley Wills mit seiner Mutter Deirdre und die Geschwister Lana und Larry Rovner. Trotzdem kann man den zweiten Roman problemlos lesen, ohne den ersten zu kennen. Die Biographien, die Langer hier weiterschreibt, tendieren allesamt künstlerisch: Aus Muley wird ein experimenteller Filmemacher, aus Michelle eine Schauspielerin. Jill wird Journalistin und Larry ein Komponist und Sänger. Es ist so, als hätte Adam Langer seine vielfältigen Talente auf eine ganze Gruppe von Figuren verteilt. "Die windige Stadt" ist ein Buch über Wege zur Kunst und über Wege ins Leben. Bei seinen Figuren, die allesamt angenehm vorurteilsfrei sind, ist das dasselbe.

Die fünf Kapitel des Romans sind wie die fünf Bücher Moses mit schwergewichtigen Überschriften versehen wie "Das Buch der Grenzen" oder "Das Buch Exodus". Die jüdische Community, die im Zentrum steht, wird mit lässig persiflierendem Spott behandelt. So wird die "Eruv", eine Schnur um das jüdische Viertel, die den Geltungsbereich der Sabbatverbote signalisiert, für das junge, platonische Liebespaar Jill und Muley zur Außengrenze ihrer Treueschwüre. Und am Ende verkaufen die Wasserstroms ihr Haus in West Rogers Park, weil das Leben dort selbst für konservative Juden zu orthodox geworden ist.

Langers Geschichten handeln selten von Gelingendem. Er erzählt von vergeblichen Anläufen und immer wieder davon, wie Liebende sich verpassen – so wie Jill und Muley, die in ihre unterschiedlichen Leben aufbrechen, um erst ganz am Ende, am Ufer des Michigan Sees, wieder zueinander zu finden. Oder Michelle und der scheiternde Filmemacher Mel, die ihre Liebe so lange aufschieben, bis jede Gelegenheit verstrichen ist. Aber umso leichter gelingen die Grenzüberschreitungen. Rassische Unterschiede spielen in diesem Freundeskreis keine Rolle. Sexuelle Orientierungen werden spielerisch experimentell in Frage gestellt, wenn Muley sich als schwul ausgibt, um einer zudringlichen Klassenkameradin zu entkommen oder wenn Jill darüber nachdenkt, lesbisch zu sein. Vor allem aber geht es für die Jugendlichen darum, die Grenzen ihrer Herkunft und ihrer familiären Bindungen hinter sich zu lassen. "Die windige Stadt" ist ein Familienroman, der von der Brüchigkeit der Familien handelt.

Am Ende weitet sich der Blick bis nach Europa, wenn Jill eine Reise unternimmt, die nach Prag und zu Hausbesetzern ins West-Berlin der Vorwendezeit führt. Langer gelingt es mit großer Souveränität, aus dem Mikrokosmos West Rogers Park ein Panorama der 80er Jahre zu entwickeln. Seine jungen Protagonisten sind in ihrer Neugier, ihrer politischen und künstlerischen Engagiertheit typische Vertreter dieser Epoche. Sie allesamt so lebendig werden zu lassen, dass sie einem an keiner Stelle gleichgültig sind, ist ein große erzählerische Leistung.

Rezensiert von Jörg Magenau

Adam Langer: Die windige Stadt. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Grete Osterwald.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2007, 496 S. 24,90 Euro