Wege aus der moralischen Zwickmühle
Der Wissenschaftler Jens Reich befasst sich in dem Hörbuch "Teufelsfragen" mit den Möglichkeiten und Grenzen der Gentechnik. Von zentraler Bedeutung ist dabei für den Professor für Bioinformatik an der Humboldt-Universität Berlin die Frage, wie weit der Mensch in den Bauplan der Natur eingreifen darf.
Vor 200 Jahren war die Biologie eine beschauliche und insofern auch harmlose Wissenschaft. Wer zum Beispiel Muscheln sammelte und diese klassifizierte, konnte weder unmittelbaren Schaden anrichten noch Prozesse in Gang setzen, an deren Ende ein möglicher Missbrauch der Erkenntnisse abzusehen war.
Diese Zeiten sind vorbei. Heutzutage sind mit der zunächst nur beobachtenden Erforschung von biologischen Prozessen im Grunde immer auch und sogleich weitere Aufgaben und weit reichende Entscheidungen verbunden, wie zum Beispiel Fragen der Anwendung und der Produktbildung. "Mir geht es nur um die Erforschung bestimmter Zusammenhänge. Über die Folgen der Erkenntnisse sollen gefälligst andere entscheiden." Diese Haltung, eine solche Form der Arbeitsteilung, so Jens Reich, Molekularbiologe und Mitglied im nationalen Ethikrat, kann und darf ein heutiger Biologe nicht mehr einnehmen.
"Das ging vielleicht in grauer Vorzeit, im Elfenbeinturm, im Kloster. Gregor Mendel mit seinen Erbsenpflanzen, der konnte noch sagen: Ich bin reiner Wissenschaftler, Grundlagenforscher, ich bin nur für die Erkenntnis, an der Erkenntnis interessiert; ich will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. – Geht nicht mehr. Es ist vorbei."
Die heutige Grundlagenforschung im Bereich der Biologie und der Biomedizin führt zu lebenswichtigen Entscheidungen, steuert unabdingbar auf ethische Fragen zu. Menschen klonen? Stammzellen nutzen? Was tun, was unterlassen? Dem Titel der Doppel-CD nach sind dies "Teufelsfragen", schwierige Fragen, denen man nicht ausweichen darf, die nicht nur theoretisch beantwortet werden wollen, sondern praktische Entscheidungen erfordern – und deren Beantwortung womöglich eine Vielzahl neuer Fragen und Probleme nach sich zieht.
Diese Fragen, so Jens Reich, gehen nicht nur die Experten, hier: Biologen und Biomediziner etwas an. Es sind Fragen, die alle Mitglieder einer Gesellschaft betreffen und die in einer Demokratie schließlich Regierung und Parlamentarier zur Formulierung von Regelungen und Gesetzen veranlassen.
"Alle sitzen in dieser moralischen Zwickmühle und sollen eine Entscheidung treffen und haben die Verpflichtung, sich sachkundig zu machen – nicht Spezialisten zu werden, aber sachkundig zu machen, so dass sie wissen, worüber sie ein Urteil haben und dass sie auch wissen, was sie von ihren Abgeordneten und Regierungsministern usw. verlangen können. Sachkundig zu machen und in diesen grundsätzlichen Fragen eine Position zu entwickeln, die einerseits ehrenwert und würdig ist, anderseits aber auch die Konsequenzen beachtet und nicht einfach vor sich herschiebt oder ausklammert."
Jens Reich spricht, hier und da mag man fast sagen: er plaudert für jedermann verständlich über heikle Themen wie Stammzellen und Genforschung, über Vor und Nachteile, über Nutzen und Missbrauch der Gentechnik. Nur ein brisantes Beispiel: Auf gentechnischem Wege hergestellte Arzneimittel helfen bereits vielen Menschen; sie retten Gesundheit und Leben. Man denke etwa an Humaninsulin für Diabetiker und an Erythropoetin, das für Nierenkranke und Kranke mit Blutarmut verwendet wird. Bekannter ist Erythropoetin unter dem Kürzel EPO, wird es doch hier und da im Radsport sowie beim Skilanglauf für Doping missbraucht.
"Das sind gentechnisch hergestellte Produkte, Wachstumshormon, die einen Umsatz von Milliarden jedes Jahr haben und offensichtlich entsprechend vielen Menschen auch helfen, sonst würde es ja nicht dabei bleiben. Also da bin ich, ich bin da sehr optimistisch. Wir müssen eben nur einen sinnvollen Umgang mit den Missbrauchsmöglichkeiten und den moralischen Dilemmata entwickeln."
Im Laufe der gut zweistündigen Doppel-CD lässt Jens Reich seinen Gedanken freien Lauf und resümiert die Geschichte der Biologie, genauer: die Entwicklung der Genetik in den letzten gut 150 Jahren. In naher Zukunft mag man dank gentechnischer Forschungen Herzinfarkte vermeiden und Schwächen des menschlichen Immunsystems besser behandeln können. Das wird zur Steigerung der Lebensqualität, wenn nicht gar zur Verlängerung des menschlichen Lebens beitragen. Darf man das? Und: Welche Folgen hat das – für den einzelnen und für die Gesellschaft?
Fragen über Fragen. Eben die aber machen die Doppel-CD zu einem spannenden und anregenden Hörerlebnis. Mit seiner ethischen Position hält der Wissenschaftler nicht hinterm Berg, doch führt er die Hörer immer wieder in einen unübersehbaren Wald voller Fragen, wo sie angesichts ethischer Herausforderungen und Dilemmata ihre eigene Position finden müssen.
: Teufelsfragen. Ethische Konflikte in der Biomedizin
2-CD-Set, 130 Minuten
Booklet, acht Seiten
supposé, Köln 2005
24,80 Euro
Diese Zeiten sind vorbei. Heutzutage sind mit der zunächst nur beobachtenden Erforschung von biologischen Prozessen im Grunde immer auch und sogleich weitere Aufgaben und weit reichende Entscheidungen verbunden, wie zum Beispiel Fragen der Anwendung und der Produktbildung. "Mir geht es nur um die Erforschung bestimmter Zusammenhänge. Über die Folgen der Erkenntnisse sollen gefälligst andere entscheiden." Diese Haltung, eine solche Form der Arbeitsteilung, so Jens Reich, Molekularbiologe und Mitglied im nationalen Ethikrat, kann und darf ein heutiger Biologe nicht mehr einnehmen.
"Das ging vielleicht in grauer Vorzeit, im Elfenbeinturm, im Kloster. Gregor Mendel mit seinen Erbsenpflanzen, der konnte noch sagen: Ich bin reiner Wissenschaftler, Grundlagenforscher, ich bin nur für die Erkenntnis, an der Erkenntnis interessiert; ich will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. – Geht nicht mehr. Es ist vorbei."
Die heutige Grundlagenforschung im Bereich der Biologie und der Biomedizin führt zu lebenswichtigen Entscheidungen, steuert unabdingbar auf ethische Fragen zu. Menschen klonen? Stammzellen nutzen? Was tun, was unterlassen? Dem Titel der Doppel-CD nach sind dies "Teufelsfragen", schwierige Fragen, denen man nicht ausweichen darf, die nicht nur theoretisch beantwortet werden wollen, sondern praktische Entscheidungen erfordern – und deren Beantwortung womöglich eine Vielzahl neuer Fragen und Probleme nach sich zieht.
Diese Fragen, so Jens Reich, gehen nicht nur die Experten, hier: Biologen und Biomediziner etwas an. Es sind Fragen, die alle Mitglieder einer Gesellschaft betreffen und die in einer Demokratie schließlich Regierung und Parlamentarier zur Formulierung von Regelungen und Gesetzen veranlassen.
"Alle sitzen in dieser moralischen Zwickmühle und sollen eine Entscheidung treffen und haben die Verpflichtung, sich sachkundig zu machen – nicht Spezialisten zu werden, aber sachkundig zu machen, so dass sie wissen, worüber sie ein Urteil haben und dass sie auch wissen, was sie von ihren Abgeordneten und Regierungsministern usw. verlangen können. Sachkundig zu machen und in diesen grundsätzlichen Fragen eine Position zu entwickeln, die einerseits ehrenwert und würdig ist, anderseits aber auch die Konsequenzen beachtet und nicht einfach vor sich herschiebt oder ausklammert."
Jens Reich spricht, hier und da mag man fast sagen: er plaudert für jedermann verständlich über heikle Themen wie Stammzellen und Genforschung, über Vor und Nachteile, über Nutzen und Missbrauch der Gentechnik. Nur ein brisantes Beispiel: Auf gentechnischem Wege hergestellte Arzneimittel helfen bereits vielen Menschen; sie retten Gesundheit und Leben. Man denke etwa an Humaninsulin für Diabetiker und an Erythropoetin, das für Nierenkranke und Kranke mit Blutarmut verwendet wird. Bekannter ist Erythropoetin unter dem Kürzel EPO, wird es doch hier und da im Radsport sowie beim Skilanglauf für Doping missbraucht.
"Das sind gentechnisch hergestellte Produkte, Wachstumshormon, die einen Umsatz von Milliarden jedes Jahr haben und offensichtlich entsprechend vielen Menschen auch helfen, sonst würde es ja nicht dabei bleiben. Also da bin ich, ich bin da sehr optimistisch. Wir müssen eben nur einen sinnvollen Umgang mit den Missbrauchsmöglichkeiten und den moralischen Dilemmata entwickeln."
Im Laufe der gut zweistündigen Doppel-CD lässt Jens Reich seinen Gedanken freien Lauf und resümiert die Geschichte der Biologie, genauer: die Entwicklung der Genetik in den letzten gut 150 Jahren. In naher Zukunft mag man dank gentechnischer Forschungen Herzinfarkte vermeiden und Schwächen des menschlichen Immunsystems besser behandeln können. Das wird zur Steigerung der Lebensqualität, wenn nicht gar zur Verlängerung des menschlichen Lebens beitragen. Darf man das? Und: Welche Folgen hat das – für den einzelnen und für die Gesellschaft?
Fragen über Fragen. Eben die aber machen die Doppel-CD zu einem spannenden und anregenden Hörerlebnis. Mit seiner ethischen Position hält der Wissenschaftler nicht hinterm Berg, doch führt er die Hörer immer wieder in einen unübersehbaren Wald voller Fragen, wo sie angesichts ethischer Herausforderungen und Dilemmata ihre eigene Position finden müssen.
: Teufelsfragen. Ethische Konflikte in der Biomedizin
2-CD-Set, 130 Minuten
Booklet, acht Seiten
supposé, Köln 2005
24,80 Euro