Wege aus der Krise

Raus aus der Ohnmachtsfalle!

Ein Mann steht allein an einem Fenster und schaut nach draußen.
Wer sich ohnmächtig fühlt, erstarrt oder wird aggressiv. Beides sind schlechte Alternativen. © picture alliance / dpa / Thomas Eisenhuth
Jens Braak im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 12.12.2018
Nichts geht mehr, alle Optionen verspielt: Ein solches Ohnmachtsgefühl sei oft nur subjektiv und daher eine "Falle", meint der Business-Coach Jens Braak. Aus schwierigen Situationen kann man Auswege finden - wenn man seine innere Freiheit behält.
Liane von Billerbeck: Theresa May auf Europatour, um den Brexit-Vertrag irgendwie zu verbessern und Druck wegzunehmen, diesen Druck, der als Dauerdruck auch aus den eigenen Reihen seit Wochen auf ihr lastet. Auch ihrem französischen Kollegen Macron geht es nicht viel besser. Unter dem Druck der Proteste der Gelbwesten hat er nun einige Teile seiner Reformen zurückgenommen, um den Demonstranten entgegenzukommen.
Bei May und auch bei Macron, da scheint aber irgendwie alles, was sie tun, als falsch wahrgenommen zu werden. Wie aber können sich Spitzenpolitiker in einer solchen Extremsituation wieder Luft verschaffen. Darüber wollen wir reden mit Doktor Jens Braak. Er ist promovierter Physiker, Hochleistungscoach und Zufallsexperte – interessante Kombi. Schönen guten Morgen!
Jens Braak: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Theresa May ist in keiner beneidenswerten Lage. Das Unterhaus will ihren Brexit-Vertrag nicht annehmen, in Brüssel möchte niemand nachverhandeln. Das ist das klassische Dilemma. Wie könnte sich Theresa May denn da trotzdem irgendwie wieder Handlungsspielräume erschließen?
Premierministerin Theresa May gibt vor ihrem Amtssitz eine Erklärung ab.
Die britische Premierministerin Theresa May spricht über das bevorstehende Misstrauensvotum gegen sie: Vielleicht fühlt sie sich ohnmächtig derzeit. Vielleicht aber nutzt sie auch kämpferisch neue Optionen, die sich aus der Krise ergeben.© dpa-Bildfunk / AP / Renee Bailey
Braak: Das finde ich schon mal sozusagen ganz spannend, dass wir sie betrachten unter der Perspektive, dass sie keine Handlungsspielräume hätte oder zu wenig. Oder dass wir ihr, so wie der Titel ja unseres Gesprächs auch nahelegt, dass wir sie in einer Form von Ohnmacht vielleicht vermuten. Oder der Teaser, "Sie kämpft ums Überleben" – das sind so die Bilder, die wir von draußen haben, von so einer Politikerin.
Wie es in ihr aussieht, das kann durchaus unterschiedlich sein. Es könnte also durchaus sein, wenn man sich die Bilder von ihr anguckt, dass sie mit so einem Biss dabei ist, der in ihr Kampfeslust weckt, und dass sie eigentlich sagt, jetzt fängt meine Komfortzone an. Aber es kann natürlich auch ganz anders sein.
von Billerbeck: Komfortzone klingt gut. Wenn ich mir die Bilder in Erinnerung rufe da aus dem Unterhaus, man sah sie da mit ihrer Perlenkette stehen, die Rede halten. Es gab höhnisches Gelächter, und sie hat aber einfach weiter geredet. Meinen Sie, das ist gar nicht schlimm für sie, sie genießt es vielleicht geradezu?

Der Umgang mit Kontrollverlust ist "hochindividuell"

Braak: Das wissen wir natürlich nicht. Ich habe ja nicht mit Theresa May gearbeitet, und selbst, wenn ich es hätte, könnte ich es Ihnen jetzt nicht sagen.
von Billerbeck: Schade eigentlich.
Braak: Ja, schade. Das wäre noch mal ganz spannend. Nein, aber das ist eine hochindividuelle Sache, wie man mit solchen vermeintlichen Kontrollverlustsituationen umgeht. Der eine oder andere fühlt sich da in die Sackgasse gedrängt, der nächste hat total Angst vorm Scheitern, manche sind einfach nur wütend oder ängstlich, sind frustriert oder auch gelähmt.
Diese Konstruktion von Situationen, in denen man so Ohnmacht empfindet, sind sehr, sehr unterschiedlich. Aber ich sag mal, unabhängig davon, wie stark jetzt Theresa May das für sich persönlich empfindet, wenn wir mal vermuten, dass es vielleicht auch nicht ganz so angenehm ist, kommt es natürlich grundsätzlich für sie auf zwei Sachen an.
Das eine ist, dass sie innerlich eine Freiheit behält und aus so einer Ohnmachtsfalle rauskommt beziehungsweise gar nicht erst hineinfällt. Also dieses Spannungsfeld zwischen Allmacht und Ohnmacht, das ist ja eigentlich was, was die Politiker ständig beschäftigt, da jonglieren sie ja drin rum. Und manchmal, das kennen wir vielleicht auch aus dem privaten oder beruflichen Leben, sind wir in so Situationen, wo wir das Gefühl haben, wir können jetzt gar nichts mehr ändern, wir scheitern vielleicht kolossal. Und dann nicht in so eine Ohnmachtserstarrung oder in so eine übertriebene Wut und Aggressivität zu kommen, das ist schon mal der eine Aspekt.

Das Scheitern eröffnet neue Alternativen

Und der zweite Aspekt ist eigentlich der, dass man sich auch inhaltlich überlegt, welche alternativen Möglichkeiten habe ich. Dass sie jetzt die Abstimmung verschiebt, ist eine Möglichkeit. Der Europäische Gerichtshof, wenn ich das richtig verstanden habe, hat jetzt die Möglichkeit noch mal in den Raum gestellt, dass man den ganzen Brexit auch eigentlich stornieren könnte. Also dass sie auch inhaltlich immer wieder neu und kreativ überlegt, was kann sie eigentlich machen, welche Alternativen gibt es.
von Billerbeck: Also die scheinbare Ausweglosigkeit, die wir da manchmal attestieren, die sehen Sie gar nicht?
Braak: Nein. Die kann total stark gefühlt sein, also richtig existenziell. Es könnte sein, dass sie das Gefühl hat, sie kämpft ums Überleben, und wenn sie das nicht hinkriegt, dann ist sozusagen der Tod nahe.
von Billerbeck: Zumindest der politische.
Braak: Ja, genau. Das wäre dann schon die günstigere Variante als der komplette. Das kann natürlich sein, das wissen wir nicht. Aber wenn wir selbst in Ohnmachtssituationen sind, sind diese Gefühle einfach immer so stark, dass es sich lohnt, sich um die Gefühle zu kümmern. Aber oft eben immer in Kombination mit konkreten Möglichkeiten der Veränderung.
von Billerbeck: Nun haben Sie ja vorhin so angedeutet, man muss sozusagen die innere Stärke irgendwie behalten. Wie schafft man es denn, wenn man über Wochen, manchmal über Monate oder, denken wir an Angela Merkel, über Jahre und Jahrzehnte so einen extremen Druck aushalten muss, wie schafft man es, dass man da bei sich bleibt, um es mal so küchenpsychologisch zu sagen.

"Sich selbst als wirkungsvoll empfinden"

Braak: Ich finde, es hilft immer total, sich anzuschauen, woher man eigentlich Anerkennung bekommt. Und da haben wir alle das Bedürfnis, Anerkennung von außen zu bekommen. Wir beide, die wir hier jetzt reden, und viele Menschen hören uns zu, wir freuen uns natürlich, wenn die sagen, das war ein interessantes Gespräch, dann bekommen wir Anerkennung von außen.
Aber genauso wichtig ist es, diesen anderen Pol zu haben, Anerkennung von innen. Sich selbst genug zu sein, sich selbst als wirkungsvoll zu empfinden und zu sich zu stehen und zu sagen, ich bin eigentlich ein toller Mann, ich bin eine tolle Frau, und ich mache auch einen guten Job, auch wenn es im Moment nicht so läuft. Und sich darum ernsthaft zu kümmern, wie viel Anerkennung kriege ich gerade von draußen, wie viel Anerkennung muss ich mir selber geben, und habe ich die Ressourcen, das hinzukriegen? Da hinzugucken, daran zu arbeiten, das ist ganz wichtig.
von Billerbeck: Das ist wichtig. Aber gerade bei Politikern und Politikerinnen ist es ja oft ganz schwer, dieses Moment des Innehaltens überhaupt zu haben. Denn wenn man sich anguckt, was sie für Terminkalender haben, wie wenig Zeit da genau für so was bleibt, um sich zu sagen, komm, mach dich nicht fertig, oder von jemand anderem sich sagen zu lassen, bleib mal ganz ruhig, es gibt noch andere Dinge. Politik ist wichtig, aber nicht alles. Das schaffen die ja meistens gar nicht.
Emmanuel Macron während seiner Ansprache.
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron steht unter großem Druck. Hier hält eine Rede an die Franzosen und geht auf Forderungen der Gelbwesten ein.© imago/ZUMA Press
Braak: Die sind halt in diesen Hochleistungsphasen. In diesen Hochleistungsphasen ist vielleicht für ewig lang Kaffeetrinken vielleicht keine Zeit. Trotzdem kann man auch da Ressourcen für sich erschließen, sei es fünf Minuten Meditation, sei es das regelmäßige Gespräch mit einem vertrauten Partner, der einen wieder auf die eigenen Energien zurückbringt, sei es vielleicht auch die morgendliche Gymnastik, wie auch immer.

May und Macron können nicht einfach Urlaub nehmen

Oder dass man einfach im Terminkalender sich kleine Blocker einbaut, dass man da für sich ist und sich auf sich fokussiert und konzentriert. Das sind so die Tools, mit denen man da arbeiten kann. Mal eben zwei Wochen Urlaub zu machen, ist, glaube ich, für Frau May im Moment schwierig, auch für Macron wird das schwierig sein. Das geht natürlich nicht, aber man muss es sozusagen als Routine in den Arbeitsalltag einbauen, sonst brennt man irgendwann aus.
von Billerbeck: Doktor Jens Braak war das. Wir sollten Ihre Ratschläge nach London und Paris übermitteln, und ich sehe gerade Theresa May vor mir, Yoga machen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Braak: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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