Wegbereiter der Abstraktion

Von Tobias Barth |
Lovis Corinth gilt als einer der einflussreichsten Maler des deutschen Impressionismus. Das Leipziger Museum der bildenden Künste zeigt nun rund 100 Gemälde und 50 Zeichnungen des Künstlers, der vor 150 Jahren geboren wurde.
Ein überdimensionales Plakat prunkt am Museum der bildenden Künste in Leipzig: Die Salome, wie Lovis Corinth sie 1900 malte: Lässig, lasziv, lüstern, mit bloßen Brüsten sich über ein Tablett beugend, auf dem der abgetrennte Kopf liegt von Johannes dem Täufer. Und während das Museum draußen auf die noch immer verstörende Wirkung des Malers Lovis Corinth baut, setzt es innen Zeichen die auf Paris verweisen. Grau und Rot wurden die Wände für diese Ausstellung gestrichen – in Anlehnung an das Pariser Musée d’Orsay, den Kooperationspartner. Hans-Werner Schmidt, Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig, ist sichtlich froh über die Zusammenarbeit.

"Das war ein Zusammentreffen hier in Leipzig im Jahr 2005, da kam Serge Lemoine, der Direktor des Musée d’Orsay, um dieses neue Haus kennenzulernen. Man hatte ja in der internationalen Presse Spektakuläres davon gehört. Und anlässlich dieses Besuches, auch wissend, dass wir hier ganz starke Corinth-Bilder haben, wurde die Idee geboren, ob man nicht dieses Projekt zusammen macht. Und das war für uns natürlich, für Leipzig, kam uns wie eine Nobilitierung vor, dass so ein grandioses Museum wie das d’Orsay uns als Partner sucht."

2000 Besucher täglich lockte die Pariser Ausstellung an, jetzt kommt sie nach Leipzig. Knapp 100 Gemälde von Corinth aus allen Werkphasen trugen die beteiligten drei Museen zusammen. Die Auswahl spannt den Bogen vom elanvollen Salonmaler über den Impressionisten, den Porträt- und Landschaftsmaler bis zum Vorwegnehmer des amerikanischen aktion-paintings.
Inmitten dieser Vielfalt verschwindet die Salome beinahe, das Paradestück, das sich möglicherweise einem Scheitern verdankt. Ulrike Lorenz, Direktorin Ostdeutsche Galerie Regensburg:

"Da gibt es eine Aussage eines Freundes von ihm, die treffen sich auf der Straße, 1900 in München, und Corinth brummelt in seinem breiten ostpreußischen Dialekt, er wird mit diesem Bild nicht fertig, er kriegt das einfach nicht hin, dass die Salome den Johannes anguckt. Und das verrückte ist, das nur aufgrund dieses schrägen Blicks, nämlich dieses Scheiterns, der Freund von Corinth, nämlich Leistikow, dieses Bild so grandios findet, der sagt, das ist ja fantastisch, dass die den Johannes nicht anguckt, das nehme ich mit nach Berlin in die Sezession und das war der beginn eines unglaublichen Erfolg Corinths in Berlin und der Beginn seiner großen Karriere."

Lovis Corinth wurde vor 150 Jahren im ostpreußischen Tapiau geboren, sein Weg führte über Amsterdam und München nach Berlin mit den künstlerischen Stationen Akademischer Maler, einflussreicher Impressionist, Wegbereiter der Abstraktion und der Moderne. Die Ausstellung wandert von Paris nach Leipzig und Regensburg und wurde von der Kulturstiftung des Bundes unterstützt, eine Institution, die ja eher für die Förderung zeitgenössischer Kunst bekannt ist. Den Machern ging es nicht nur darum, einen grandiosen deutschen Maler auch in Frankreich bekannt zu machen, für Hortensia Völkers, Direktorin der Bundeskulturstiftung, begründet sich das 240.000 Euro starke Engagement auch in der Modernität des 1925 verstorbenen Malers Lovis Corinth:

"Er malt sich immer wieder neu in verschiedenen Aufmachungen, weil er der Meinung ist, er muss sich immer wieder selbst konstruieren. Und das ist natürlich schon eine sehr moderne Auffassung. Zum einen, und zum anderen ist natürlich die Art und Weise, wie er dann gemalt hat, in den späten Jahren ein wilder Maler, der reibungslos fortgesehen werden kann in die 70er, 80er Jahre, und ich finde, sehr zeitgemäß."

Lovis Corinth schafft, selbst wenn er gängige Sujets wählt, immer einen eigenen Blick. Seine Christusdarstellungen etwa bestechen durch die zudringliche Fleischlichkeit. Da wird die Kreuzabnahme zur grausamen Endszene eines brutalen Mordes, Ausstattung und Gesichter der beteiligten Personen aktualisieren den Stoff auf bedrückende Weise. Daneben aber spielt Fleisch auch als das Begehrenswerte eine große Rolle in diesem Werk. Diese dionysische Seite des Werkes blitzt in den vielen Akt-Malereien auf, oft kombiniert mit einer ironischen oder selbstironischen Note – etwa wenn sich Corinth als Bachus malt, den Kopf mit Weintrauben geschmückt, in der einen Hand ein Glas und in der anderen die Brust der Gespielin. Als "Maler für Maler" ist Corinth gern apostrophiert worden, weiß Ulrike Lorenz zu berichten:

"Das Verrückte ist ja, das Corinth immer unabhängig von der Wahrnehmung des breiten Publikums wo ja Corinth jahrzehntelang keine Rolle gespielt hat, Corinth immer ein Künstler für Künstler gewesen ist, einer der von den Machern als Macher erkannt wurde, als Vorbild. Und da ist das Interessante, das sowohl in der Ost- wie in der Westkunst einzelne Figuren immer wieder auf Corinth zurückgegriffen haben."

Diesen Faden nimmt das Museum der bildenden Künste in Leipzig auf und zeigt in einer parallelen Schau die Werke von Künstlern, die sich explizit auf Lovis Corinth beziehen und berufen. Willi Sitte ist dabei und Bernhard Heisig, Anselm Kiefer, Sieghard Gille und Hartwig Ebersbach, für den bis heute Corinth ein Impulsgeber ist:

"Man kann die Bilder riechen, man kann den Duft der Frauen den Bildern abnehmen, und diese Kraft der Natur hat mich sehr beeindruckt."

Die Ausstellung in Leipzig bietet also etwas, was in Paris und Regensburg so nicht zu sehen war oder sein wird. Und darauf kann Direktor Hans Werner Schmidt stolz sein, mehr noch als über die gelungene Kooperation.

"Wir haben absichtsvoll jetzt hier in diesen Ausstellungsteil das letzte Selbstportrait von Corinth gehängt, wo er sich in einem Spiegel noch mal wiedergibt, im Profil, wo er, man hat fast das Gefühl er tritt aus dem Bild heraus durch das Wegschauen, und das ist ja wirklich auch das Letzte, das Raustreten aus dem Leben und auf diese Wand, durch diesen grauen Streifen deuten wir an, das ist ja auch die Fortsetzung, weil das ja unten die dominierende Farbe ist, kommen drei Zitate. Ein Zitat von Lovis Corinth, aus seinem letzten Lebensjahr 'Das höchste ist in der Kunst, sich von der Wirklichkeit zu entfernen'. Daneben ein Zitat von Anselm Kiefer, der meint, 'Corinth sei für die Abstraktion viel wichtiger als Kandinsky' und das letzte Zitat ist von Bernhardt Heisig: 'Wer Corinth nicht versteht, versteht nichts vom Malen.'"

Service: Die Ausstellung "Lovis Corinth und die Geburt der Moderne" ist vom 11. Juli bis 19. Oktober 2008 im Museum der bildenden Künste Leipzig zu sehen.