"Weg mit den heiligen Kühen"

Von Michael Schornstheimer |
Deutschland und Europa seien dazu verurteilt, ihre Bildungs- Forschungs- und Entwicklungssysteme fortwährend zu verbessern, meint der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog in seinem Buch. Er fordert darum: "Weg mit den heiligen Kühen, die jeder für sich züchtet."
Zwei Hürden muss man nehmen, bevor es richtig losgeht. Die erste ist das Vorwort, die zweite ein Fragenkatalog. "Wie kann Deutschland wieder reformfähig werden?", fragt Roman Herzog im Vorwort. Will er damit sagen, dass das Land bisher reformunfähig war? Das klingt nach Wahlkampf und parteipolitischer Voreingenommenheit.

Notwendig seien Hunderte kleiner Schritte, "die sich im Lauf der Zeit aber summieren und auszahlen werden". Doch "viele kleine Schritte" sind bekanntlich das Gegenteil von "einem großen Ruck".

Dem Vorwort folgen zehn Fragen, mit kurzen, holzschnittartigen Antworten. Kostprobe:

" Oft hat man den Eindruck, dass Deutschland in Lethargie zu versinken droht. Was ist dagegen zu tun? "

"Alle müssen dagegen angehen, und zwar öffentlich", belehrt uns Roman Herzog. "Weg mit den heiligen Kühen, die jeder für sich züchtet", fordert er.

Doch es lohnt sich, diese Hürden zu überwinden. Denn was dann folgt, ist differenzierter und bietet Stoff zum Nachdenken. Roman Herzog skizziert die Entwicklung einer dynamischen und globalen Weltwirtschaft. Deutschland und Europa seien dazu verurteilt, ihre Bildungs- Forschungs- und Entwicklungssysteme fortwährend zu verbessern.

Herzog ist sich dessen bewusst, dass den meisten Bürgern nach Abzug ihrer festen Kosten nur noch sehr wenig Geld übrig bleibt. Deshalb ist er dagegen, den Zusatz "sozial" bei der Marktwirtschaft zu streichen. Die Einkommen noch weiter zu senken oder die Sozialleistungen auf das Niveau der konkurrierenden Nationen abzusenken, hält er erstens für "phantasielos" und zweitens für nicht praktikabel.

Herzog wettert zu Recht gegen die Verschwendung von Geldern. Leider führt er als Beispiel an, dass Milliarden verpulvert werden in Umschulungsmaßnamen für Arbeitslose, die nur wenig bringen. Für die "Nieten in Nadelstreifen", die sich ihr berufliches Scheitern im Management mit Millionen Euro Abfindung versüßen lassen, findet er keine so klaren Worte. Schade! Er leistet ihnen sogar Schützenhilfe: Man solle dies "viel weniger neidbelastet" diskutieren, meint er.

Als Sanktion gegen die Vergeudung öffentlicher Mittel schlägt er folgendes vor:

" Diese Beträge sind selbstverständlich ausgegeben und können meist auch nicht mehr zurückgeholt werden. Nichts spricht jedoch dagegen, der handelnden Behörde denselben Betrag im folgenden Haushaltsjahr (vom Etat) abzuziehen. Sie braucht das Geld ja nicht wirklich, sonst hätte sie es bestimmt sinnvoller verwendet. "

Roman Herzog empfiehlt, Gesetzgebungsverfahren zu straffen und Verwaltungsverfahren zu reduzieren. Eine Verfassungsänderung solle dafür sorgen, dass Bundesrat und Bundesregierung sich nicht gegenseitig blockieren.

" Man müsste nur die Bestimmungen des Grundgesetzes aufheben, die dem Bund das Recht geben, in die Verwaltungszuständigkeit der Länder hineinzuregieren. Dann wären die Länder zufrieden. (...) Zufrieden sein könnte aber auch der Bund, weil die Zahl der Zustimmungsgesetze dann mit Sicherheit wieder auf das Normalmaß schrumpfen würde."

Auch den Zusammenschluss von Industriekonzernen zu immer größeren Firmenriesen sieht Roman Herzog skeptisch:

" Man kann es nicht dick genug unterstreichen: Verbürokratisierung ist nicht nur der fundamentale Fehler des Staates und anderer öffentlicher Institutionen, sondern sie ist der Fehler aller großer Organisationen."

Deshalb sollten diese Konzerne politisch weniger Unterstützung bekommen, der Mittelstand hingegen umso mehr.

Weiterhin wirbt der Autor für einen Wohlstandsausgleich zwischen den reichen und armen Ländern. Die Schere zwischen ihnen müsse sich wieder etwas schließen, mahnt er. Wirtschaftszweige, die die westlichen Industrienationen nicht mehr rentabel betreiben können, sollten sie lieber freiwillig aufgeben und den Ländern des Südens überlassen, anstatt sie mit hohen Zöllen zu schützen. Das ist ein interessanter Vorschlag des ehemaligen Bundespräsidenten.

Doch an einem alten Grundsatz wagt auch Roman Herzog nicht zu ruckeln, nämlich an der längst überholten Gleichung: mehr Wachstum gleich mehr Investitionen gleich mehr Arbeitsplätze. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Mehr Investitionen bringen mehr Automatisierung und weniger Arbeitsplätze. Das ist unser Grundproblem! Und das löst auch Roman Herzog nicht.