Weder Idylle noch Einöde

29.07.2009
Alles über die - geographische ebenso wie geistige - Provinz findet man in diesem höchst unterhaltsamen und klugen Lexikon der besonderen Art. Von A wie Aas und Aberglaube bis Z wie Zuckerrübe und Zylinder. Und mit so manchem Klischee wird hier auch aufgeräumt.
Das Buch des aus Überzeugung in der niedersächsischen Provinz lebenden Autors will die Klischees über die Provinz aus der Welt schaffen. Dem oft beschriebenen Antagonismus zwischen Stadt und Land wird deswegen ebenso wenig Beachtung geschenkt wie dem vermeintlichen Zufluchtsort für Zivilisationsmüde.

Stattdessen geht es hier um die harte Wahrheit, zum Beispiel über die bildenden Künstler, die - im Gegensatz zu den Schriftstellern, die geballt in den Großstädten anzutreffen sind - sich häufig in der Provinz ansiedeln und dort ebenso häufig grauenvolle Kunst fabrizieren oder die modernen Bewegungsmelder, die inzwischen sogar an der Kirche angebracht werden, was den Autor zu der Überlegung veranlasst, ob Gott inzwischen nachtblind sei.

Henning Ahrens ist auf dem Land aufgewachsen, weiß deswegen gut, dass die vermeintliche Idylle fern der Stadt nur ein "Transit auf dem Weg zur nächsten Katastrophe" ist. Zur Liste der verbreiteten Provinz-Katastrophen gehört der Jägerzaun ebenso wie die beleuchtete Schafweide und der blinkende Weihnachtsschmuck, das "sterile Licht der Seelenlosigkeit".

Aber es geht in diesem Kompendium, das ein Entdeckungs- und ein Erinnerungsbuch zugleich ist, nicht nur um die geographische, sondern auch um die geistige Provinz.

"Im ersten Fall sind die Grenzen geklärt; im zweiten Fall sind sie weniger leicht zu bestimmen, denn der geistige Provinzialismus bzw. die Provinz in uns ist auf keine bestimmte Region beschränkt, sondern überall zu finden."

Der Lyriker und Romancier Ahrens geht in diesem Sinn gegen die netten Hundehalter und die ökologisch bewussten Torfklobesitzer ebenso vor wie gegen Gesundheitsfanatiker und politische Korrektheit. Die ist ihm das beste Beispiel für tief provinzielle Engstirnigkeit. Man erfährt in diesem besonders schön gestalteten Buch aber auch ganz handfest, was etwa eine Realgemeinde ist oder woher der Begriff Picke kommt. Lieblingsstichworte findet jeder seine eigenen bei und nach der Lektüre, meines lautet "Wetter".

Besprochen von Manuela Reichart

Henning Ahrens: Provinzlexikon
Buchgestaltung und Illustration von Jana Cerno
Knaus Verlag, München 2009
304 Seiten, 19,95 EUR