Wasserwelten im Wohnzimmer

Weit, tief, unberechenbar: Lange haben sich die Menschen vor dem Meer gefürchtet. Der Kulturhistoriker Bernd Brunner beschreibt nun, wie das Interesse über diese Angst siegte: durch allmähliche Erforschung des Meeres, durch Sammelleidenschaft und durch Hausfische in Aquarien.
Lange haben sich die Menschen vor dem Meer geängstigt. Es ist ja auch danach: weit, tief, dunkel, unberechenbar, voller Zumutungen. Im Märchen "Wie einer auszog, das Fürchten zu lernen" sind es erst Fische, die das Fürchten lehren. Der Kulturhistoriker Bernd Brunner erzählt, wie das Interesse über die Angst siegte: durch allmähliche Erforschung des Meeres, durch Sammelleidenschaft und durch Hausfische in Aquarien.

Zierfischteiche gab es nämlich schon Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung. Die ersten Versuche, Fische in Glasgefäßen zu halten, wurden aber erst im 16. Jahrhundert gemacht. Und es dauerte bis ins 19. Jahrhundert, dass Aquarien populär wurden. Die Vorläufer waren Geräte für Forscher, Holzkästen mit Versuchstieren, die im Meer schwammen und zur Beobachtung hochgezogen wurden. Das Problem, das zu lösen war, bestand darin, wie man Pflanzen und Tiere stabil in einer Miniatur-Umwelt halten konnte. Dazu musste man wissen, welche Pflanzen geeignet sind und wie sie mit Fischen, Schnecken, Algen zusammenwirken und nicht zuletzt: wer wen auffrisst. Der Fisch ist eben ein besonderes Haustier. Es war schließlich der englische Privatgelehrte Philip Henry Gosse, der 1853 nicht nur den Begriff "Aquarium" durchsetzte, sondern mit seinen Schriften auch für die Verbreitung der kleinen Wasserwelten sorgte. Die Absicht seiner farbenfrohen Beschreibungen und Anweisungen, wie jeder zum eigenen Aquarium kommen könne, war dabei das Lob der Schöpfung in jedem bürgerlichen Haushalt.

Bernd Brunner berichtet sehr anschaulich und mit Dutzenden von kuriosen Abbildungen der seltsamsten Aquarien, wie viel dafür zusammenkommen musste: billiges Industrieglas, Transportwege für den Fachhandel mit Meeresinhalten, Herstellung künstlichen Meerwassers, später Strom für den Wasserfluss und die Heizung sowie Naturbegeisterung zwischen Physiktheologie und Evolutionslehre. Für Gosse war jedes Aquarium eine Arche Noah.

In Deutschland ging es mehr um naturkundliche Belehrung und um das gemütliche Heim. Hier wurden Süßwasser-Aquarien bevorzugt, und es wurde sogar versucht, Meerestiere an salzarme Umgebung zu gewöhnen. Umgekehrt sorgte der Handel dafür, dass die Insassen der Aquarien immer exotischer wurden. Um 1900 kommt das erste Handbuch zur Einfuhr von Fischen aus fernen Ländern heraus. Brunner skizziert die Entstehung der öffentlichen Großaquarien und er erwähnt die Schattenseiten des Fischesammelns: Pro Jahr kommen mehr als 20 Millionen tropische Fische und zwölf Millionen Korallen in den Handel und schon im 19. Jahrhundert wurden Englands Küsten leergeplündert. Der einstige Zauber, meint Brunner, ist inzwischen verflogen. Er hing wohl doch an der Unheimlichkeit des Meeres und an Motiven, die übers Hobby hinausgingen.

Besprochen von Jürgen Kaube

Bernd Brunner: Wie das Meer nach Hause kam. Die Erfindung des Aquariums
Wagenbach, Berlin 2011
144 Seiten, 10,90 Euro