Wasser-Paradies Kirgistan

Die Plansch-Party wird enden

Kinder spielen in den Aryk-Kanälen - den traditionallen Wasserleitungen in Kirgistan, die in allen Städten sind.
Kinder spielen in den Aryks, traditionalle Wasserleitungen in Kirgistan. © Deutschlandradio / Margarete Wohlan
Von Margarete Wohlan · 29.08.2018
Die Länder in Zentralasien stehen vor einem großen Umbruch. Bisher war durch die Gletscher Wasser im Überfluss vorhanden. Aber das Eis schmilzt, Wasser muss einen Wert erhalten, Verschwendung enden, die Energieversorgung neu geregelt werden.
Issyk Kul ist der zweithöchste Gebirgssee der Welt, gelegen im Norden Kirgistans auf 1600 Metern, umgeben von schneebedeckten Bergen zwischen 4000 und 5000 Metern Höhe, wie dem Tien Shan. Früher einer der beliebtesten Urlaubsgegenden für die Menschen aus der Sowjetunion, aber mittlerweile auch für Europäer, Israelis, Australier und Kanadier.

Das Besondere am Issyk Kul: Er hat mehrere Zuflüsse, aber keinen Abfluss, so dass hier der Wasserspiegel mehr oder weniger gleich geblieben ist in den letzten Jahrzehnten. Insofern fragen die Anwohner, wenn man sie nach dem Klimawandel fragt: "Welcher Klimawandel?" Das ist aber natürlich nicht überall im Kirgistan so.
Der zweithöchstgelegene Bergsee der Welt: Issyk Kul im Norden Kirgistans sieht aus wie ein Meer mit Bergen im Hintergrund.
Der zweithöchstgelegene Bergsee der Welt: Issyk Kul im Norden Kirgistans.© Deutschlandradio / Margarete Wohlan

Globale Erwärmung bedroht Wasserversorgung

In Kirgistans Hauptstadt Bischkek wohnen rund eine Million Menschen, viele Flächen sind betoniert, nur der Botanische Garten, betrieben von der Akademie der Wissenschaften, ist noch als großes Stück Natur erhalten geblieben. 151 Hektar grüne Oase, die auch mit dem kirgisischen Wasserleitungs-System "Aryk" bewässert wird. Das sind kleine gemauerte Kanäle, die alle Städte durchziehen und das Wasser von den Bergen direkt zu den Menschen leiten. Aber was ist, wenn dort kein Wasser mehr hinab fließt?
"Wir spüren die Klimaveränderungen nicht nur im Botanischen Garten, sondern in der ganzen Stadt. Es war noch nie so heiß. Andererseits hat es den ganzen Juni über geregnet. Das hat es noch nie gegeben. Das heißt also: es gibt klimatische Verschiebungen. Hinzu kommt, dass unser Bewässerungs- und Regulierungssystem mit den Aryks nicht richtig funktioniert – dadurch haben wir ständigen Wasserverlust. Dennoch ist unser Botanischer Garten – noch – ein außergewöhnlicher Ort im Zentrum der Hauptstadt, der die 'Lunge der Stadt' ist und den Leuten gesunde, saubere Luft zum Atmen gibt."
Sagt die Leiterin des Botanischen Gartens in Bischkek: Gulai Tschynybekovna Donbaeva. Und sie spricht etwas an, was ich schon oft, besonders in den urbanen Gegenden von Kirgistan hörte: Es fehlt an sauberer Luft - das spüren die Menschen schon, aber das Problem mit dem Wasser ist noch nicht angekommen, weil es noch fließt. Aber die Region muss sich umstellen.

Das Ende der Sowjetunion ist ein Problem

Zentralasien – das sind heute fünf unabhängige Staaten, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 in der Wasser- und Energieversorgung neu aufstellen müssen. Wie, erklärt Michael Brody - Professor der Umweltwissenschaften an der American University in Washington DC, viele Jahre Forschungsarbeit in Zentralasien: erst Kasachstan, dann Usbekistan und momentan in Kirgistan. Ich traf ihn an der Amerikanischen Universität von Zentralasien in Bischkek:
"Die Berge mit den Gletschern liegen hauptsächlich in Kirgistan und Tadschikistan. Und die anderen drei Länder wie beispielsweise Usbekistan sind abhängig von diesem fließenden Wasser aus den Bergen, das von den Gletschern im Sommer in die Flüsse rinnt. Als es die Sowjetunion noch gab, war das kein Problem, weil Moskau die Länder zur Zusammenarbeit gezwungen hat. Es gab ein einheitliches Energiesystem für Zentralasien: Wasserkraftwerke in Kirgistan und Tadschikistan - und im Frühling und Sommer wurde das Wasser weitergeleitet an Usbekistan, Turkmenistan und Kasachstan. Im Winter haben diese drei ihre fossilen Energien – Kohle aus Kasachstan und Gas aus Usbekistan und Turkmenistan – an die zwei Gebirgsländer abgegeben. Aber jetzt ist alles anders und das muss wirklich langfristig angegangen werden: Wie kann man die Wasservorräte in diesen fünf Staaten effizient steuern und verteilen, weil das Wasser zukünftig weniger wird."
Von den Gletschern im Norden Kirgistans speist sich die Wasserversorgung der gesamten Region.
Von den Gletschern im Norden Kirgistans speist sich die Wasserversorgung der gesamten Region.© Deutschlandradio / Margarete Wohlan
Die fünf Staaten haben grundsätzlich gegenläufige Interessen: Tadschikistan und Kirgistan machen aus dem Wasser Strom und zwar vor allem, um im Winter zu heizen. Die haben ein Interesse daran, ihre Stauseen im Sommer volllaufen zu lassen und im Winter leerlaufen zu lassen, weil sie dann Strom produzieren, damit ihre Städte funktionieren. Usbekistan und Kasachstan sind Baumwollproduzenten und haben Interesse daran, dass im Sommer möglichst viel Wasser runterkommt. Das führte zu politischen Konflikten. Neben der politischen Komponente gibt es aber auch die umweltbedingte, wie Michael Brody sagt:
"Das Besondere an Zentralasien ist, dass alle Wasservorräte in den Bergen sind – nämlich die Gletscher, die kontinuierlich zu schmelzen scheinen. Wenn Sie sich die Daten des Weltklimarats IPCC anschauen, stellen Sie fest, dass zwischen den 60er Jahren, als die ersten Daten erhoben wurden, und denen vor zehn Jahren, als die letzte Analyse vom Weltklimarat veröffentlicht wurde, die Gletscher um fünf bis 15 Prozent geschmolzen sind. Das betrifft den Pamir und den Tian Shen und das ist die wichtigste Wasserquelle in und von Zentralasien."
Und wenn das so weiter geht mit dem Schmelzen der Gletscher, haben alle fünf Länder in Zentralasien ein echtes Problem. Viele müssen ihre traditionelle Lebensweise umstellen.

Die Einstellung aus der Nomaden-Zeit ändern

Die Kirgisen sind von der Geschichte her ein Nomadenvolk und schätzten den Wert des Wassers, meint Dmitrij Bereslavski, Umweltaktivist in Bischkek, der sich für die Erhaltung und Wiederherstellung des Botanischen Gartens engagiert:
"Die traditionelle Lebensweise der Kirgisen war geprägt durch einen sehr behutsamen Umgang mit der Natur. Als Nomadenvolk haben sie ihre Siedlungs- und Weideplätze häufig gewechselt, haben die Natur wenig beeinflusst, und so konnte sich die Natur regenerieren. Heute sind wir sesshaft, leben in Städten und sind auch viel mehr Menschen als früher. Früher zu Zeiten der Nomaden gab es keinen Abfall, den die Natur nicht verarbeiten konnte. Das ist jetzt total anders. Und doch lassen wir es zu, bereiten das nicht auf. Wir müssen unsere Einstellung ändern, daran führt kein Weg vorbei."
Kirgisischer Umweltschüter Dmitrij Bereslavski im Gespräch mit Margarete Wohlan.
Kirgisischer Umweltschüter Dmitrij Bereslavski im Gespräch mit Margarete Wohlan.© Deutschlandradio / Margarete Wohlan
Michael Brody, der viel Kontakt zu Studenten hat, fasst das direkter und krasser zusammen:
"Wenn Sie sich z.B. nur Bischkek und Umgebung anschauen, dann sehen Sie: Die jährlichen Schneeschmelzungen werden in den Kanälen, den Aryks, aufgefangen. Von dort sickern sie einfach in den Boden. Wohin ist nicht klar. Es könnte stattdessen für Strom aus Wasserkraft genutzt werden oder effizienter für die Landwirtschaft kanalisiert werden. Aber eine der wirklich großen Reformen hier in Zentralasien wird sein: die Einstellung zum Wasser zu ändern. Das Wasser wird oft verschwendet und missbraucht. All das ist unnötig! Ich versuche, meine Studenten zum Denken anzuregen, über Lösungen nachzudenken. Aber ich sag ihnen nicht, was sie tun sollen."
Wie wird nun den Menschen bewusst gemacht, was der Klimawandel und ihr verschwenderischer Umgang mit Wasser für sie bedeutet? Das ist ein langer Weg und wirklich sehr schwierig. In den Jahrzehnten der Sowjetunion wurde Wasser, Energie und auch der achtsame Umgang mit der Natur langsam vergessen.
Michael Schulte, der 2002 zum ersten Mal nach Kirgistan kam, seitdem immer wieder hier gewesen, und 2004/2005 ein Jahr in Bischkek gelebt hat – sich also seit 15 Jahren mit Land und dieser Region beschäftigt, erzählte mir:
"Es gibt jede Menge Wasserhähne, die nie aufhören zu tropfen, weil es keinen interessiert oder weil es einfach nicht wichtig ist. Meine Russischlehrerin, zugegebenermaßen das war 2004, die hat mir mal ganz empört erzählt: sie hätte gelesen, in Schweden, da würden jetzt sogar Leute Wasser sparen – das wäre ja absolut menschenunwürdig! Das ist die Haltung! Ein bisschen die sowjetisch-amerikanische Parallele: Großmacht ist, wer Ressourcen beliebig verschwenden kann. Ich glaube, das ändert sich, es gibt in Kirgistan mittlerweile zunehmend Umweltbewusstsein, es gibt ja auch viele Kampagnen, wo normale Bürger auf den Gedanken kommen, dass dieser Müll ein Problem ist, dass die Wasserverschwendung ein Problem ist, wo die Leute sehen, dass ihre Gletscher schmelzen – ob da die alltäglichen Konsequenzen draus gezogen werden, ist so ne Frage, aber ich glaube, es gibt eine Zivilgesellschaft, die sich für Umweltthemen interessiert. Das ist neu."

Politik sollte Wasser einen höheren Preis geben

Für US-Umweltforscher Michael Brody reicht das noch nicht – er ist davon überzeugt, dass man den Wert des Wassers neu beleben und mit Inhalt füllen muss:
"Was man hier braucht, sind politische Reformen – und deshalb komme ich zurück zu dem, wovon ich etwas verstehe: dem Wasser – man kann das Land nicht bewässern mit kostenlosem Wasser und erwarten, dass die Bauern das Wasser effizient nutzen. Also: es gibt weder eine gesetzliche Ansage, wie viel du nutzen darfst noch gibt es einen Markt dafür. Ich bin nicht der überzeugteste Kapitalist auf der Welt, aber ich glaube, dass das menschliche Verhalten durch Geld beeinflusst wird, also wäre eine gute Politik, nicht den Leuten zu sagen, wie sie etwas tun sollen, sondern ihnen ein Preissignal zu geben."
Reporterin Margarete Wohlan im Tian Shen im Norden von Kirgistan. Sie steht auf einem Berg, hinter ihr eine Bergkette.
Reporterin Margarete Wohlan im Tian Shen im Norden von Kirgistan.© Deutschlandradio / Margarete Wohlan
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