Wasser aus Lesotho

Für den Export, nicht die Dörfer

22:02 Minuten
Ein Wasserhahn aus einem Stein, an dem eine Hand dreht, aber es kommt kein Wasser.
Dorfbewohner klagen über die schlechte Wasserversorgung in Lesotho. © Roger Jardine
Von Leonie March · 14.09.2021
Audio herunterladen
Das Königreich Lesotho gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Um mehr Geld in die Staatskassen zu bekommen, exportiert die Regierung Wasser ins Nachbarland Südafrika. Darunter leiden Lesothos Ökosysteme und lokale Dorfgemeinschaften.
Kühles Quellwasser fließt aus zwei Metallrohren, die aus einem Betonquader ragen. Ein Hirte tränkt hier seine Schafe, zwei Mädchen füllen Eimer und Kanister mit Wasser. Es kommt direkt aus den Bergen, die das Dorf Ha Lejone im Hochland Lesothos umgeben. Der Transport ist beschwerlich: In Schubkarren und auf dem Kopf balancierend bringen die Mädchen es nach Hause.

In dieser Folge des Weltzeit-Podcasts hören Sie auch von Brett Hilton-Barber, warum Lesotho als erstes Land Afrikas in großem Maßstab Cannabis exportiert - auch nach Europa. Der Gründer des Informationsdienstes Cannabiz Africa beschreibt das wirtschaftliche Potenzial und die Diskussion um die Legalisierung.

© privat
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist - wie in vielen Gegenden Lesothos - eingeschränkt. Doch hier steht er im Kontrast zu den Wassermassen im Tal. Direkt nebenan glitzert die riesige Katse-Talsperre in der Sonne - das Herzstück des "Lesotho Highlands Water Project". Es besteht aus Staudämmen, Tunnelsystemen, Pumpstationen und Kraftwerken. Das Wasser ist nicht für Lesotho, sondern für den Export nach Südafrika bestimmt.
Die Versorgung ihres Dorfs habe sich nicht verbessert, sagt Mammpole Molapo. Im Gegenteil:
"Vor diesem Projekt hatten wir hier Wasser im Überfluss. Aber durch die Straßen- und Bauarbeiten für den Staudamm sind viele der Leitungen beschädigt worden, durch die das Wasser früher in unser Dorf geleitet wurde. Es wurde zwar versprochen, dass sie repariert werden, aber das ist in all den Jahren nicht geschehen. Und so ist in unserem Dorf das Wasser knapp."
Molapo ist die traditionelle Ortsvorsteherin in Ha Lejone, ein weiblicher Chief. Ihr Heimatdorf liegt auf rund 2300 Höhenmetern am nördlichen Ufer des Katse-Stausees.

Die Dörfer haben nicht vom Wasserexport profitiert

Hier säumen kleine Geschäfte die Straßen, Männer verladen Schafe auf einen Pick-up. Einige Häuser sind traditionell aus Naturstein gebaut, grasbedeckt und rund. Auch moderne, rechteckige Häuser mit Wellblechdächern sind in der Landschaft zu sehen.
Sie sitzen im Dorf vor einer Hütte auf einfachen Stühlen. Im Hintergrund die Berglandschaft von Lesotho.
Leonie March im Gespräch mit der Dorfvorsteherin von Ha Lejone: Mammpole Molapo. Im Hintergrund ist NGO-Mitarbeiter Mothusi Seqhee.© Roger Jardine
Früher war Ha Lejone nur schwer über unbefestigte Passstraßen erreichbar. Seit in den 90er-Jahren die Teerstraße im Zuge des Staudamm-Projekts gebaut wurde, ist es einfacher ins Tiefland zu fahren. Der Straßenbau wird von Lesothos Regierung als Vorteil angepriesen, ebenso wie Strom aus Wasserkraft und Wassergebühren, die allein im letzten Jahr rund 58 Millionen Euro in die Staatskasse des kleinen Königreichs gespült haben. Ein Teil sollte in die Entwicklung von Dörfern wie Ha Lejone fließen.
Doch das sei nicht der Fall, sagt Ortsvorsteherin Molapo. Unter dem Strich habe sich ihr Leben nicht verbessert. Das kleinbäuerliche Leben ihrer Kindheit existiert nicht mehr.
"Früher hatten wir noch ein anständiges Leben. Wir waren Subsistenzbauern und haben genug angebaut, um unsere Familien zu ernähren. Aber viele Felder und Weideflächen sind für das Projekt geflutet worden. Auch natürliche Ressourcen, die wir genutzt haben, sind nun unter Wasser. Zum Beispiel Medizinpflanzen. Sie gibt es jetzt nur noch in einem Botanischen Garten, aber der liegt am anderen Ende des Stausees. Das ist eine weite, teure Fahrt für uns. Außerdem müssen wir dort für die Medizinpflanzen bezahlen."
Molapo schaut auf die teils steinigen, steilen Berghänge. Zu Fuß und zu Pferd treiben Hirten ihr Vieh quer durch die Landschaft: Kühe, Schafe, Angoraziegen. Eingezäunte Weideflächen gibt es nicht. Das Land wird traditionell von allen genutzt. Seit das Tal geflutet wurde, bleiben nur noch die Hanglagen.

Staudämme verändern die Ökosysteme

An vielen Stellen wirken sie regelrecht terrassiert, Erosion nimmt zu. Das ist auch für die Wasserversorgung fatal: Feuchtgebiete, die eine wichtige Rolle in dem alpinen Ökosystem spielen, Wasser speichern und filtern, würden zunehmend unter Druck stehen, sagt der Ökologe Peter Chatanga.
"Einige der Straßen führen durch solche Feuchtgebiete. Das verändert ihre Hydrologie, sie verschlammen beispielsweise leichter und können ihre Funktion als Wasserspeicher nicht mehr erfüllen. Die Staudämme verändern das Ökosystem ebenfalls und reduzieren das Weideland, was wiederum zu Überweidung führt. Seit diese Gegenden im Hochland besser erreichbar sind, hat außerdem die Bevölkerung zugenommen. Auch das verstärkt den menschengemachten Druck auf die Feuchtgebiete."
Kahle Berghänge sind von oben zu sehen und im Tal ein Stausee.
Der Katse Staudamm bei Ha Lejone füllte das Tal mit Wasser.© Roger Jardine
Dazu kommt der Klimawandel: Angesichts einer Dürre musste Lesotho die Wasser-Exporte nach Südafrika 2020 zum ersten Mal seit zehn Jahren drosseln. Und diese Entwicklung könnte sich fortsetzen. Mehr Dürren, mehr Überflutungen, eine weniger berechenbare Regenzeit.
Der Klimawandel werde sich in Lesotho durch mehr Extreme ausdrücken, sagt Henrik Hartmann von der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, in Lesotho. Eine Studie belege jedoch auch, dass nicht der Klimawandel allein für die seit 20 Jahren stetig sinkenden Pegelstände der Stauseen verantwortlich sei.
"Es gibt starke Hinweise darauf, dass es an der Zerstörung von Ökosystemen liegt. Und diese Studie, die wir angestellt haben, zeigt auch die Konsequenz, die das tragen würde. Wenn man davon ausgeht, dass der Wasser-Transfer Richtung Johannesburg zu 50 Prozent unterbrochen sein kann, hat das enorme Auswirkungen in der Metropole selber. Man kann davon ausgehen, dass es zu zehn, elf Prozent wirtschaftlicher Kontraktion kommt. Man kann davon ausgehen, dass eine Million Arbeitsplätze wegfallen. Man kann auch davon ausgehen, dass in Lesotho selbst, durch den Wegfall der Einnahmen, enorm viel an Einsparungen gemacht werden muss - im Bereich Gesundheit, im Bereich Bildung. Insofern ist das ein relevantes Problem, nicht nur ökologisch, auch wirtschaftlich und sozial."

50 bis 60 Prozent der Menschen leben in absoluter Armut

Die Einnahmen aus den Wasser-Exporten machen in Lesotho einen nicht unerheblichen Teil des Staatshaushalts aus. Das Land gehört zu einem der ärmsten der Welt. Sinken die Einnahmen, schrumpfen auch die Mittel zur Armutsbekämpfung. Die wiederum sei jedoch zentral für den Schutz der Ökosysteme, erklärt Henrik Hartmann von der GIZ.
"Die Kernursache für die Schädigung von Ökosystemen in Lesotho ist in Armut begründet. Es liegt darin begründet, dass Menschen keine anderen Einkommensquellen haben, als Subsistenz-Landwirtschaft zu betreiben. Wir sehen das in einigen Gebieten, in denen wir arbeiten: Nach offizieller Definition von absoluter Armut - 1,90 US-Dollar - da liegen 50 bis 60 Prozent der Leute darunter. Das heißt, wir haben es mit Menschen zu tun, die chronisch von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Und da kann man jetzt nicht mit einem Schutzansatz rangehen, wo man sagt: Es geht jetzt nur darum, die Ökosysteme zu schützen."
Deshalb gehe es nicht nur um die Gründung neuer Schutzgebiete, sondern um eine nachhaltigere Nutzung der natürlichen Ressourcen. Das können einfache Lösungen sein, wie der Anbau neuer Feldfrüchte, die anders als der bislang dominierende Mais weniger Wasser benötigen. Oder der Bau von Trinkstellen am Rand von Feuchtgebieten. So können Hirten ihr Vieh tränken ohne die sensiblen Ökosysteme zu betreten. Umweltschutz, Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung müssen Hand in Hand gehen.
Ein besseres Leben, einen Ausweg aus der Armut, hatten sich auch Dörfer wie Ha Lejone am Rande der großen Talsperren erhofft. Die zuständige Regierungsbehörde, die "Lesotho Highlands Development Authority" hatte unter anderem Tourismus-Projekte und den Aufbau von Fischerei-Betrieben in Aussicht gestellt. Doch die Bilanz ist ernüchternd.

Juristischer Kampf der Dorfbewohner gegen die Regierung

In einem kleinen Raum hat sich das Dorfkomitee von Ha Lejone versammelt, um zu beraten, wie es weitergeht. Männer und Frauen sitzen in Decken gehüllt auf Holzbänken und hören, welche Neuigkeiten Mothusi Seqhee aus der Hauptstadt Maseru überbringt. Er arbeitet für das Seinoli Legal Centre - eine Nichtregierungsorganisation von Anwälten, die die Interessen der ländlichen Bevölkerung vertritt und berichtet über den langen Kampf der Dorfbewohner.
"Der Vertrag ist im Oktober 1986 von Lesotho und Südafrika unterzeichnet worden, die Bauarbeiten für die Talsperre begannen etwa drei Jahre später. Den Leuten hier und in den anderen betroffenen Gegenden wurden ein besseres Leben und Entschädigungen versprochen. Etwa für den Verlust von Weideland. Zunächst haben sie Tierfutter erhalten, egal ob sie Vieh hatten oder nicht. Danach gab es finanzielle Entschädigungen, aber nur bis 2004. Dann floss jahrelang kein Geld, obwohl jährliche Zahlungen vereinbart waren. Wir sind also vor Gericht gegangen und haben 2015 Recht bekommen."
Doch der Kampf sei damit nicht zu Ende. Die "Lesotho Highlands Development Authority" hatte die Zahlungen nach eigenen Angaben wegen Fällen von Missmanagement in den Gemeinden eingestellt. Nun sind die Dorfbewohner verpflichtet, Komitees zu gründen, ihre Ausgaben genau zu dokumentieren, durch Rechnungsprüfer absegnen zu lassen und sogar Business-Pläne vorzulegen.
"Die Intention war vielleicht gut, aber die Umsetzung ist ein Problem. Die zuständige Behörde hat die Komitees nicht unterstützt, so wie es eigentlich vorgesehen ist, etwa bei der Erarbeitung von Business-Plänen. Die Leute hier haben ihr Bestes getan. Sie haben unterschiedliche Projekte vorgeschlagen. darunter eine Forellenzucht für den lokalen Markt. Aber all ihre Ideen wurden abgelehnt - und das ohne Angabe konkreter Gründe. In anderen Worten: Die Lesotho Highlands Development Authority interessiert sich nicht für die Entwicklung dieser Gemeinden. Gleichzeitig behält sie Geld ein, das nicht ihr gehört."
NGO-Mitarbeiter Mothusi Seqhee spielt sowohl auf die ausbleibenden Entschädigungszahlungen als auch auf die Korruptionsskandale der vergangenen Jahre an: Gelder wurden veruntreut, Schmiergelder flossen, sogar Haftstrafen wurden verhängt. Korruption gilt auch als Grund dafür, dass sich die Fertigstellung der zweiten Phase des bilateralen Projekts zwischen Lesotho und Südafrika um Jahre verzögert. In diesem Fall steht die südafrikanische Seite unter Verdacht. Statt bereits 2019 soll nun erst 2026 mehr Wasser nach Südafrika fließen. Für Lesotho bedeutet das, dass die Einnahmen nicht steigen. Und für Südafrika, dass in der Wirtschaftsregion Gauteng um Johannesburg, in der zwölf Millionen Menschen leben, das Wasser knapp wird.

Bauarbeiten für weitere Talsperre

Sauberes Trinkwasser ist in Masakong schon jetzt rar. Das kleine Dorf liegt an einer Flussbiegung, dort wo eine weitere Talsperre im Rahmen der zweiten Projekt-Phase entstehen soll. Schwere Baumaschinen fahren über die neue Teerstraße, Staub weht über das ehemalige Weideland und brachliegende Felder der Kleinbauern. Um ihr Dorf wurde ein Zaun gebaut, auch der Weg zum Fluss ist versperrt. Einwohner wie Lebohang Lengoasa warten seit Jahren darauf, umgesiedelt zu werden.
"Wir führen ein miserables Leben. Wir sind hier regelrecht eingekesselt und haben unsere Existenzgrundlage verloren: unsere Felder und unser Vieh. Meine Tiere sind in der letzten Dürre verendet, andere haben Plastikmüll gefressen, den es hier früher nicht gab. Aber auf die versprochene Entschädigung, Jobs und eine Umsiedlung unseres Dorfs warten wir noch immer."
Lengoasa geht ein paar Schritte auf einen Wasserhahn zu, der zwischen seinem eingezäunten Dorf und der Großbaustelle aus dem Boden ragt. Früher haben die Dorfbewohner ihr Trinkwasser aus einer Quelle geschöpft, doch die wurde durch Abwasser aus der Siedlung der Bauarbeiter verseucht. Die Projektleitung errichtete deshalb diesen kommunalen Wasserhahn.
"Sie pumpen das Wasser aus dem Fluss erst in die Plastiktanks da drüben. Sie sagen, dass sie es filtern, bevor es hier aus dem Hahn kommt. Aber daran haben wir Zweifel: Wenn es regnet ist das Wasser braun, es riecht und schmeckt seltsam. Einige von uns kochen es deshalb ab, aber nicht alle. Kinder bekommen regelmäßig Durchfall. Aber wenn ich diese Missstände anprangere, versuchen sie, mich einzuschüchtern."
Wie es weitergehen soll? Lengoasa zuckt hilflos mit den Schultern. Einige seiner Nachbarn seien bereits in die Stadt gezogen, andere hielten an der Hoffnung fest, sich hier im Hochland irgendwie eine neue Existenz aufzubauen.

Wasserprojekt neu aushandeln?

Die Regierung von Lesotho trete die Rechte ihrer eigenen Bürger mit Füßen, sagt NGO-Mitarbeiter Mothusi Seqhee. Der ursprüngliche Vertrag für das grenzüberschreitende Wasserprojekt ist in den 1980er-Jahren unterschrieben worden, als in Südafrika noch die Apartheid und in Lesotho ein Militär-Regime herrschte. Von den heutigen demokratisch gewählten Regierungen hätte er mehr erwartet.
"Sie haben die gleiche Mentalität und gehen in Bezug auf die betroffenen Bürger genauso vor wie früher. Unsere Politiker denken nicht darüber nach, wie das Projekt unserem Land tatsächlich zu Gute kommen könnte. Wir sollten das Wasser aus den Talsperren zumindest für die Bewässerung nutzen dürfen, sodass wir genügend Essen für die Nation produzieren können. Die Regierung sollte Experten beauftragen, die praktikable und nachhaltige Projekte entwickeln, für eine neue Existenzgrundlage und einen Ersatz für das Land, das die Menschen hier verloren haben."
Und natürlich hätte jeder Bürger ein Recht auf sauberes Trinkwasser. Aber die Behörden seien störrisch, so Mothusi Seqhee, der mit den Anwälten seiner NGO bald wieder vor Gericht ziehen wird.

Diese Recherche ist im Rahmen des Riffreporter-Projekts "Countdown Natur" vom European Journalism Centre gefördert worden.

Mehr zum Thema