Waschzwang in Coronazeiten

Hygiene-Maßnahmen können Therapieerfolge gefährden

06:56 Minuten
Blick von oben auf ein Waschbecken in dem sich eine Person die Hände wäscht.
Händewaschen kann nie falsch sein. In Coronazeiten ist dies aber besonders wichtig. © Gettyimages / Moment RF / Photographer is my life
Andreas Wahl-Kordon im Gespräch mit Ute Welty · 15.10.2020
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Hände waschen! Dieser Appell kann Menschen mit Waschzwang zurück in ihr krankhaftes Verhalten treiben, befürchtet Andreas Wahl-Kordon. Gleichzeitig gibt der Psychotherapeut Entwarnung: Bisher könne er keine Zunahme von Zwangsstörungen beobachten.
Sich die Hände zu waschen, ist immer schon wichtig gewesen. In Coronazeiten ist es allerdings zur ersten Bürgerpflicht avanciert. Nun befürchtet die Kaufmännische Krankenkasse (KKH), dass krankhafter Waschzwang zunimmt. Betroffen sind davon nach Angaben der KKH vor allem Frauen zwischen 45 und 59 Jahren.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Andreas Wahl-Kordon kann eine Zunahme von Patientinnen und Patienten mit Waschzwang aus seiner persönlichen Erfahrung bisher nicht bestätigen. Allerdings fürchtet er um bisherige Therapieerfolge.
Wer sich das zwanghafte Waschen abtrainiert habe, könne nun in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Letztlich werde der Patient "ganz erstaunt sein, wenn in seinem Umfeld ganz viele ständig die Hände waschen, sich desinfizieren, und das auch ganz stark propagiert wird. Das ist sicher eine Gefahr und ein Effekt, den wir jetzt schon sehen, bei Patienten."

Genetische und psychologische Faktoren entscheidend

Dass die Coronazeit unsere Kinder und Jugendliche so sehr beeinflusst, dass mehr Waschzwanggestörte heranwachsen, glaubt Wahl-Kordon nicht. "Wir sehen, dass sicherlich einige Faktoren dazukommen müssen." Es müsse bereits einen Nährboden geben für eine Zwangsstörung. Das seien unter anderem genetischen Faktoren und psychologische Faktoren, wenn beispielsweise Zwangsstörungen in der Familie bereits vorgelebt werden. "Allein die Aufforderung, wascht euch die Hände, wird nicht dazu führen, dass wir mehr Zwangspatienten bekommen."
Doch was ist noch sinnvoll – und was bereits zwangsgesteuert? Dabei spielen Parameter wie die Intensität eine Rolle, so Wahl-Kordon, und wie häufig, wie lange die Hände gewaschen werden. "Und da ist so eine Orientierung: Eine Stunde pro Tag mit zwanghaften Verhalten oder Zwangssymptomatik beschäftigt zu sein, ist die Grenze zwischen gesund und krankhaftem Verhalten."
(lkn)
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