Was Wissen schafft

In drei wissenschaftlichen Kategorien wurde der Nobelpreis verliehen: Medizin, Physik und Chemie. Die Geehrten mussten einiges leisten – zum Beispiel herausfinden, wie Zellen altern oder ein Chip für Digitalkameras gebaut sein muss.
Nobelpreis Medizin 2009

Von Michael Lange

Der Nobelpreis für Medizin geht zu gleichen Teilen an drei Forscher aus den USA. Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak haben herausgefunden, wie Zellen altern.

Drei Uhr, mitten in der Nacht in San Francisco, Kalifornien. Die 60-jährige Elisabeth Blackburn ist schon wach. Soeben hat sie einen Anruf aus Stockholm erhalten, vom Nobelkomitee.

„Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt wach bin. Es könnte auch ein Traum sein. Aber sobald ich sicher bin, dass ich wach bin, werde ich sehr aufgeregt sein.“

Als junges Mädchen in Tasmanien sprach Elizabeth Blackburn gerne mit den Tieren, und sie interessierte sich für die Natur. Sie studierte schließlich Biologie in den USA, und an der Universität von Kalifornien in Berkeley begann sie mit den Forschungen, für die sie jetzt geehrt wird.

„Damals in den 70er-Jahren bis in die 80er wollten wir wissen, wie Zellen arbeiten und wie sie sich teilen. Heute wollen wir wissen, wie sich diese Prozesse lebenslang auf die menschliche Gesundheit auswirken.“

Geduldig erzählt Elizabeth Blackburn immer wieder die gleiche Geschichte. Und auch beim X-ten mal schwingt stets ein wenig Begeisterung mit.

An kleinen Einzellern, den Wimpertierchen, hat sie so genannte Telomere erforscht. Das sind die Endteile der Chromosomen. Sie schützen die Träger der biologischen Vererbung. Wie die Plastikkäppchen an Schnürsenkeln, halten sie die DNA-Fäden der Chromosomen zusammen. Aber bei jeder Zellteilung werden die Telomere etwas kürzer.

„Und wenn die Zellen keine Telomere mehr haben zum Schutz der Chromosomen, dann können sich die Zellen nicht mehr erneuern. Sie altern, werden empfindlich und irgendwann stirbt das Gewebe. Viele Alterskrankheiten haben irgendwie mit den Telomeren zu tun, und damit, dass diese kleinen Käppchen auf den Chromosomen irgendwann nicht mehr funktionieren.“

Aber es geht auch umgekehrt. Die Telomere können verlängert werden. In den 80er-Jahren entdeckte Elisabeth Blackburn gemeinsam mit ihrer Doktorandin und späteren Kollegin Carol Greider ein Enzym, dass den Alterungsprozess gewissermaßen umdreht: Die Telomerase. Fast so etwas wie ein Jungbrunnen für alternde Zellen. Das Enzym ist überall im Körper aktiv, aber als Jungbrunnen aus der Apotheke taugt sie nicht, denn junge, teilungsfreudige Zellen sind stets auch ein Krebsrisiko.

Eine Firma in den USA versucht sogar, Krebs zu bekämpfen, indem sie das Jungbrunnen-Enzym Telomerase hemmt. Die ersten klinischen Studien haben vor zwei Jahren begonnen. Elisabeth Blackburn interessiert sich inzwischen für einen anderen Bereich der Telomerforschung. Sie will wissen: Welche Rolle spielt die menschliche Psyche? Darüber habe sie vor einiger Zeit sogar mit dem Dalai Lama diskutiert, erzählt sie lächelnd.

„Er fragte: Was geschieht, wenn Menschen die Hoffnung verlieren? Der Dalai Lama, der sich auch für die westliche Wissenschaft interessiert, wollte wissen, was Hoffnungslosigkeit mit den Telomeren anstellt. Und tatsächlich zeigen meine neuesten Forschungsergebnisse, dass chronischer Stress die Telomere schädigt. Der Geist beeinflusst den Körper. Das wissen wir doch alle.“

Oder um es mit den Worten des Dalai Lamas zu sagen: Wer Gelassenheit bewahrt und die Hoffnung nicht verliert, tut etwas für seine Telomere und bleibt jung. Elisabeth Blackburn scheint das beherzigt zu haben. Sie wirkt stets ruhig und steckt doch voller Tatendrang.

Nobelpreis Physik 2009

Von Frank Grotelüschen

Internet, Digitalkameras und Fotohandys – seit Jahren gehören sie zur Grundausstattung des Bundesbürgers. Die drei diesjährigen Nobelpreisträger hatten dafür die Grundlagen geschaffen: Charles Kao, in Schanghai geboren und britischer sowie US-amerikanischer Staatsbürger, ermöglichte den Durchbruch der Glasfaser-Kommunikation. Die andere Hälfte des Preises teilen sich der US-Amerikaner George Smith und Willard Boyle, Staatsbürger von Kanada und den USA. Sie haben den CCD-Chip entwickelt, die Grundlage heutiger Digitalkameras.

Bereits im September 1969 hatten Smith und Boyle die entscheidende Idee: Als Ausgangsstoff verwendeten sie Silizium, das Standardmaterial der Digitaltechnik. Silizium zeigt den fotoelektrischen Effekt: Fällt Licht drauf, werden Elektronen, die zuvor fest gebunden waren, zu Elektronen, die frei im Silizium fließen können. Dieses Prinzip der „Fotozelle“ steckt übrigens auch hinter jedem Solarmodul.

Boyle und Smith ließen sich zwei Tricks einfallen. Sie kombinierten viele Fotozellen zu einem Schachbrettmuster – einem Sensorchip mit damals nur einigen 100 Pixeln. Zudem ließen sie sich eine Methode einfallen, wie man diese Pixel auslesen kann – und zwar Zeile für Zeile. Charge Coupled Device (CCD), so nannten die Physiker ihre Erfindung. Die ersten, die in den 70er- und 80er-Jahren die Technik nutzten, waren Astronomen. So stammen die gestochen scharfen Bilder des Hubble Teleskops von vier CCD-Chips. Die erste kommerzielle Digitalkamera kam 1995 auf den Markt. Mittlerweile hat sie die alte Film-Fotografie fast völlig verdrängt.

Und: Heute sind Digitalfotos zu Millionen im Internet unterwegs. Die Grundlage dafür schuf der dritte Laureat, Charles Kao. In den 60er-Jahren entwickelte er die Glasfasertechnik entscheidend weiter – heute das Rückgrat von Telefon und Internet. Eine Glasfaser ist ein hocheffektiver Leiter für Licht. Das Prinzip: Der Lichtstrahl in der Faser kennt nur eine Richtung – vorwärts. Denn die Seitenwände der Faser bilden hocheffektive Spiegel, an denen das Licht regelrecht abblitzt. In den frühen Glasfasern kam das Licht allerdings höchstens 20 Meter voran – viel zu wenig für die Telekommunikation.

Also sann Kao 1966 darüber nach, wie man diese Reichweite steigern könne. Er kam zum Schluss, dass das Licht in Fasern aus extrem reinem Glas deutlich weiter reisen müsste. Genaue Berechnungen ergeben Reichweiten von mehr als 100 Kilometern – eine Revolution. Angestachelt von diesen Perspektiven machten sich Forscher überall auf der Welt daran, Kaos Pläne in die Tat umzusetzen. Bereits 1970 wurde die erste Glasfaser aus ultrareinem Glas vorgestellt – die Basis für die heutigen Kommunikationsnetze. Und würde man heute sämtliche Glasfasern der Welt zu einer einzigen Leitung verbinden, wäre diese Megafaser so lang, dass man sie 25.000 Mal um den Erdball wickeln könnte.

Nobelpreis Chemie 2009

Hellmuth Nordwig

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an die drei Zellforscher Venkatraman Ramakrishnan, Thomas Steitz und Ada Jonath. Sie haben die Eiweißfabrik der Zelle erklärt, das Ribosom. Der in Indien geborene US-Bürger Ramakrishnan ist Gruppenleiter am Molekularbiologie-Labor des britischen Medical Research Councils in Cambridge. Sein Landsmann Steitz arbeitet als Professor für molekulare Biophysik und Biochemie am Howard Hughes Medical Institute der Yale-Universität in den USA. Die Israelin Jonath ist Molekularbiologie-Professorin am Weizmann-Institut in Rehovot.

Natürlich gibt sich jeder frisch gekürte Nobelpreisträger überrascht, das gehört zum guten Ton. In der Fachwelt war das Erstaunen nicht ganz so groß. Geehrt werden die drei Forscher, weil sie aufgeklärt haben, wie die so genannten Ribosomen aufgebaut sind und wie sie funktionieren. Das sind Eiweißfabriken, die es zu Hunderttausenden in jeder Zelle gibt. Dort werden nach dem Bauplan des Lebens, der Erbgut-Information, Eiweißmoleküle aller Art zusammengebaut: von den Muskelfasern über die Stoffwechselenzyme bis hin zu den Antikörpern der Körperabwehr. Der Entwurf, der im Erbgut steckt, wird also erst in diesen Großbaustellen der Zellen verwirklicht. Es ist daher nicht übertrieben, wenn man wie Ada Yonath sagt: Ohne Ribosomen gäbe es kein Leben.

Die israelische Forscherin hat die Grundlagen dafür gelegt, dass der Aufbau dieser Zellfabriken entschlüsselt werden konnte. Denn in Jahren langer Arbeit gelang es ihr, Kristalle der Ribosomen zu züchten. Ohne Kristalle keine „Röntgenstrukturanalyse“. So heißt die Methode, bei der man ausrechnet, wo welches Atom im Kristall liegt – indirekt, an Hand des Schattens, den er im Röntgenlicht wirft. Eine Sisyphusarbeit für alle drei Forscher, die dazu nicht nur Fleiß, Grips und Glück brauchten, sondern auch leistungsfähige Supercomputer.

Denn so ein Ribosom besteht aus Millionen von Atomen. Doch die Arbeit lohnte sich. Zum Beispiel, weil klar wurde: Die Zellfabriken von Bakterien sehen in entscheidenden Bereichen anders aus, als die von Menschen. Genau das sind die Stellen, die man bei Krankheitserregern mit Antibiotika lahm legen kann. Solche Medikamente gibt es längst; erst dank der Arbeit der Preisträger wurde aber klar, warum sie wirken. Vor allem haben sie aber gezeigt, wo neue Antibiotika eingreifen könnten und wie sich die existierenden noch verbessern lassen. Eine Entdeckung also, die der Menschheit Nutzen bringt, ganz im Sinne des Testaments von Alfred Nobel.